1913-04-25-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R 14078
Zentraljournal: 1913-A-09847
Erste Internetveröffentlichung: 2017 November
Edition: Armenische Reformen
Telegramm-Abgang: 04/25/1999
Praesentatsdatum: 05/13/1913
Zustand: B
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Konsul in Aleppo (Rößler) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht


Aleppo, den 25. April 1913

K.Nr. 31

Abschrift.

Inhalt: Stimmung in Kurdistan und Armenien.

Eine amerikanische Missionarin von Bitlis, welche kürzlich hier durchgekommen ist, hat erzählt, daß die Kurden jener Gegend sich neuerdings russenfreundlich zeigen. Dagegen kommen nach einem Bericht des französischen Konsuls in Wan, wie mir mein hiesiger französischer Kollege erzählt hat, die Kurden von Wan neuerdings von ihrer Vorliebe für Rußland etwas zurück und hören auf die türkischen Argumente, daß ihnen nirgends soviel Freiheit gegönnt werden könne, wie unter türkischer Herrschaft.

Der armenisch gregorianische Bischof von Aleppo Nerses Danielian ist vor einigen Wochen von einer Reise zurückgekehrt, die er auf Wunsch der türkischen Regierung nach Seitun unternommen hat. Die Bewohner jener Stadt, welche von jeher für unbotmäßig galten, haben sich so weit als möglich der Militärpflicht entzogen. Die jungen Leute sind von Seitun auf die Berge gegangen, von wo aus sie um ihr Leben zu fristen, ein Räuberleben zu führen begonnen haben. Neuerdings haben sich ihnen auch Muhammedaner angeschlossen. Des Bischofs Aufgabe sollte sein, seine Glaubensgenossen zu geordnetem Leben zurückzuführen. Sie verlangten aber ein Irade des Sultans, welches sie vom Militärdienst befreie, so daß es ihm wohl nicht gelungen ist, seine Aufgabe zu lösen. Der Bischof, ein kluger und ernst zu nehmender Mann, gehört jener gemäßigten und einsichtsvollen Richtung der Armenier an, welche Bestrebungen auf Anschluß an Rußland mißbilligen, vielmehr wünschen, innerhalb des türkischen Staats auf friedlichem Wege Reformen zu erlangen, wohlwissend, daß jeder Versuch gewalttätiger Ausdehnung ihrer Rechte nur zum Verderben der Armenier selbst ausschlagen muß. Für die Erlangung friedlicher Reformen setzt er seine Hoffnung auf die europäischen Mächte, deren Unterstützung zu erlangen, von Missirli Boghos Pascha in Paris versucht werde. Er hat auch mich gebeten, bei meiner hohen Regierung dahin vorstellig zu werden, daß Deutschland für Reformen in den von Armeniern bewohnten Provinzen eintrete. Nachrichten zufolge, die mir sonst zugehen, macht die Organisation unter den Armeniern Fortschritte. Insbesondere erfahre ich aus Marasch, daß die Partei der Daschnaksutiun in bisher gleichgültigen Kreisen Anhänger gewonnen hat.

Von der arabischen Bewegung bleibt Aleppo nach wie vor unberührt. Es wäre etwa nur zu erwähnen, daß ein Mitglied der an der Spitze der Reformbewegung stehenden Familie Beihum eine Reise von Beirut nach Aleppo unternommen hat. Der Wali hat versucht, das hervorragendste Aleppiner Mitglied der liberalen Partei, Nafi Pascha, zur Unterzeichnung einer gegen die Beiruter Reformbestrebungen gerichteten Kundgebung zu veranlassen. Nafi Pascha hat sich geweigert, seine Unterschrift zu geben, hat aber zugleich erklärt, er würde auch Kundgebungen der Reformpartei nicht unterzeichnen.

Die Nachricht, daß die arabische Sprache neben der türkischen zum Gebrauche vor den Behörden amtlich zugelassen ist, hat einen merkbaren Eindruck auf die Bevölkerung nicht hervorgerufen.


[Rössner]

S.E. dem Reichskanzler Herrn von Bethmann Hollweg.



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