1914-09-08-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R 1914
Zentraljournal: 1914-A-21135
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 762
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Der Botschafter in Konstantinopel (Wangenheim) an das Auswärtige Amt

Telegraphischer Bericht



Nr. 752

Therapia, den 8. September 1914

Antwort auf Tel. Nr. 623 und Nr. 627.

Die Lage ist hier folgende: Enver ist noch immer bereit zum Losschlagen um jeden Preis und zu jeder Zeit. Er fürchtet englisch-französische Flotte nicht einmal, wenn diese durch die Dardanellen kommen sollte, weil sie doch nicht landen könnte. Zu entscheidendem Entschluß braucht er aber die Mithilfe Talaat Beys. Letzterer, obwohl kriegslustig, möchte Resultat der militärischen Besprechungen zwischen Souschef des Generalstabs Hakki Beys und Bulgarischem Generalstab in Sofia abwarten. Er war bis jetzt der Meinung, daß die Türken nur dann fechten können, wenn sie Bulgariens ganz sicher seien. Sicherheit werde nicht genügend durch Vertrag, sondern nur durch Faktum garantiert, daß Bulgarien gegen Serbien feindselig würde. Enver würde, falls Bulgarien nicht losschlägt, mobilisierte Armee hier lassen, dagegen Flotte ins Schwarze Meer entsenden und mit den südlichen Korps gegen Egypten vorgehen. Nach militärischem Urteil würde das für diese Aktion zunächst in Frage kommende 8. Korps (Damaskus) im besten Falle nach einem Monat schlagfertig sein.

Enver macht außerdem darauf aufmerksam, daß Rumänien augenblicklich nur je 8 Waggons deutscher Munition etc. durchlasse. Er bittet daher von Rumänien Zusage zu erwirken, daß auch im Falle eines russisch türkischen Krieges die rumänischen Eisenbahnen für Transporte aus Deutschland, für Nahrung aus … [Gruppe unverständlich] … nicht gesperrt werde. Die übrigen Minister sind durchweg für weiteres Abwarten. Dieses neue Zögern ist durch die hier allgemeine, auch in der Armee bereits um sich greifende Überzeugung hervorgerufen, daß die Österreicher bei Lemberg eine schwere Niederlage erlitten haben und daß die Russen demnächst gegen die Karpathen vordringen werden, was die Haltung Rumäniens, vielleicht auch Bulgariens, beeinflussen könnte. Sie fürchten ferner Hungersnot, sobald die Meerengen vollkommen gesperrt werden. Zweifel an der Sicherheit der Dardanellen nehmen unter der Bevölkerung zu. Admiral von Usedom, der soeben von dort zurückkommt, meint, daß die Dardanellen in dem heutigen Zustand leicht und ohne größere Verluste von der französischen Flotte allein forciert werden könnten, da die Lage der Minensperren den Gegnern bekannt sei. Auch seien die an und für sich gut und ausreichenden Geschütze zum größten Teil in Unordnung und bedürfen noch einer gründlichen Reparatur, die mindestens noch acht Tage in Anspruch nehme. Er erklärte heute Enver, daß er keinerlei Garantie für die Unpassierbarkeit der Dardanellen übernehmen könne, solange diese nicht geschlossen seien. Wenn Frankreich und England ohne vorhergehende Kriegserklärung die Forcierung versuchen sollten, so würde sie wahrscheinlich gelingen. Er müsse deshalb sofort vollständige Sperrung der Dardanellen verlangen. Vollkommene Abschließung wurde bereits von Admiral Schack verlangt, aber aus gewichtigen politischen Gründen dann wieder fallen gelassen. Die Sperrung bietet die Gefahr, daß sie sich nicht nur gegen Frankreich und England, sondern auch gegen andere Mächte z.B. Italien wenden würde und letzterem einen Vorwand zur Änderung seiner Politik geben könnte.

Operation gegen Odessa wird wegen der Küstenverhältnisse und wegen Nähe Sebastopols von allen kompetenten hiesigen Stellen für fast vollkommen aussichtslos erachtet. Es würde nur ein kleiner Truppenteil gelandet werden können, der keinesfalls, wie Österreich es wünscht, bis nach Galizien vorzudringen vermöchte. Aussichtsvoller und den Türken einleuchtender erscheint Vorgehen gegen Kaukasus. Eine türkische Armee könnte unter dem Schutz der Flotte wahrscheinlich verhältnismäßig leicht bei Batum gelandet werden. Der Erfolg eines Krieges im Kaukasus ist aber davon abhängig, daß zunächst eine Entente zwischen Georgiern und Türkei hergestellt wird. Ich habe Keresselidze mit Talaat Bey und Enver zusammengeführt. Es soll ein Vertrag geschlossen werden, der die beiderseitigen Sphären abgrenzt und eine Kooperation vorsieht. Unentbehrlich Sendung deutscher Gewehre und Munition für Georgier.

Für die Expedition gegen Egypten sind die Einleitungen bereits getroffen, vergl. Telegr. Nr. 745. Kamele werden von Arabern gestellt. Österreichischer Botschafter fürchtet, daß Einmarsch der Türken in Egypten Unruhen in der Cyrenaika hervorrufen würde. Tatsächlich ist durch den lybischen Feldzug Italien in eine muselmanische Interessen-Gemeinschaft mit England und Frankreich eingetreten. Es ist daher nicht ganz ausgeschlossen, daß unsere egyptischen Pläne Italien zum Abfall von uns bringen könnten. Marquis Garroni denkt über die Frage bis jetzt ruhig, nachdem Enver ihm versichert hatte, daß die jetzt die Cyrenaika durchreisenden Offiziere nur für Tunis und Algier bestimmt seien. Ich habe mich Marquis Garroni gegenüber stark gemacht, durch Enver die Senussi dahin zu beeinflussen, daß die Cyrenaika aus dem Spiel bleibt. Herr Ghenadieff erklärte mir heute, es sei selbstverständlich, daß Bulgarien seine besonderen Interessen, d.h. die Verschiebung der Operationen gegen Serbien bis zu einer mehr fortgeschrittenen Erholung des Landes den allgemeinen Kriegszwecken unterordnen und sofort losschlagen würde, sobald Rumänien seine Neutralität schriftlich erklärt habe. Man erhoffte von dem deutschen Einfluß in Bukarest eine solche Erklärung nachträglich zu erhalten, befürchte aber, daß Rumänien aus Angst vor Rußland sich nicht so schnell binden werde. Vielleicht werde sich deswegen Bulgariens Haltung vorläufig darauf beschränken müssen, seine Eisenbahnen für Zufuhr etc. der Türkei dauernd und im weitesten Umfang zur Verfügung zu stellen.

Meiner Ansicht sind hier 2 Dinge nicht unerreichbar:

1. … [Gruppe unverständlich] … Vorgehen der Türkei gegen Egypten, wozu die Vorbereitungen aber noch längere Zeit in Anspruch nehmen werden.

2. Eine Demonstrationsfahrt der türkischen Flotte über Varna Constantza an Odessa vorbei.

Mittlerweile könnte die Revolution im Kaukasus und Erhebung des Islams weiter vorbereitet werden.

Gelingt es mir, die Demonstrationsfahrt durchzusetzen, so würde es Enver lieb sein, wenn die Flotte unterwegs mit der russischen handgemein würde. Gelingt es mir nicht, die Demonstrationsfahrt durchzusetzen, wofür ich mich bis zum äußersten einsetzen werde, so bleibt nur übrig, daß Goeben und Breslau durch den Bosporus brechen und die Operation allein beginnen. Letztere würden die Türken wohl schliesslich mitreißen. Hierzu erwünscht möglichst baldige österreichische Erfolge in Galizien.


[Wangenheim]



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