1914-11-13-DE-005
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Quelle: DE/PA-AA/R 20172
Zentraljournal: 1914-A-30771
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Praesentatsdatum: 11/13/1914
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Aufzeichnung Auswärtiges Amt




13. November 1914

Nachdem wir die Türkei in den Krieg hineingezogen haben, ergibt sich für uns die zwingende Notwendigkeit, ihre Versorgung mit Kriegsmaterial sicher zu stellen. Der Seeweg über Italien kann wegen der englischen und französischen Streitkräfte im Mittelmeer nicht benutzt werden. Der Landweg durch Rumänien ist seit Anfang Oktober gesperrt, da die rumänische Regierung unter Berufung auf die öffentliche Meinung jede Durchfuhr von Kriegsmaterial verweigert. Irgendwelche Aussichten, diesen Weg frei zu bekommen, sind auf absehbare Zeit nicht vorhanden. Mit der Ausübung von Druck- und Zwangsmitteln müssen wir sparsam umgehen, um Rumänien nicht vollends ins feindliche Lager zu treiben. Das Kabinett Bratianu steht auf schwachen Füssen und könnte nach Ansicht unseres Gesandten, die von Herrn Beldiman geteilt wird, an der Transportfrage scheitern, um einem aufgesprochen russenfreundlichen Ministerium Platz zu machen.

Der Versuch, die Donau für türkische Transporte nutzbar zu machen, ist bisher ohne Ergebnis geblieben. Solange der Fluß von den serbischen Batterien am Eisernen Tor beherrscht wird, könnte sich der Transport nur unter bulgarischer Flagge vollziehen. Bemühungen, eine bulgarische Dampschiffahrts-Gesellschaft ins Leben zu rufen, scheiterten am passiven Widerstand der beteiligten bulgarischen Stellen. Nach einem heute eingegangenen Telegramm aus Wien will zwar der bulgarische Ministerpräsident die Verhandlungen über diese Frage mit der Speditionsfirma Schenker wieder aufnehmen. Die Aussichten jedoch, daß rechtzeitig etwas zustande kommt, sind gering, da die Donau vielleicht schon von Anfang Dezember ab durch Eisgang gesperrt sein wird.

Hiernach bleibt für die Transporte nach der Türkei nur der Landweg durch die Nordostecke von Serbien übrig. Herr Reinhard Mannesmann ist nach Wien und Sofia abgereist, um die Öffnung dieses Weges zu betreiben. Sein Plan geht dahin, dass österreichische Truppen vom Norden, bulgarische Banden vom Süden gegen das fragliche Gebiet vorstossen und dieses von serbischen Streitkräften säubern sollen. Nach den bisherigen Erfahrungen steht zu erwarten, dass er in Wien kein Glück haben wird. Die österreichische Heeresleitung hat wiederholt erklärt, dass sie für den genannten Zweck keine Truppen erübrigen kann. Nur mit Hilfe von Banden ist aber die Aufgabe schwerlich zu lösen.

Unter diesen Umständen ist es von gösster Wichtigkeit, dass deutsche Truppen zur Verfügung gestellt werden. Nach dem Militärbericht Nr. 29 aus Sofia (Anlage 1) würden 50 - 60000 Mann österreichische und deutsche Truppen, die bei Orsowa die Donau überschreiten, ausreichend sein, um den Widertand Serbiens in Kürze endgültig zu brechen. Ist diese Berechnung richtig, so kann nicht dringend genug zur Durchführung des Unternehmens geraten werden. Wenn Deutschland nur 25 - 30000 Mann schickt, ist mit Sicherheit anzunehmen dass Österreich-Ungarn schon aus Gründen der Eitelkeit und des Prestige alsbald die gleiche Zahl verfügbar machen wird. Mit dem verhältnismäßig geringfügigen Einsatz von 25 - 30000 Mann würden wir erreichen:

1.) dass die türkische Armee von 700000 Köpfen operationsfähig bleibt und ihre Unternehmungen gegen Egypten und den Kaukasus fortsetzen kann, während die türkische Marine im Verein mit „Goeben“ und „Breslau“ die Herrschaft im Schwarzen Meer an sich reisst,

2.) dass Bulgarien seine Armee von 400000 Mann unseren Zwecken dienstbar macht,

3.) dass Rumänien mindestens neutral bleibt, womöglich sogar seine 500000 Mann statt gegen uns für uns marschieren läßt.

Können die zur Niederwerfung Serbiens erforderlichen Truppen nicht frei gemacht werden, so sollten wenigstens soviel Streitkräfte zur Verfügung gestellt werden, als zur Säuberung des serbischen Nordostzipfels benötigt werden. In seinem Telegramm vom 12. November (Anlage 2) schätz der Kaiserliche Gesandte in Sofia die hierfür nötige Streitmacht auf 20 - 30000 Mann, wovon Deutschland vielleicht 10000 zu stellen hätte.

Ernste Gefahr ist im Verzuge. Aus einem Telegramm des Kaiserlichen Botschafters in Konstantinopel vom 11. d.M. (Anlage 3) ergibt sich, daß zur Sicherheit der Meerengen schleuniger Nachschub von Minen erforderlich ist, und der Türkei auch Munition schon jetzt empfindlich zu mangeln beginnt. Der Militärattaché in Konstantinopel meldet heute, daß die vorhandene Munition kaum für zwei Schlachen ausreicht (Anl. 4). 200 Minen sind nach Konstantinopel unterwegs und treffen dieser Tage in Budapest ein. Grosse Mengen von Munition sowie wertvolle sonstige Ausrüstungsgegenstände, insgesamt rund 400 Waggons, liegen teils auf ungarischen Strecken, teils in Deutschland versandbereit. Gelingt es uns nicht, dies Kriegsmaterial in den nächsten Wochen nach Konstantinopel durchzubringen, so wird die Türkei bei Fortsetzung des Kampfes binnen kurzem in schwerste Bedrängnis geraten, aus der wir sie selbst dann nicht befreien könnten, wenn uns auf dem europäischen Kriegschauplatz schliesslich ein restloser Sieg beschieden sein sollte. Die Frocierung der Dardanellen würde in greifbare Nähe rücken und damit nicht nur das Schicksal Konstantinopels, sondern auch dasjenige von „Goeben“ und „Breslau“ besiegelt sein. Unsere politische und wirtschaftliche Stellung in der Türkei würde für immer verloren sein. Der Zorn des im Stich gelassenen türkischen Freundes und des gesamten Islams würde sich gegen alles, was deutsch ist, wenden und an unseren zahlreichen Landsleuten im Orient, an unseren grossen wirtschaftlichen Unternehmungen (Bagdad-Bahn) Vergeltung üben.

Die Folgen einer Enttäuschung der Türkei wären von so unübersehbarer Tragweite, dass wir es unter keinen Umständen darauf ankommen lassen können. Sind wir nicht in der Lage, die Schaffung des Transportweges für einen nahen Termin, etwa Anfang Dezember, zu garantieren, so bleibt uns nichts anderes übrig, als das Praevenire zu spielen und der Türkei eine schleunige Aussöhnung mit ihren Gegnern anzuraten. Jetzt ist es hierzu noch nicht zu spät. Die Triple Entente würde den reuigen Sünder voraussichtlich gern in Gnaden wieder aufnehmen, wenn er „Goeben“ und „Breslau“ ausweist, unsere Marine- und Militärmission entlässt und sich auf der ganzen Linie von Deutschland lossagt. Wir selbst müssten uns der Türkei gegenüber mit der Leistung dieser Busse einverstanden erklären.

Schleuniges Handeln ist schon deshalb geboten, weil die Agenten der Tripel Entente mit Erfolg an der Arbeit sind, uns Bulgarien abspenstig zu machen. Verzögern wir die Lösung des Transportproblems auch nur um Wochen, so laufen wir Gefahr, in Bulgarien den gleichen Widerstand zu finden, wie jetzt in Rumänien. Denn wenn man in Sofia erst merkt, dass die Munition in der Türkei knapp wird, werden dort von unseren Gegnern geschürt sicherlich die alten Aspirationen auf Adrianopel und Konstantinopel wieder aufleben. Eine bulgarische Aktion gegen die Türkei aber wäre gleichzeitig das Signal für einen aktiven Anschluß Rumäniens und Griechenlands an die Entente. Alle anderen militärischen Aufgaben sollten daher hinter die Beendigung des serbischen Feldzuges, zum minden hinter die Öffnung des Transportweges durch Serbien zurücktreten.

Die Niederkämpfung Serbiens oder - wenn diese nicht durchführbar - auch schon die Besetzung der serbischen Nordostecke hätte die weiteren Vorteile

1. daß sie russischen Transport von Mannschaften und Kriegsmaterial nach Serbien unterbinden,

2. daß sie den Bezug von Lebensmitteln und Rohstoffen für Deutschland aus Bulgarien und der Türkei sicherstellen,

3. daß sie Rumänien die Lust verleiden würde, uns bei der Ausfuhr seiner Produkte nach Deutschland Schwierigkeiten zu bereiten.

Serbien scheint der Punkt zu sein, wo wir zur Verbesserung unserer militärischen und politischen Position mit einem Minimum von Kraftaufwand ein Maximum an Gewinn erzielen könnten.

Erscheint es inopportun, deutsche Truppen nach Serbien zu schicken, so könnten sie vielleicht nach Galizien oder Polen an die österreichische Front entsandt werden, um von den dortigen Truppen unseres Verbündeten eine entsprechende Zahl für das serbische Unternehmen freizumachen.


[Notiz Rosenberg 30.11.]

Diese Aufzeichnung ist privatbrieflich an Prinz Stolberg gesandt und von diesem zurückgegeben worden. Ein Abdruck davon ist am 14. Nov. mit Privatschreiben des Herrn stv. St. S. dem stv. Chef des Generalstabes des Feldheeres General von Falkenhayn übermittelt worden.



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