1912-12-04-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R 1913
Zentraljournal: 1912-A-22124
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Praesentatsdatum: 12/10/1912
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Der diplomatische Vertreter in Kairo (Miquel) an das Auswärtige Amt

Bericht


Cairo, den 4. Dezember 1912. (Diplom. Agentur)

Abschrift.

Vertraulich!

Seine Hoheit der Khedive bat mich heute, ihn im Schloss Kubbeh aufzusuchen, und sprach eine Stunde lang über die kritische Lage, in welche Egypten infolge des Balkankrieges geraten sei. Als ich meinte, England habe keine Schritte getan, um die staatsrechtlichen Verhältnisse in Egypten zu ändern, entgegnete seine Hoheit, zweimal habe Lord Kitchener versucht, das Gespräch auf dieses Thema zu bringen, und Ihn direkt gefragt, wie Er die Lage auffasse, nachdem die Türkei zu Boden geworfen sei. Beide Male habe Er Lord Kitchener keine bestimmten Antworten gegeben. Als dieser sich dann aber an die Minister gewandt habe und noch deutlicher geworden sei, habe er zur Antwort bekommen, der Khedive verdanke Seine Stellung den Verträgen mit dem Sultan und, bevor daran gedacht werden könne, wie sich die Beziehungen zwischen Cairo und Constantinopel gestalten würden, müsse zunächst festgestellt werden, wie es eigentlich mit der provisorischen Okkupation durch England stünde. Seither habe nicht nur Lord Kitchener nichts mehr hierüber verlauten lassen, sondern legten sich auch die Zeitungen grössere Reserve auf. Es schiene also vorläufig, als ob die Engländer es bei den bisherigen Plänen, nämlich der Errichtung einer Station für drahtlose Telegraphie in Alexandrien und der Anlage von Befestigungen am dortigen Leuchtturm für einen Hafen zur Aufnahme von einigen Kriegsschiffen bewenden lassen wollten.

Seit einigen Tagen werde viel von Indischen Fürsten geredet, welche durch grossartige Spenden die englische Flotte vermehrten. Geschmackvoller Weise habe man diesen Vorgang Egypten gegenüber als gutes Beispiel hingestellt! England habe die an sich sehr richtige Tendenz, in Einverständnis mit den ungebildeten indischen Fürsten und den noch weniger erzogenen arabischen Scheichs zu operieren, wogegen es mohamedanische Persönlichkeiten mit höherer Bildung als seinen Interessen gefährlich ansehe. Deshalb werde er selbst auch von Lord Kitchener verfolgt und ohne jedes Entgegenkommen behandelt, es gehe jetzt schlimmer zu wie zu Zeiten Lord Cromers. Ohne sich im geringsten zu genieren, erhöhten die Engländer die Gehälter ihrer Beamten in Egypten auf Kosten des Landes, wenn aber von arabischer Seite für alte, treue Leute eine Aufbesserung verlangt würde, so schlage dies Lord Cecil einfach ab, weil er keine bedenklichen Neuerungen wünsche.

Der Khedive ging sodann auf die Türkei über und erzählte, Er habe 350 Leute von Cavalla nach Alexandrien bringen lassen und man habe Ihm nahegelegt, Ansiedlungen im grösseren Stil in Kleinasien anzulegen, damit die Mohamedaner in Cavalla nicht unter bulgarischer oder griechischer Herrschaft zu leben brauchten. Für einen solchen Rückzug, bei welchem vielleicht 20000 Mann in Frage kämen, sei die Zeit noch nicht gekommen, zunächst müsse der Frieden abgewartet werden, der vielleicht doch noch günstiger ausfalle, als man noch vor zwei Wochen gedacht habe. Die Ansiedlungen in Asien seien übrigens leider eine Massregel von zweifelhaftem Wert, denn, wenn die Türkei nicht einen vollständigen Umschwung in ihren Verwaltungsprinzipien herbeiführe, werde sie in Asien ebenso viele Schwierigkeiten erleben wie in Europa. Arabien, Mesopotamien und namentlich Syrien seien schon heute ein zweifelhafter Besitz und Kleinasien sei erstaunlich arm und entvölkert. Die einzige Rettung für das Land bleibe ein Bündnis mit einer Grossmachtgruppe. Der Khedive fragte wiederholt, - und dies war augenscheinlich der Zweck der Unterhaltung -, ob nicht nach dem Frieden für die Türkei Aussicht auf ein Bündnis mit Deutschland vorhanden sei. Ich erwiderte, dass ich dies nicht beurteilen könne und dass die Hohe Pforte bisher stets der Meinung gewesen sei, sie täte am besten, sich eine neutrale Stellung zwischen den Grossmächten zu wahren.


[Miquel]



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