1909-05-22-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R 13187
Zentraljournal: 1909-A-09646
Erste Internetveröffentlichung: 2009 April
Edition: Adana 1909
Praesentatsdatum: 06/05/1909 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: J.No. 492/K.No. 59
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Generalkonsul in Aleppo (Tischendorf) an den Reichskanzler (Bülow)

Bericht



J.No. 492 / K.No. 59
Geheim.

Euerer Durchlaucht beehre ich mich gehorsamst zu berichten, daß vor ca. 8 Tagen ein Telegramm hie eingetroffen ist, worin der Generaloberst Freiherr von der Goltz den hiesigen stellvertretenden Militärkommandanten Brigade-General Schükri Pascha dazu beglückwünscht, daß er die Ruhe in Aleppo aufrecht erhalten habe.

Schükri Pascha hatte den Inhalt des Telegramms dem bei dem diesseitigen Konsulat beschäftigten Sekretär a.i. Schöllner mitgeteilt mit der Bitte, ihm bei Abfassung der Antwort in deutscher Sprache behülflich zu sein und darauf nach Angabe des Herrn Schöllner folgendermaßen geantwortet: „Dem hochberühmten Marschall gehorsamsten Dank für die anerkennenden (lobenden) Worte; wie taten nur unsere Pflicht.“

Schükri Pascha schien durch das Telegramm sehr erfreut und überrascht, da er ja, wie er selbst sagte, nichts Besonderes getan habe. Er bezeichnet sich zwar als Schüler von der Goltz Pascha’s, doch habe er nie ein Wort mit demselben gewechselt.

In den Kreisen, wo das Telegramm bekannt wurde, hat dasselbe meist ziemliches Erstaunen beziehungsweise Befremden erregt, da man sich nicht erklären konnte, wie Schükri Pascha dazu kam, eine solche Anerkennung zu erhalten. Wenn die Ruhe in Aleppo nicht ernstlich gefährdet wurde, ist dies schwerlich Schükri Pascha zu verdanken, sondern wohl in erster Linie der Haltung der Bevölkerung im Allgemeinen, welche beeinflußt einerseits durch die tonangebenden wohlhabenden Notabeln, andrerseits durch das jungtürkische Komitee und die ihm ergebenen jungen Offiziere sich ruhig verhielt, sodann aber auch der schnellen Entwicklung der Ereignisse in Konstantinopel, welche die Fanatiker abschreckte, ihre bösen Absichten zur Ausführung zu bringen. Solche scheinen tatsächlich bestanden zu haben und zwar infolge geheimer Weisungen aus Konstantinopel, wie sie auch nach anderen Städten Kleinasiens und Syriens gelangt sein sollen. Unkontrollierbaren Gerüchten zufolge sollen sowohl der hiesige Wali als [auch] Schükri Pascha auf Seite der reaktionären Partei gestanden haben, und es soll zwischen ihnen und dem Kommandanten der Redifs Hassan Basri Pascha (Divisionsgeneral), welcher energisch für Verhinderung jeder Störung der Ordnung eintrat, zu sehr erregten Auseinandersetzungen gekommen sein.

Schükri Pascha genießt das Vertrauen weder des Komitees noch der jungtürkischen Offiziere. Er verdankt seine Ernennung zum Vertreter des auf Urlaub befindlichen Militärkommandanten unter Übergehung des ihm im Rang vorgesetzten Hassan Basri Pascha, der stets als Freund der neuen Regierung galt, anscheinend dem Umstande, daß er der Schwiegersohn des Kommandanten des 5. Armeekorps, zu welchem die hiesigen Truppen gehören, des Muschirs Osman Pascha ist, der allgemein als Gegner der Jungtürken gilt und gegen den noch in der vorletzten Nummer des hier erscheinenden Blattes Sedai Chahba seiner zweideutigen Haltung wegen die heftigsten Anklagen erhoben waren.

Ich habe geglaubt, Vorstehendes der Kenntnis Euerer Durchlaucht unterbreiten zu sollen, da der offenbar in gutem Glauben handelnde Herr Generaloberst Freiherr von der Goltz in unrichtiger Weise informiert worden zu sein scheint.


Tischendorf



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