1913-08-27-DE-001
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Quelle: /PA-AA/R 14181
Zentraljournal: 1913-A-17714
Erste Internetveröffentlichung: 2017 November
Edition: Armenische Reformen
Praesentatsdatum: 08/31/1913 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 262
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Botschafter in Konstantinopel (Wangenheim) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht


Therapia, den 27. August 1913

Auf Erlaß No. 790 vom 14. d.M.

Den Vorschlag, den Marquis di San Giuliano in der armenischen Reformfrage dem Wiener Kabinett gemacht hat, vermag ich weder nach seinem Inhalte noch nach dem Zeitpunkt, der dafür gewählt ist, als glücklich zu bezeichnen.

Inhaltlich läßt er eine Reihe von Forderungen unberücksichtigt, welche, wie die Vorbesprechung der hiesigen Botschaftsdelegierten ergeben hat, von allen Mächten übereinstimmend als notwendig angesehen werden, und gegen die seitens der Pforte voraussichtlich keinerlei Widerstand erhoben werden dürfte, wie Gleichberechtigung der drei Hauptsprachen, Freiheit der Schulgründung, Versuch der Lösung der Agrarfrage usw. Das Fallenlassen dieser berechtigten und zumteil leicht erfüllbaren Forderungen würde in allen armenischen Kreisen zweifellos eine gewaltige Enttäuschung hervorrufen und dieselben unfehlbar in die Arme Rußlands treiben als derjenigen Macht, von der sie die weitgehendste Vertretung ihrer Wünsche glauben erwarten zu dürfen.

Der Zeitpunkt der italienischen Anregung scheint mir deshalb schlecht gewählt, weil bisher noch nicht feststeht, ob der in der 7. Sitzung der Armenierkommission von deutscher und österreichischer Seite gemachte Vorschlag, dem sich auch der italienische Delegierte angeschlossen hatte, von den übrigen Mächten angenommen werden wird oder nicht.

Auch aus allgemeinen Gesichtspunkten dürfte eine italienische Initiative in der armenischen Frage kaum in unserem Interesse liegen. Deutschland und Rußland sind die einzigen Mächte, die ein unmittelbares Interesse an der Beruhigung Armeniens haben. Die natürliche Entwickelung muß uns daher darauf hinweisen, uns in dieser Frage die Führung nicht durch andere, weniger interessierte Staaten aus der Hand nehmen zu lassen, sondern zu versuchen, mit Rußland möglichst zu einer Verständigung über ein gemeinsames Programm zu gelangen.

Von diesem Gedanken ausgehend, bin ich zurzeit bestrebt, im Anschluß an die stattgehabten Vorbesprechungen der Botschaftsdelegierten und unter Zugrundelegung der von diesen geltend gemachten Gesichtspunkte mit meinem hiesigen russischen Kollegen eine mittlere Linie zu finden zwischen dem ursprünglichen russischen Entwurfe und dem von den Dreibunddelegierten gemachten Gegenvorschlag.

Nach den bisherigen Besprechungen hat es den Anschein, als ob Rußland sich dazu verstehen würde, den Gedanken einer einzigen, ganz Armenien umfassenden Reformzone fallen zu lassen und in eine Teilung in einen nördlichen und einen südlichen Sektor zu willigen. Als Gegenleistung könnten wir dem russischen Standpunkte vielleicht in der Frage der proportionellen Volksvertretung bis zu einem gewissen Grade entgegenkommen.

Ich hoffe, auf diese Weise zu einem gemeinsamen deutsch-russischen Programm zu kommen, das voraussichtlich auch bei den übrigen Mächten gute Aufnahme finden würde. Sobald die Vorbesprechungen hierüber, die zunächst den Charakter rein persönlichen Gedankenaustausches tragen, beendet sind, werde ich nicht verfehlen, Euerer Exzellenz darüber zu berichten.


Wangenheim



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