1914-05-30-DE-002
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Quelle: DE/PA-AA/R 1319
Zentraljournal: 1914-A-10697
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Telegramm-Abgang: 05/30/1914 11:55 PM
Telegramm-Ankunft: 05/31/1914 07:42 AM
Praesentatsdatum: 05/31/1914 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 250
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Der Botschafter in Konstantinopel (Wangenheim) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Telegraphischer Bericht



Nr. 250
Therapia, den 30. Mai 1914.

Unter Bezugnahme auf Telegram Nr. 223.

Talaat Bey sagte mir, er sei mit den Ergebnissen seiner Bukarester Reise sehr zufrieden. Deutschland habe unter allen Mächten den größten Einfluß in Rumänien, während Österreich vollständig ausgespielt habe. An eine Aussöhnung zwischen Bulgarien und Rumänien sei fürs erste nicht zu denken. Auch gegen Griechenland bestehe in Bukarest ein gewisses Mißtrauen. Trotzdem sei Bratianu bemüht gewesen, ihn von der Unannehmbarkeit eines griechisch-türkischen Ausgleichs zu überzeugen. Bratianu habe sich ungefähr ebenso ausgesprochen wie ich und besonders betont, daß die Türkei von dem kleinen Griechenland niemals ernstlich bedroht werden könnte, während alle Slawen gefährliche Nachbarn seien. Er habe Bratianu daraufhin gesagt, wie er sich die Lösung der Inselfrage denke. Die Türkei könne, wie er wisse, auf die Souveränität bezüglich der Inseln niemals verzichten. Seitens des rumänischen Ministers sei mit der Gegenfrage geantwortet worden, ob die Türkei eventuell für die Inseln ein Regime wie für Ostrumelien akzeptieren könne. Er habe entgegnet, daß, sobald Griechenland erst einmal die türkische Souveränität anerkannt habe, die Türkei bezüglich alles weiteren das größte Entgegenkommen beweisen würde. Ein Regime wie auf Samos oder wie das ostrumelische seien dann ausgeschlossen. Bratianu habe dementsprechende Einwirkungen auf Venizelos in Aussicht gestellt.

Weiter sei die Frage einer Entente cordiale zwischen Rumänien und der Türkei zwecks Garantie der Ruhe am Balkan besprochen worden. Möglicherweise würden Verhandlungen darüber demnächst beginnen. Auf Talaat Beys Frage, wie sich Rumänien verhalten würde, wenn inzwischen Griechenland und die Türkei ein Defensiv-Bündnis schließen würden mit gegenseitigen militärischen Verpflichtungen bei bestimmten Anlässen, habe Bratianu erwidert, daß Rumänien in ein solches Bündnis unter Übernahme entsprechender Verpflichtungen eintreten würde. Einer Erörterung der Frage, ob das neue Bündnis sich dem Dreibund oder der Tripel-Entente anschließen solle, sei Bratianu aus dem Wege gegangen. Er habe nur gesagt, die Türkei müsse sich sowohl mit ... (Gruppen fehlen) Rußland gut stellen. Rumänien wolle sich offenbar verschiedene Wege offen halten.

Großwesir, den ich darauf ansprach, meinte, Talaat Bey beurteile die Bündnisdispositionen Rumäniens wohl zu optimistisch. So lange nicht positive Vorschläge vorlägen, denke ... (Gruppe fehlt) skeptisch. Die Rumänen seien vor allen Dingen Opportunisten, die es mit niemand verderben wollen. An einen Erfolg rumänischer Vermittelung in der Inselfrage glaube er nicht.

Das wichtigste Ergebnis der Talaatschen Reise scheint mir zu sein, daß die Pforte sich von der Undurchführbarkeit der Kombination Rumänien Bulgarien Türkei überzeugt hat.


[Wangenheim]



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