1914-09-06-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R1914
Zentraljournal: 1914-A.H.-1992
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Praesentatsdatum: 09/08/1914 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: A.H. 648/A.H. 648
Letzte Änderung: 10/23/2017


Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts (Jagow) an den Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt (Zimmermann)

Schreiben



A.H. 648.
Grosses Hauptquartier, den 6. September 1914
Auf die Notiz der österreich-ungarischen Botschaft vom 3. September 1914.

Aus der Berichterstattung der Kaiserlichen Botschafter in Rom und Constantinopel geht hervor, daß Italien dem Abschluß des deutsch-türkischen Bündnisses entgegenarbeitet und der Türkei davon direkt abgeraten hat. Italien hat sich auch in diesem Falle nicht als Bundesgenosse der Kaisermächte bewährt; seine Politik zielt unzweideutig dahin, eine Stärkung des österreichischen Einflusses im Balkan zu verhindern. Ein etwaiges moralisches Anrecht auf eine vertrauensvolle Mitteilung des Bündnisabschlusses hat es damit verwirkt, ein unbedingtes formelles Recht steht ihm. meines Erachtens auch aus dem Arrangement spécial von 1909 deswegen nicht zu, weil darin von einer modification du statu quo dans les régions des Balkans ou des cotes et des îles ottomanes dans l'Adriatique et de la Mer Egée die Rede ist. Eine solche ist in dem deutsch-türkischen Bündnis nicht vorgesehen. Auch bei einer "vertraulichen" Mitteilung ist es kaum zweifelhaft, dass Italien bei seiner heutigen Politik sowohl England davon Kenntnis geben als auch in Constantinopel alle Hebel in Bewegung seinen würde, um die Türkei von einer aktiven Teilnahme an dem jetzigen Kriege abzuschrecken. Nach dem bisher erfolgreichen Gange der militärischen Operationen ist es nicht wahrscheinlich, dass Italien noch Lust verspüren wird, aus seiner Neutralität heraus und auf die Seite unserer Gegner zu treten. Bei einem Wechsel des Kriegsglücks und namentlich wenn Österreich-Ungarn Rückschläge erleiden sollte, würde Italien sich aber auch durch den Umstand, dass ihm das türkische Bündnis mitgeteilt wäre, nicht davon abhalten lassen, Österreich-Ungarn anzugreifen, wenn anderes seine vermeintlichen Interessen oder die Volksstimmung ihm solchen Angriff geraten erscheinen lassen würde. Italien, wird immer rein opportunistisch handeln. Der Beitritt Italiens zum türkischen Bündnis erscheint unter den Jetzigen Verhältnissen ausgeschlossen und nicht einmal wünschenswert. Glaubt man aber der Form genügen zu müssen, so dürfte es völlig ausreichend sein, wenn - wie auch Graf Berchtold vorschlägt - das Wiener Kabinett dem römischen von dem Bündnisabschluß erst in dem Moment Mitteilung machte, wo die Türkei durch aktives Eingreifen offen auf unsere Seite tritt. Für Deutschland besteht eine Pflicht zur Mitteilung überhaupt nicht und deshalb auch kaum ein Anlaß, Italien ohne weiteres Zusicherungen hinsichtlich Lybiens zu geben. Ich neige sogar zu der Ansicht dass eine Bewegung der muhamedanischen Welt, die auch Lybien bedrohte - besonders ein etwaiger Aufstand in Egypten - die italienische Armee in noch verstärktem Maße in Lybien festhalten und Italien damit für eine Aktion in Europa die Hände binden würde. Andererseits würde es uns kaum möglich sein, einer einmal entfachten islamitischen Bewegung an den Grenzen Lybiens ein wirksames Halt zu gebieten.

Ich würde daher empfehlen, Italien im Moment des Kriegsausbruchs zwischen der Türkei und Rußland von unserem Bündnis in Kenntnis zu setzen, ihm aber auch dann nicht ohne weiteres Zusicherungen wegen Lybiens zu geben.

Anders liegt die Sache hinsichtlich des bulgarischen Vertrages. Derselbe sieht Veränderungen des status quo im Balkan vor und Österreich-Ungarn dürfte hier durch sein Arrangement spécial zur Mitteilung verpflichtet sein. Ich würde bei der serbophilen Haltung Italiens eine diesbezügliche Mitteilung aber auch erst dann für ratsam erachten, wenn Bulgarien sich wirklich zu einem aktiven Eingreifen entschliessen sollte. Für Deutschland liegt auch hinsichtlich des bulgarischen Vertrages keine Verpflichtung zur Mitteilung vor.



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