1914-09-24-DE-009
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Quelle: DE/PA-AA/R 22402
Zentraljournal: 1914-A.H.-1250
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Telegramm-Abgang: 09/24/1914 07:30 PM
Telegramm-Ankunft: 09/25/1914 06:00 AM
Praesentatsdatum: 09/26/1914 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 3
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Der Botschafter in Konstantinopel (Wangenheim) an den Staatssekretär des Auswärtigen Amts (Jagow)

Telegraphischer Bericht



Nr. 3

Therapia, den 24. September 1914

Antwort auf Tel. 13.

Ansicht Marschalls Liman, daß Neutralität Türkei Deutschland garnichts nütze, teile ich nicht. Ich glaube vielmehr, daß wohlwollende türkische Neutralität für uns gegenwärtig weit wertvoller ist, als verfrühte türkische Kriegserklärung. Türkei beherrscht zur Zeit die Meerengen und das Schwarze Meer; sie verfügt über eine mobilisierte Armee von über 1/2 Millionen und bedeutet deshalb wichtigen Faktor in allen Fragen des nahen Orients namentlich des Balkans. Da Türkei weiß, daß sie ihre Stärke fast ausschließlich unseren Offizieren verdankt, wird sie ihre Politik solange den Wünschen Deutschlands anpassen müssen, als sie unsere Offiziere braucht. Deutschland führt daher gegenwärtig die türkischen Angelegenheiten und ist durch die Türkei in der Lage, die Meerengen, das Schwarze Meer und bis zu einem gewissen Grade auch die Balkanfragen zu kontrollieren. Herr von Liman würde die uns wohlwollende Neutralität der Türkei nicht so gering einschätzen, wenn ihm die ungeheuren Anstrengungen bekannt wären, welche die Tripelenteten entfaltet um uns aus unserer hiesigen Stellung zu vertreiben. Ein zu eilig …[Gruppe fehlt]… der Türkei könnte leicht zu einem Echec der letzteren führen, womit das von uns aufgerichtete Gebäude zusammenbrechen würde. Jedenfalls ist es besser, daß die Türkei erst dann losschlägt, wenn die ihr zugedachten Aufgaben - Kaukasus, Egypten - genügend vorbereitet sind.

Daß die Türkei durch die von Herrn von Liman vorgeschlagenen Mittel zu einer Entscheidung im Interesse Deutschlands gebracht werden könnte, halte ich für ausgeschlossen. Das was wir der Türkei nach dem Vorschlag des Marschalls androhen sollen, entspricht genau dem, was die Ententemächte von der Türkei verlangen. Niemand kann eine Garantie dafür übernehmen, daß die Türkei bei dieser Identität der gegnerischen Wünsche und unserer Drohung nicht schließlich in die Entlassung unserer Offiziere willigt. Das wäre die größte Katastrophe, die für die deutsche Politik unter den gegenwärtigen Verhältnissen sich ereignen könnte. Wann die Türkei losschlägt, hängt von unseren Erfolgen, namentlich in Oesterreich, und von der Haltung Bulgariens ab. Unsere Aufgabe dürfte sein, die Türkei festzuhalten und ihre vorläufige Neutralität so gut als möglich auszunutzen. Ich sehe nicht ein, warum wir den hier mit den schärfsten Anstrengungen uns erkämpften Posten, um den wir von allen Mächten beneidet werden, einfach nur deshalb aufgeben sollen, damit einigen deutschen Offizieren Gelegenheit gegeben wird, sich in Frankreich oder Rußland, statt in der Türkei auszuzeichnen. Schreiten wir in unserem Siegeszuge fort, so tritt bestimmt in absehbarer Zeit der Moment ein, wo die Türkei eventuell auch ohne Bulgarien, entscheidend in die Ereignisse eingreifen wird. Eine plötzliche Kriegserklärung an Rußland würde wahrscheinlich der weit wichtigeren Expedition gegen Egypten ein frühes Ende bereiten.


[Wangenheim]


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