1914-11-12-DE-003
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Quelle: DE/PA-AA/Konstantinopel 95; Blatt 39-40
Erste Internetveröffentlichung: 2012 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/14/2019


Der Leiter des Deutschen Archäologischen Instituts in Athen (Georg Karo) an den Botschafter in Konstantinopel (Wangenheim)

Schreiben


Athen, den 12.11.1914

Hochverehrter Herr Botschafter,

Durch Herrn v. Hoesslin erfahre ich eine Angelegenheit, die Sie vielleicht interessieren könnte. Auf den Inseln und auf dem griechischen Festlande befinden sich gegenwärtig 3 - 400000 griechische Flüchtlinge aus Thrakien und Kleinasien, fast alle türkische Untertanen, viele nur der türkischen Sprache mächtig. Sie haben sich (bis jetzt vergeblich) bemüht, nach Kleinasien zurückzukehren; denn sie wollen lieber in ihrer alten Heimat unter türkischer Herrschaft leben als sich in Griechenland auf den von der griechischen Regierung ihnen angewiesenen Territorien anzusiedeln, die nach ihrer Ansicht viel weniger wert sind als ihr früherer Besitz. Sie berufen sich dabei auf die Bestimmung des Griechisch-türkischen Abkommens, dass zur Abwanderung aus der Türkei und Entschädigung durch Grundbesitz in Griechenland niemand gezwungen werden solle. Bei der griechischen Regierung haben sie bisher kein Entgegenkommen gefunden; Venizelos hat sich ihnen gegenüber ziemlich abweisend verhalten und sie darauf aufmerksam gemacht, dass sie nur mit griechischen Schiffen, die der Controlle seiner Regierung unterstünden, nach Kleinasien zurückkehren könnten. Ihre Vertreter haben sich daraufhin an den Grafen Quadt gewandt (durch Vermittlung Herrn v. Hoesslins), mit der Bitte, einige von ihnen zu empfangen. Sie wollten ihm die Sachlage auseinandersetzen und ihn bitten, die deutsche Regierung für ihre Wünsche zu interessieren, und auch dem türkischen Gesandten hier nahe zu legen, dass er bei der Hohen Pforte die Erlaubnis zu ihrer Rückkehr befürworten möge. Wenn man ihnen Garantien gäbe, unverfolgt in Kleinasien leben zu können, würden sie loyale Untertanen der Türkei bleiben.

Graf Quadt hat diese Bitte a limine [ohne Prüfung der Sache] abgewiesen; er könne nicht für dieselben Leute eintreten, deren Presse sich erst vor kurzem so feindlich gegen Deutschland ausgesprochen hätte. Darauf haben sich die Leute an die hiesigen Gesandten des Dreiverbands gewandt. Elliot hat sie empfangen und ihnen versprochen zu thun was er könne, die beiden anderen haben wenigstens ihre Denkschrift entgegengenommen.

Hoesslin, dem die Sache sehr am Herzen liegt, wird sie unserem Auswärtigen Amte auf irgend einem Wege zur Kenntnis bringen. Als er mit mir vertraulich davon sprach, fiel mir ein, dass eine Unterstützung dieser Flüchtlinge im gegenwärtigen Augenblick unserer Politik dienlich sein könnte. Drum bat ich Hoesslin um Erlaubnis, Ihnen darüber zu schreiben, denn wenn in der Sache etwas geschehen kann, sind Sie doch in erster Linie in der Lage, das zu beurteilen, und auch der einzige Mann, der es in die Tat umsetzen könnte. Nach Hoesslins Worten scheint mir die englische Vertretung hier nicht abgeneigt, diese Flüchtlinge entweder als Banden nach Kleinasien zu dirigieren, oder doch diese Gruppe Unzufriedener hier in einer für die Türkei unerwünschten Weise zu verwenden. Eine solche Anregung könnte auf fruchtbaren Boden fallen bei Leuten in solch’ verzweifelter Stimmung, deren ganzes Streben dahin geht, in ihre alte Heimat zurückzukehren. Die Not unter ihnen ist unsagbar und wächst ständig. Dennoch würden sie nur wenn alle anderen Wege versagten, zur Bildung von Banden bereit sein (es sind meist unkriegerische Leute), dann aber auch in ihrer Verzweiflung gefährlich werden können. Ueberlässt man sie jetzt ihrem Schicksal und der Einwirkung unserer Feinde, so könnten sie leicht auch als Mittel benützt werden, um den Gegensatz zwischen Griechenland und der Türkei noch zu verschärfen. England wünscht gewiss, Griechenlands Flotte und Heer (in Aegypten) gegen die Türkei zu verwenden, während, wenn ich Unwissender richtig sehe, wir alles Interesse daran haben, einen Conflict zwischen den Beiden in jeder Weise zu verhindern. Darum wollte ich Ssie in dieser Frage nicht in Unkenntnis lassen. Sie wissen ja, dass ich mich sonst nicht in Dinge mische, die mich nichts angehen und die ich ja auch nicht competent beurteilen kann.

In herzlicher Verehrung, Euer Excellenz dankbar ergebener


Georg Karo

[Das Etappenkommando der deutschen Marine in Konstantinopel am 27. 11. 1914 an Wangenheim]


S. Exz. dem Herrn Botschafter.Zum Schreiben v. Prof. Caro vom 12.11 giebt Enver Pascha folgende Antwort:

Rückkehr der griechischen Flüchtlinge ist ausgeschlossen. Es besteht ein stillschweigendes Übereinkommen mit Griechenland, an den jetzigen Zuständen nichts mehr zu ändern. Abweichung würde bei griechischer Regierung berechtigte Mißstimmung hervorrufen.

Im übrigen ist die Heimat dieser Leute überall mit mazedonischen Flüchtlingen besetzt. An der Küste kann sie Enver keinesfalls dulden, da sie meist schlechte, zumindest unzuverlässige Elemente sind. Durch ihre Ansiedelung in den Küstengebieten würden nur neue Unsicherheitszonen geschaffen werden.

Endlich fehlt es auch an Mitteln sie herüber zu schaffen, da die türkische Schiffahrt ruht und Venizelos offenbar nicht geneigt ist, sie auf griechischen Schiffen zu befördern.


Unterschrift



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