1914-09-26-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R 1914
Zentraljournal: 1914-A-24041
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Praesentatsdatum: 09/26/1914 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: .
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Das Nachrichtenbüro des Reichs-Marine-Amts (Jäckh) an den Unterstaatssekretär des Auswärtigen Amts (Zimmermann)

Schreiben


Berlin, den 26. September 1914

Hochverehrter Herr Unterstaatssekretär!

Darf ich Ihnen in der Beilage einen Bericht aus Konstantinopel überreichen, von dem ich nicht weiss, ob er auch Sie schon erreicht hat. Ich habe ihn auf privatem Wege erhalten. Der Bericht selbst ist vorzüglich. Vielleicht können wir uns heute abend über ihn unterhalten.


Mit den ergebensten Grüssen

Jäckh.

Anlage 1

Aus Unterredungen mit türkischen Vertrauensleuten.

Das Kabinett ist augenblicklich sehr stark in 2 Parteien gespalten. Auf der einen Seite Enver Pascha mit Djemal Pascha, auf der anderen Seite Djavid Bey und der Grossvesir. Talaat Bey, der im allgemeinen aus Freundschaft und aus Ueberzeugung die Pläne Envers unterstützt, steht in der augenblicklichen politischen Lage zwischen den beiden Parteien und zwar durch den Einfluß Djavids.

Die Stellung und der Anhang Djemal Paschas in der jetzigen Türkei darf neben Enver nicht unterschätzt werden. Wenn Envers Position und Volkstümlichkeit äusserlich wohl die Höchste ist, so ist doch Djemal die Hoffnung aller Intellektuellen. Er kommt mehr als jeder andere als Grosswezir in Frage. In seiner politischen Haltung rechnet er auch zweifellos mit der derartigen künftigen Eventualität. In jüngster Zeit hat er unter dem Eindruck der verschiedensten Vorkommnisse stark geschwenkt: er ist jetzt ausgesprochener Gegner Frankreichs und Englands und sieht das Wohl seines Landes in einem Zusammenwirken mit der deutschen Politik.

Djavid Bey ist für uns augenblicklich der Gefährlichste; ein skrupelloser Abenteurer, wohl feige aber ohne sonstige Hemmungsvorstellungen und völlig ausgehalten von Frankreich. In seinen antideutschen Handlungen wird er täglich unternehmender gestärkt durch Bompard, den die Botschafter Russlands und Englands secundieren.

Besonders gefährlich ist Djavid Bey durch den Einfluss, den er auf Talaat Bey ausübt; dieser, als Charakter und in seinem politischen Bekenntnis vortrefflich, hat eine grosse Schwäche: das Bewusstsein seiner positiven Ignoranz. Djavid, der als sehr gebildet gilt, imponiert ihm teils deswegen, teils durch seine grosse Schlagfertigkeit und Ueberredungskunst. Dieser unheilvolle Einfluss geht sogar so weit, dass Talaat Bey Entscheidungen gegen seinen Freund Enver trifft mit der zwar kindischen aber echt türkischen Begründung: „Djavid Bey ist eben soviel gebildeter als wir alle.“

Auf den Grosswezir ist keinerlei Verlass: ängstlich, auf seine Person und um seine Stellung bedacht und mit Rücksicht auf seine Einkünfte von England abhängig, ist seine Behandlung, weil er ägyptischer Grandseigneur, doppelt schwierig.

Im „Komitee“ herrscht eine absolute Mehrheit für ein energisches Zusammengehen mit Deutschland. Diese Stimmung wird im Volke durchgängig und sehr stark reflektiert, besonders bei den türkischen Frauen. Mehr diese Volksstimmung als die Majorität im „Komitee“ ist Enver Pascha’s Stärke. Die feindliche Stimmung ist zwar nur eine Minderheit, aber die ist einflussreich und weil skrupellos, sehr stark. Wenn sie augenblicklich nicht allzu offen auftritt, so geschieht dies nur aus Sorge, die Gefühle des Volkes nicht zu verletzen. Die Unterminierungsarbeit funktioniert umso besser. An der Spitze dieser deutschfeindlichen Richtung stehen: Djavid Bey, Dr. Nazim, Dr. Tefik Ruschti, Polizeidirektor Berdri Bey, Dr. Schakir Bachreddin, der Scheik ül Islam Hairi und der türkische Vertreter bei der Dette publique Hussein Djahid. Der Spiritus rector dieses Konsortiums ist der Graf Ostrorog, seines Zeichens I. Rechtsbeistand der Hohen Pforte. Er ist Pole mit etwas bewegter Vergangenheit, französischer Untertan, 2 Söhne kämpfen in der französischen Armee, seine Frau verlegte bei Kriegsausbruch ihren Wohnsitz nach Paris.

Nach einem officiellen Telegramm des ottomanischen Kommissars für Aegypten, das am 13. September hier eingetroffen ist, hat England den Abgang der „Heiligen Karawane“ nach Mekka verboten und verhindert. Der Fall ist einzig dastehend und für die islamische Welt ungeheuerlich. Das Zusammentreffen der sogenannten „Heiligen Karawane“ aus den verschiedensten Ländern des Islams in Mekka dient nicht so sehr religiösen Zwecken, sondern hat seine grössere Bedeutung in der Zusammenkunft und in den gemeinsamen Beratungen der Vertreter aller islamischen Völker. Für allgemeine Stimmungsmache und Ausgabe allgemein gehaltener politischer Direktiven ist diese Mekkazusammenkunft einzigartig und ungeheuer wichtig. Die Verhinderung einer vollständigen Zusammenkunft durch England wird in der ganzen islamischen Welt einen ausserordentlichen Eindruck machen. Man darf aus diesem Schritt Englands schliessen, dass es nach seiner Ansicht jetzt zum Aussersten gekommen ist.

Eine besondere Wichtigkeit besitzt gerade die aegyptische Karawane dadurch, dass sie die reichsten Geldmittel nach Mekka führt, und ferner durch den Umstand, dass sie zu ihren Teilnehmern die gelehrte Welt des Islams zählt. Diese kommen von der Universität zu Cairo, die in den Augen aller Bekenner des Islams als Stätte der Wissenschaft und der Pflege islamischer religiöser Kultur das höchste Ansehen geniesst.

England hat den gesamten Zeitungsdienst bezw. Zeitungsaustausch zwischen Aegypten und allen sonstigen islamischen Ländern unterbunden. Nach hiesiger Ansicht lässt dies auf besondere Vorkommnisse in Aegyten schliessen.

Talaat Bey, der Minister des Innern, hat auf besondere Veranlassung Djavid Bey’s sämtlichen hiesigen muselmanischen Blättern befohlen, vom 15. d.M. ab die täglichen Communiques der russischen, englischen und französischen Botschaft abzudrucken. Das war den Zeitungen bisher verboten und sie waren angewiesen, nur die deutschen Nachrichten wiederzugeben. Angesichts des intimen und fast täglichen Verkehrs Djavid Bey’s mit dem Botschafter Bompard ist dies nicht weiter erstaunlich.

Enver Pascha hat eine Broschüre drucken lassen in dem von allen Muselmanen Indiens verstandenen Ordu-Dialekt. In dieser Broschüre ist eine lange Sündenliste der Engländer aufgemacht mit der Aufforderung, dass jetzt die Zeit gekommen sei, sich von der englischen Vorherrschaft zu befreien. Den Vertrieb in Indien haben Süleiman Baruni und Talib (Abgeordneter von Bassar), 2 Vertrauensleute Envers für die indische Propaganda, übernommen.

Am 13. d. Mts. hat der türkische Gesandte in Sofia telegraphisch mitgeteilt, dass die Minister Frankreichs und Russlands der bulgarischen Regierung den Vorschlag gemacht haben, sich auf die Seite der Tripleentente zu stellen, wofür Bulgarien als Kompensation einen politischen Status des Friedens von San Stephano erhalten soll anstatt des neuen Friedens von Konstantinopel. Das jetzige Bulgarische Kabinett zögert naturgemäss, den Vorschlag anzunehmen. Da aber die genannten Gesandten diesen Vorschlag zu gleicher Zeit auch der Opposition bekannt gegeben haben, ist eine gewaltige Agitation gegen das Kabinett eingeleitet worden, dessen Stellung dadurch zur Zeit als erschüttert gelten kann.

Die englandfreundlichen Kundgebungen der indischen Muselmanen stammen durchgängig von einem indischen Notablen, Ali Emir Mehmet, der in London lebt, im Sold der englischen Regierung steht und solche Nachrichten fabriziert. Eine derartige Kundgebung hat die englische Botschaft am 11. d.Mts ausgegeben (siehe Anlage). Djavid Bey hat eine lebhafte Tätigkeit entfaltet, um die Aufnahme dieser Kundgebung in der türkischen Presse durchzusetzen. Es ist nur mit grosser Mühe gelungen, das in letzter Stunde zu verhindern.

Djavid Bey hat am 14. September mit Enver Pascha eine grosse Auseinandersetzung gehabt. Djavid behauptet, die Finanzlage könne die Kosten für das mobile Heer nicht mehr aufbringen und er verlangt daher die Demobilisation. Enver Pascha hat dieses Ansinnen abgelehnt, wollte sich höchstens dazu verstehen, dass ein geringer, leicht erreichbarer Prozentsatz der eingezogenen Truppen entlassen wird. Als dies Djavid Bey nicht genügte, hat Enver Pascha ihm gesagt, er würde selbst zur gegebenen Zeit das notwendige Geld beschaffen. Der Konflikt zwischen Enver und Djavid hat sich zugespitzt. Djavids Schritte werden seit einiger Zeit bewacht. Im Zusammenhang hiermit ist die Schwenkung zu registrieren, die Djemal Pascha vorgenommen hat. Er ist jetzt ausgesprochener Gegner der Tripleentente und sieht das Heil des Landes in einem Anschluss an die deutsche Politik. Er scheint sich zweifellos mit Enver Pascha über den Plan eines gemeinsamen Handelns gegen die übrigen Mitglieder des jetzigen Kabinetts verständigt zu haben. Dieser Umstand ermöglicht es wiederum Enver, eine schärfere Haltung gegen Djavid Bey einzunehmen.

Das Telegramm, das Seine Majestät der Kaiser an den Sultan anlässlich seines Geburtstages gerichtet hat, soll hier einen ausserordentlichen Eindruck gemacht haben, besonders bei den am Hofe verkehrenden Persönlichkeiten. Bei der Gratulationscour habe dieses Telegramm das Tagesgespräch gebildet. Auch die Depeschen, die aus Berlin gekommen sind über die Aufnahme der Aufhebung der Kapitulationen in der deutschen Press, haben hier einen günstigen Eindruck gemacht.

In der Kriegsschule Pankanldi hat man unter den Schülern ca. 10 Tartaren und Kaukasier gefunden, die russische Spione waren. Die Polizei hat sie verhaftet.


Anlage 2


La dépêche suivante du Foreign Office en date du 9 septembre a été reçu par l’Ambassade de Sa Majesté Britanique:

Le Comité de la Ligue Islamique de toutes les Indes s’est réuni et a adopté les résolutions suivantes:

Le Comité de la Ligue Islamique de toutes les Indes désire transmettre, par l’intermédiaire du Secrétaire d’État pour les Indes, aux troupes indiennes de sa Majesté ses vœux pour leur succès dans l’occasion qui leur a été accordée de participer, avec leur camarades d’armés britaniques, à la défense de l’Empire sur les champs de bataille d’Europe.

Le Comité désire exprimer sa conviction que dans la lutte titanique, ou se trouve impliquée les nations d’Europe les États Musulmans feront tout ce que dépendra d’eux pour éviter d’être emportés par le tourbillon, et que le Gouvernement Turc maintiendra fermement la neutralité que jusqu’ici il a fidèlement observé, et qu’on ne permettra pas que le peuple ottoman soit forcé par des influences néfastes de se départir tant soit peu de l’observation rigoureuse de ses engagements

Ambassade d’Angleterre,


Therapia, le 11. Septembre 1914.



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