1914-11-14-DE-004
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Quelle: DE/PA-AA/R 20172
Zentraljournal: 1914--
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Der Generalstab (Nadolny) an Auswärtiges Amt

Schreiben


Grosses Hauptquartier, den 14. November 1914

Abschrift

1 Anl.

Anbei eine Abschrift der bereits inhaltlich mitgeteilten, von beachtenswerter Quelle aus Rom stammenden Nachricht.


[Nadolny] 12.12.
Anlage

Abschrift zu A 30890.

Rom, den 4. November 1914

Das türkische Eingreifen hat auch hier in Rom natürlich sehr starken Eindruck gemacht. Denn den Italienern wird dabei um ihre Kolonie in Lybien bange, und auch Erythrea befindet sich in einer nicht ganz beneidenswerten Lage. Wenn auch auf dem Wege über Deutschland die beruhigsten Versicherungen über die Haltung der Araber in Lybien gegeben werden, so darf man doch nicht vergessen, daß die Italiener sehr wohl wissen, daß, selbst wenn alle Versprechungen der Türken ehrlich gemeint sind, es eben doch vielleicht nicht in ihrer Macht steht, schließlich jegliche Gegenbewegung gegen die Italiener in Lybien zu verhindern. Ich kann persönlich diesen Bedenken nicht Unrecht geben, denn ich weiß, daß Enver bei seinem Abschied aus der Cyrenaika den Scheiks fest versprochen hat, sie nie zu vergessen, und bei gegebener Gelegenheit den alten Kampf gegen Italien wieder aufzunehmen. Enver kann nun nicht gut sein Prestige in Arabien dadurch aus Spiel setzen, daß er die Tripolitaner vernachlässigt, wenn es zu der allgemeinen Abrechnung in Nordafrika kommt, die doch zweifellos einsetzen wird, wenn der Schlag gegen Egypten gelingt.

Darin liegt eben die Gefahr der Aktion gegen Egypten für Italien, daß es vor aller Welt offenbar wird, daß es in Lybien eigentlich noch herzlich wenig zu Hause ist. Wenn Italien nun sicher wäre, daß eine Parteinahme für uns vor Unruhen bewahren würde, so wäre es denkbar, daß es zu einer klareren Stellungnahme sich entschließen würde, wenn nicht der Name Enver eine Popularisierung derartiger Versuche sehr erschweren würde.

Andererseits würde Italien vielleicht den Treibereien Englands folgen, und sich gegen die Türken wenden, wenn es nur wirkliche Geranien hätte, daß England mit seiner Flotte imstande ist, trotz Egyptens Lybien zu schützen. Aber man traut eben England auch in Italien nicht mehr allzu viel zu. Und diese Bewertung Englands, die sich wohl mehr psychologisch - wenn ich so sagen darf im Unterbewußtsein des Volkes abspielt - ist meiner Meinung nach eine besondere Folge des Eingreifens der Türkei zu unseren Gunsten. Es ist die alte Geschichte, wenn einer in der Kompagnie „schlapp“ macht, dann folgen meist mehrere nach, das Beispiel wirkt ansteckend. In unserem speziellen Fall handelt es sich aber um doch mehr als um das Beispiel. Der kleine Mann sagt sich, und wenn er auch noch so feindlich gegen uns ist, die Deutschen müssen doch stärker sein, sonst gingen die Türken nicht mit ihnen. Und wenn er sich auch gegen den Gedanken des deutschen Erfolges und deutscher Überlegenheit innerlich wehrt, es bleibt eben hinterher doch eine instinktive Neigung nach der Seite hin, nach der schon „der andere“ sich bereits geneigt hat. Das wissen die Engländer auch, und gerade aus diesem Grunde des „schlechten Beispieles“ scheint mir ihr deutlicher Ärger über die Türkei so groß, nicht bloß aus Besorgnis wegen Egyptens.

Da die Italiener nicht wissen, wo ihr Weizen eventuell blühen kann, werden sie wohl nichts besseres tun können, als neutral zu bleiben. Eine neue Schwierigkeit würde jedoch entstehen, wenn England als letztes Pressionsmittel die Schließung der Meerengen von Gibraltar vornehmen würde, eine Maßregel, mit der der türkische Botschafter für Ende Dezember rechnete, da er diesbezügliche genauere Mitteilungen angeblich erhalten habe.

Das neue Ministerium ist noch nicht definitiv gebildet, doch scheint es ziemlich sicher, daß Sonnino das Äußere übernimmt, und damit alle Wünsche, die wir im Augenblick an ein neues Kabinett richten können, erfüllt erscheinen. Ob allerdings Sonnino auf Grund seiner englischen Blutsverwandtschaft auch jetzt noch sich so klar als Dreibundfreund zeigen wird, muß abgewartet werden, aber man darf hoffen, daß er unnötige Reibungen vermeiden wird. Darauf, daß die Regierung schon jetzt alles vermieden wissen will, was gegen uns unnötig aufhetzt, oder unsere Kriegslage ungünstig erscheinen lassen könnte, darauf deutet die Maßnahme der Agenzia Stefani hin, wonach in den letzten Tagen wiederholt Telegramme der Havas über sehr ungünstige englische Preßstimmen einfach nicht veröffentlicht worden sind.

Abschrift A 31027 pr. 15. November 1914 pm.

Telegramm:

Vertreter der Gesamtheit der Kadi und Chech von Südost Algier und Gebiet östlich eintreffen heute mitteilen, daß sie alle Franzosen auf ihrem Gebiet verjagt haben, sie warten nur auf Zündhütchen, die ich in Italien kaufe, um mit 100000 Mann nach Norden zu marschieren, große Zahl Gewehre vorhanden.

Dr. Otto Mann


Tripolis, den 4. November 1914.

Ich bestätige ganz ergebenst den Empfang des Schreibens vom 22. X. und zweier Geldanweisungen.

In den letzten Wochen haben in Gebieten südlich von hier die für ziemlich sicher galten, zwei Überfälle stattgefunden.

1. Es wurde eine 500 Soldaten zählende Karawane, die mehrere 100000 francs mit sich führte, von mehreren tausend Kamelreitern des Mohamed Sunni in einem Wald überfallen, nachdem eine aus den hiesigen Arabersoldaten bestehende Patrouille der Karawane gemeldet hatte, der Wald sei vom Feind frei. En Major, mehrere Offiziere und 80 italienische Soldaten sowie sämtliche Erythräer Soldaten wurden getötet, obwohl sie sich ohne Kampf ergeben hatten. Der Rest, der aus hiesigen Arabersoldaten bestand, trat zu Mohamed über.

2. Angriff auf etwa 150 italienische und Erythräer Soldaten, die Feldarbeiten von Arabern überwachten, durch Kamelreiter des Mohamed. Alles tot.

Durch das Eingreifen der Türkei in den Krieg, worüber die hiesigen Zeitungen nichts veröffentlichen durften, wird zweifellos das Selbstbewußtsein der Araber noch gestärkt und die Situation der Italiener verschlechtert werden, wenn nicht rechtzeitig die arabischen Führer im Innern von Lybien darüber aufgeklärt werden, daß der Krieg der Türkei sich nicht gegen Italien richtet.

Sollte das neue Ministerium weniger argwöhnisch sein, so könnte die Botschaft vielleicht folgendes zur Sprache bringen: „Da ich stets abgelehnt habe, mit Arabern in Verbindung zu treten, die mir als Feinde der Italiener bezeichnet wurden, so sind die Angriffe der Zeitungen unberechtigt. Vielleicht würde es aber zur Beruhigung der arabischen Bevölkerung beitragen, wenn die Regierung das Kaiserliche Konsulat ermächtigen wollte, mündlich und schriftlich mit den einflußreichsten Arabern des Landes in Verbindung zu treten, um ihnen mitzuteilen, daß Italien mit Deutschland verbündet und mit der Türkei befreundet ist und daß der Deutsche Kaiser daher von allen Arabern erwartet, daß sie keine feindlichen Handlungen gegen Italien unternehmen werden.“

Sollte die italienische Regierung den Verkehr mit den Arabern freigeben, so würde ich mit den Chefs eine Zusammenkunft im Innern des Landes vereinbaren und Stimmung für den Kampf gegen Engländer und Franzosen machen können. Mein ….

Reschid Bey hat, wie ich heute erfahre, früher auf dem Konsulat erklärt, daß er große Lager von Mausergewehren hier vergraben habe. Er könnte vielleicht gefragt werden, ob er seine Waffen für Algier zur Verfügung stellen will.

………


[Dr. Mann]


Berlin, den 15. November 1914

Abschrift zu A 30890/A 31027.

1. Pera

Nr. 1249.

Nach beachtenswerter Quelle ist in Italien Meinung verbreitet, Enver habe seinerzeit beim Abschied aus der Cyrenaika den Scheiks versprochen, er werde sie nie vergessen und bei gegebener Gelegenheit den Kampf gegen Italien wieder aufnehmen. Zur Beseitigung hierauf gegründeten italienischen Mißtrauens würde wesentlich beitragen, wenn Enver Senussi zu Ergebenheitskundgebung für Italien veranlassen könnte. Schleunige nachdrückliche Einwirkung auf Mohammedaner in Tripolis erscheint dringend erwünscht, da dort Mohamed Sunni noch Ende Oktober zwei erfolgreiche Überfälle auf italienische und erythräische Soldaten vollführt hat.

2. Rom Botschaft

Nr. 734.

Wie verlautet, soll Mohamed Sunni südlich von Tripolis noch Ende Oktober zwei erfolgreiche Überfälle auf italienische und erythärische Soldaten vollführt haben. Wir bringend Gerücht in Konstantinopel zur Sprache und dringen auf nachdrückliche Einwirkung auf Senussi. Anheimstelle Verständigung dortigen Regierung.

Geheim. Bitte Konsulatsverweser Tripolis telegraphisch anweisen, die Stämme unauffällig aber nachdrücklich über Freundschaftsverhältnis Italiens zu Deutschland und Türkei aufzuklären und zum Kampf gegen unsere Feinde zu ermuntern. Sehr erwünscht wäre Kundgebung der Senussi für Italien.


[Zimmermann]



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