1914-10-24-DE-002
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Quelle: DE/PA-AA/R 1914
Zentraljournal: 1914-A.S.-2364
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Telegramm-Abgang: 10/24/1914 01:00 PM
Telegramm-Ankunft: 10/24/1914 05:50 PM
Praesentatsdatum: 10/24/1914 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 1094
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Der Botschafter in Konstantinopel (Wangenheim) an das Auswärtige Amt

Telegraphischer Bericht


Therapia, den 24. Oktober 1914
Nr. 1094
Im Anschluß an Telegramm Nr. 1087.

Markgraf Pallavicini traf gestern auf der Pforte mit Halil und Talaat Bey zusammen. Letzterer teilte dem Botschafter mit, daß soeben ein Telegramm des Türkischen Botschafters in Rom eingetroffen sei, wonach die Italienische Regierung die Türkei warne, ihre Neutralität aufzugeben, da sonst die Italienische Regierung in eine schwierige Lage komme. Diese italienische Kundgebung erwecke bei ihnen lebhafte Bedenken, ob unter den obwaltenden Umständen ein Losschlagen der Türkei opportun sei. Eine Aktion der türkischen Flotte allein würde einen Stoß in die Luft bedeuten und keinerlei Widerhall in den übrigen islamitischen Ländern finden. Die türkischen Ziele seien nicht genügend vorbereitet. Ein nachhaltiges türkisches Auftreten im Kaukasus werde durch die vorgeschrittene Jahreszeit erschwert, der Vormarsch gegen Egypten sei erst in 6 Wochen möglich und überhaupt ausgeschlossen, wenn Rumänien die Durchfahrt für Automobile usw. inhibiere. Es sei wohl besser noch einige Zeit womöglich bis zum Frühjahr zu warten. Obgleich Markgraf Pallavicini die Bedenken Halils und Talaat Beys teilt und auch entsprechend berichtet, hat er sich unmittelbar nach der Unterredung mit den Genannten zu Enver begeben und diesem sein Befremden über die plötzliche Zaghaftigkeit seiner Kollegen angesprochen. Enver hat den Botschafter beruhigt. Dagegen hat der österreichische Militärattaché einen, wie er unserem Militärattaché sagte, „geharnischten“ Protest gegen das unzeitgemäße Eingreifen der Türkei an den österreichischen Generalstab gerichtet und dabei bemerkt, es sei unverantwortlich, wenn durch die türkische Aktion Österreich einem Angriff Italiens ausgesetzt werden sollte.

Für die flaue Stimmung im türkischen Lager sorgen nach meinen Beobachtungen außer den Botschaftern der Triple-Entente auch der Italienische Botschafter und der Bulgarische Gesandte. Marquis Garroni sagte mir, ein verfrühtes Losschlagen der Türkei sei ebenso im italienischen wie im deutschen Interesse bedauerlich. Deutschland sei augenblicklich Herr der Meeresengen und beherrsche von da aus mit Hilfe der türkischen mobilisierten Armee die Situation am Balkan. Bleibe die Türkei neutral, so werde Deutschland auch nach Friedensschluß die erste Rolle in der Türkei spielen. Trete die Türkei in den Kampf ein, so werde sie möglicherweise versagen und in ihren Zusammenbruch Deutschland mit hineinziehen. Herr Toscheff äußerte Bulgarien würde ein türkisches Eingreifen in dem Falle mit Freuden begrüßen, wenn ein Erfolg der Türkei gesichert sei. Erleide die Türkei indessen einen Echec so werde ein solcher der russo-philen Partei in Bulgarien das Übergewicht verschaffen und Bulgarien ebenso wie Rumänien gegen die Türkei und also auch gegen Deutschland und Österreich auf den Plan führen. Die Türkei solle noch warten bis Bulgarien fertig sei.

Enver Pascha läßt mir sagen, er sei nach wie vor entschlossen, den sofortigen Kriegsausbruch mit Rußland herbeizuführen. Djemal Pascha stehe ganz auf seiner Seite. Halil und Talaat Bey dagegen begännen wieder zu zweifeln, ob der Zeitpunkt glücklich gewählt sei. Beide seien sichtlich beeinflußt durch die Intrigen Toscheffs, der mit allen Mitteln eine Verzögerungspolitik betreibe. Nach seiner, Envers, Ansicht, müsse man versuchen Ghenadieff mit Geld beizukommen, dieser sei bestechlich und jetzt einer der Hauptmacher im Kabinett Radoslawoff. Morgen Sonnabend abend findet ganz vertraulich eine Besprechung der Kabinettsmitglieder und des Comités bei Enver Pascha statt. Am Sonntag mittag werde dem Großwesir Vortrag gehalten werden, dabei solle die Entscheidung fallen.

Enver Pascha wird den unterschriebenen Befehl heute noch Admiral Souchon versiegelt zusenden mit der Anweisung, ihn erst in See auf telegraphischen Befehl zu öffnen. Sind Großwesir bezw. die Mehrheit des Kabinetts zum Losschlagen entschlossen, so werde Enver Pascha dem Flottenchef telegraphieren:

„Versiegelten Befehl öffnen,“ Wird dagegen die Eröffnung der Feindseligkeiten abgelehnt, wird Enver Pascha telegraphieren: „Brief nicht öffnen“. Dies solle für den Flottenchef die Anweisung bedeuten, baldmöglichst einen Zwischenfall mit russischen Schiffen herbeizuführen, der dann den Anlaß zum Beginn der Feindseligkeiten geben würde. Enver Pascha setze seine Person dafür ein, daß auch im schlimmsten Falle der Bosporus dem Admiral immer offen bleibt. Um ein Dazwischenkommen irgendwelcher unerwarteten Vorfälle zu verhüten, bittet Enver Pascha den Flottenchef baldmöglichst mit den Schiffen ins Schwarze Meer zu gehen.

Ich habe den Eindruck, daß Enver Pascha persönlich bezweifelt, daß der Angriff Souchons mit der türkischen Flotte auf die Russen irgendwelche Wirkungen auf den Islam ausüben werde, wenn nicht gleichzeitig gegen Egypten und Kaukasus marschiert werde, was zur Zeit ausgeschlossen ist, daß er aber unter allen Umständen den mit uns geschlossenen Vertrag und das uns gegebene Versprechen einhalten will.


[Wangenheim]
[Zimmermann 24.10 an Jagow (Nr. 818)]

Prinz Hohenlohe las mir soeben die Meldung des Markgrafen Pallavicini über seine Unterredung mit Halil, Talaat und Enver vor. Danach hat der Botschafter allen drei Staatsmännern gegenüber nachdrücklich für sofortiges Losschlagen der Türkei plädiert. Prinz Hohenlohe betonte dabei noch, wie erfreulich es sei, daß Markgraf Pallavicini sich nunmehr offenbar auch von der Notwendigkeit und Nützlichkeit raschen Eingreifens der Pforte überzeugt habe.

[Zimmermann]
[Jagow an Zimmermann (Nr. 312)]

Auf Nr. 818.

Bitte Constantinopel drahten:

"Italien befürchtet Uebergreifen islamitischer Bewegung auf Lybien. England wird ihm Solidarität seiner Interessen mit Egypten klarzumachen suchen. Trotzdem halte ich italienische Warnung für Bluff. Türkische Mobilisierung hat bereits großen Eindruck in Italien gemacht u. auf kriegslustige Geister dämpfend gewirkt. Losschlagen der Türkei würde noch stärker wirken u. den Italienern klarmachen, daß nur freundliche Stellungnahme zu Türkei u. uns lybische Interessen zu schützen vermag. Jedenfalls würde Versicherung Envers an italienischen Botschafter nützlich sein, daß türkische Machthaber islamitische Bewegung nicht nach Lybien übertragen wollen.

Wir rechnen bestimmt darauf, daß Enver dem von unserer Heeresleitung gebilligten Plan entsprechend jetzt unverzüglich vorgeht. Wichtig ist, daß auch Expedition nach Egypten sogleich eingesetzt wird, ob Eintreffen erst später erfolgt, ist von geringer Bedeutung.

Türkei hat sich durch Schließung der Dardanellen bereits vor Rußland und England so sehr compromittirt, daß diese auch bei Nichtlosschlagen sich später unbedingt rächen würden.


[Bethmann Hollweg an Botschaft Rom (Nr. 15)]

Baron Wangenheim meldet, daß türkischer Botschafter in Rom nach Constantinopel telegraphiert hat, die italienische Regierung warne Türkei vor Aufgeben ihrer Neutralität, da italienische Regierung sonst in schwierige Lage käme.

Natürlich wird England versuchen, Italien von Solidarität seiner lybischen Interessen mit Egypten und von Gefahr Übergreifens islamitischer Bewegung auf Lybien zu überzeugen. Demgegenüber ist dortiger Regierung vorzustellen, daß islamitische Bewegung von Lybien aus abgehalten werden kann, wenn Italien der Türkei und uns gegenüber freundliche Haltung einnimmt. Türkei wird dann dafür sorgen, daß Lybien vor islamitischer Bewegung geschützt wird und Interessen Italiens als Freund nicht gefährdet werden. E.E. wollen hinzufügen daß wir im Falle unseres Sieges Italiens Stellung im Mittelmeer zu stärken bestrebt sein würden.



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