1909-05-21-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R 13186
Zentraljournal: 1909-A-08892
Erste Internetveröffentlichung: 2009 April
Edition: Adana 1909
Praesentatsdatum: 05/22/1909 p.m.
Letzte Änderung: 03/23/2012


Die Deutsche Bank (Vutz) an das Auswärtige Amt

Schreiben



Dem Hohen Auswärtigen Amt beehren wir uns, in Fortsetzung unserer Mitteilungen vom 12. d.M., Abdruck eines weiteren Berichtes des Geschäftsleiters der Deutsch-Levantinischen Bauwoll-Gesellschaft m.b.H. zur gefälligen Kenntnisnahme anbei ergebenst zu übersenden.

Deutsche Bank

Gwinner, Vutz


Abschrift

Deutsch-Levantinische Bauwoll-Gesellschaft m.b.H.

Siebenter Spezialbericht an die Herren Mitglieder des Aufsichtsrates.


Unruhen in Adana.

Es sind weiter folgende briefliche Berichte eingegangen:

Adana, datiert 5. Mai.

Die Lage bekommt täglich ein besseres Aussehen. Ueber die furchtbaren Verluste an Gut und Blut wird freilich das Vilayet erst nach langen Jahren hinwegkommen. Ueber die Hälfte der Stadt bildet einen einzigen Trümmerhaufen. Der grösste Teil der wohlhabenden Christen ist an den Bettelstab gebracht. Es bleibt ihnen nicht viel mehr übrig als was sie am Leibe haben und ihr Grundbesitz welcher jetzt natürlich total entwertet ist. Cirka 15 - 20000 Obdachlose liegen auf freiem Felde. Auf dem offenen Lande sind sämtliche christlichen Güter niedergebrannt, das Vieh geraubt und wir können uns nicht denken, wie die prächtig stehende Ernte gerettet werden soll. Die Gerste beginnt bereits auszufallen, die Baumwolle muss im Unkraut ersticken wenn sie nicht in den allernächsten Tagen behackt wird. Die türkischen Gutsbesitzer haben ja den grössten Teil der Ernte einzubringen vermocht (gemeint ist die Cerealien-Ernte), aber auch den grösseren Leuten unter ihnen werden starke Verluste erwachsen, weil sie durch Unterbrechung und Aufhören jeglichen Zuzugs der von auswärts kommenden Arbeiter brach liegen. Schlimm ist ferner, dass der weitaus grösste Teil aller Erntemaschinen wie Mäh- und Dreschmaschinen, der im Besitze christlicher Gutsbesitzer war, ausnahmslos vernichtet wurde. Nur mit ihrer Hülfe konnte bisher das dünnbevölkerte Vilayet die grossen Ernten vorbereiten und einbringen.

Der Kommandant der „Hamburg“ war inzwischen wiederholt bei uns und sind wir ihm für seine Unterstützung durch Rat und Tat sehr verpflichtet und dankbar. Er bewirkte, dass für die etwa 5000 Obdachlosen, welche in unserer Fabrik während der Metzeleien Unterschlupf gefunden hatten, Nahrungsmittel herbeigeschafft wurden. Ferner veranlasste er die unverzügliche Einstellung eines Stabsarztes, zweier Lazarettgehülfen und zweier Schwestern aus Beirut für das in unserem neuen Hause eingerichtete Hospital.

Wie Ihnen schon früher berichtet, hat sich sowohl Zeicher ds. als auch der in seiner Begleitung befindliche deutsche Dragoman beim Eintritt ins Bureau am Dienstag morgen plündernden regulären Soldaten gegenüber befunden. Es gibt noch hunderte von Zeugen, die beweisen können, dass reguläres Militär geraubt und geplündert hat. Dem Wali und dem Ober-Kommandierenden hat Zeichner ds. rund heraus erklärt, dass unser Bureau durch reguläre Soldaten ausgeraubt wurde. Beide erwiderten hierauf kein Wort, also auch sie wissen, wer uns brandschatzte. Wenn man die Wahrheit des Vorstehenden an irgend einer Stelle bezweifelt, so ist das einfach bedauerlich und für uns geradezu traurig. Wir glauben die ganze Zeit über ruhiges Blut gehabt zu haben und berichten natürlich nur Exaktitäten, welche wir verantworten können.

Das Drama war nicht ganz ohne Humor. Man hat uns nämlich beim Plündern des Bureaus auch eine Schreibmaschine gestohlen. Was die Plündere damit anfangen werden ist rätselhaft.

Die hiesigen Spinnereien dürften für den Rest der Saison die Arbeit einstellen, einesteils haben die Leute kein Vertrauen in die Situation und andererseits befürchten sie in den nächsten Monaten nicht die nötige Anzahl Arbeiter zur Aufrechterhaltung des Betriebes zu finden. Sie sind daher vorläufig zum Beschluss gekommen, die Fabriken überhaupt bis zum Herbst still zu legen.

Die Anatolische Baumwoll-Dampfpresse-Gesellschaft schreibt uns: Unser Betrieb steht nun seit dem 14. April. Bei den ersten Massacres hatten wir nur ca. 500 Armenier in der Fabrik, die wir in dem Wohnhause unterbrachten. Jetzt haben wir jedoch tausende auf dem Grundstück und das Wohnhaus ist als Lazarett eingerichtet. Wir sind Tag und Nacht auf den Beinen, um diese Menschenmasse einigermassen zu überwachen und insbesondere die Feuersgefahr zu vermeiden. Unsere Betriebs-Apotheke reicht natürlich nicht zu und man muss sich zu helfen suchen wie es geht. So haben wir aus unserer Baumwoll-Emballage Betten für die Verwundeten hergerichtet.

Es kommt jetzt Tag für Tag neues Militär, leider ohne Proviant und in Adana selbst ist kaum noch etwas zu beschaffen. Wenn nicht bald grössere Sendungen Lebensmittel herkommen so scheint uns eine Hungersnot unvermeidlich, zu welcher noch Epidemien kommen müssen. Auf den Strassen treiben sich noch immer Räuber und Mordbuben herum. Hoffentlich passiert nichts mehr. Soweit Adana.

Dem Osmanischen Lloyd vom 12. Mai entnehmen wir folgende Mitteilung: „Nach der offiziellen Angabe des Walis von Adana, Mustafa Sihni Pascha, haben die Muhammedaner und die Christen im Vilayet Adana folgende Verluste gehabt: In Adana sind von den Mohammedanern 345 tot, 200 verwundet, von den Armeniern 525 tot, 250 verwundet. In der Umgebung der Stadt sind von den Mohammedanern 625 tot, 40 verwundet, von den Armeniern 250 tot, 30 verwundet. Nach derselben offiziellen Quelle sind im ganzen Vilayet 1924 Mohammedaner tot, 533 verwundet, von den Armeniern 1455 tot, 382 verwundet. Nach der Angabe desselben Walis wohnen im Vilayet Adana 250.000 Menschen, unter ihnen zählen die Armenier 48.000. Das Kriegsgericht wird diese Statistik des Walis prüfen.“

Bemerkung Dresdens: Die von uns angeregten Spenden zugunsten der Notleidenden in Adana haben bis heute den Betrag von ca. Mark 6000,- erreicht.

Dresden, den 18. Mai 1909.


[Franz J. Günther]



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