1914-11-27-DE-002
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Quelle: DE/PA-AA/R 20173
Zentraljournal: 1914--
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Memorandum Bethmann Hollweg





Ziel unserer Politik muß selbstverständlich sein, den gegenwärtigen mit ungeheuren Opfern geführten Krieg durch einen Frieden zu beenden, der nicht nur anständig, sondern auch dauerhaft ist. Um die Erreichung dieses Ziels zu fördern, halte auch ich es für erwünscht, einen Keil zwischen unsere Feinde zu schieben, und mit einem oder dem anderen Gegner tunlichst bald zu einem Separatfrieden zu gelangen. Dabei gehe ich von der Voraussetzung aus, daß derartige Anregungen zu einem Separatfrieden nicht von uns ausgehen dürfen, sondern unseren Gegnern überlassen bleiben müssen. Jeder, auch der leiseste Versuch von unserer Seite, in der Angelegenheit die Initiative zu ergreifen, würde unfehlbar als Eingeständnis eigener Schwäche ausgelegt werden und unsere Feinde nur zu engerem Zusammenschluß und energischerer Fortsetzung des gemeinsamen Kampfes gegen uns veranlassen. Daß die Verbindung zwischen unseren Gegnern noch völlig unerschüttert ist und ernste Neigungen zu Separatverhandlungen mit uns bisher sich von keiner Seite bemerkbar gemacht haben, muß ausdrücklich betont werden.

Von unseren Hauptgegnern erscheint mir der ungefährlichste Frankreich. Die Republik ist nicht aus eigener Neigung, sondern der Not gehorchend in den Krieg eingetreten. Der Krieg ist in Frankreich nicht populär und hat inzwischen gewaltige Opfer gekostet. Wenn Frankreich trotzdem standhält, so erklärt sich dies aus der von uns anfänglich wohl stark unterschätzten militärischen Hilfe Englands und der französischen Hoffnung auf die russische „Dampfwalze“. Läßt erstere, wie es den Anschein hat, nach und erweist sich letztere als trügerisch, so wird sich der meines Erachtens vom ganzen französischen Volke lebhaft gehegte Wunsch nach Frieden ohne Rücksicht auf die Verbündeten Bahn brechen und die Regierung zu entsprechender Betätigung zwingen. Frankreich ist aber bereits derartig geschwächt, daß wir nicht allein auf einen anständigen, sondern auch auf einen dauerhaften Frieden mit ihm würden rechnen können. Von dem Revanchegedanken für 1970/71, der um das Jahr 1900 nahezu vergessen war und seither durch Eduard VII, Rußland und gewissenlose ehrgeizige Politiker nur künstlich wieder belebt, keineswegs indes zum nationalen Gedankengut geworden war, wird Frankreich durch den gegenwärtigen Krieg gründlich geheilt.

Unsere beiden anderen Hauptgegner, England und Rußland, schätze ich gleich ein. Beide werden, solange uns eine energische Abrechnung mit ihnen nicht gelingt, eine ständige Bedrohung für uns bilden. Der Entschluß, mit England den Kampf bis zum äußersten durchzuführen, scheint mir derartig allgemein und feststehend zu sein, daß ich von weiteren Erörterungen zu seiner Begründung an dieser Stelle wohl absehen darf. Anders steht es mit Rußland. Wiederholt ist mir gegenüber bereits die Frage aufgeworfen worden, ob sich nicht ein Separatfrieden mit diesem Reiche für uns empfehlen möchte. Ich habe diese Frage stets verneint und kann auch heute nur nachdrücklich den gleichen Standpunkt vertreten.

Wir dürfen meines Erachtens einen Separatfrieden mit Rußland zunächst schon aus Rücksicht auf Österreich-Ungarn nicht anstreben. Der Weltkrieg ist durch die panslavistischen Treibereien Rußlands angefacht worden. Diese richten sich gegen unseren Bundesgenossen Österreich-Ungarn. Der bisherige Verlauf des Krieges hat den Beweis erbracht, daß fast sämtliche slavischen Teile der Donaumonarchie, insbesondere die Polen, Tschechen und Kroaten treu zum Hause Habsburg stehen. Diese Haltung dürfte nicht allein auf die Liebe zum angestammten Herrscherhause, sondern wesentlich auch auf das Vertrauen zu dem starken Bundesgenossen Deutschland zurückzuführen sein. Die Berichte unserer Vertreter in Österreich-Ungarn lassen keinen Zweifel darüber, daß die früher wenig freundliche Stimmung in den dortigen slavischen Landesteilen seit Ausbruch des Krieges völlig zu unseren Gunsten umgeschlagen hat. Schließen wir mit Rußland einen Separatfrieden, der auch nach einem entscheidenden Siege in Polen mit Rücksicht auf die Besetzung des größten Teils Galiziens durch Rußland für Österreich-Ungarn wohl kaum befriedigend ausfallen könnte, so wird nicht nur im Deutschtum, sondern auch bei den slavischen Völkern der Donaumonarchie das Vertrauen zur eigenen Kraft und zu unserer Stärke schwer erschüttert werden und Österreich-Ungarn sein weiteres Dasein nur kümmerlich zu fristen imstande sein. Rußland aber, das solchen Separatfrieden nicht als Mißerfolg, sondern als Sieg über Deutschland und Österreich-Ungarn aufzufassen und entsprechend auszulegen in der Lage wäre, würde zweifellos von Neuem mit seinen panslavistischen Treibereien einsetzen, dem das schwächere Österreich-Ungarn einen noch geringeren Widerstand als bisher entgegenstellen könnte. Der schleunige Verfall der Donaumonarchie wäre alsdann schwerlich zu vermeiden.

Wir dürfen ferner einen Separatfrieden mit Rußland auch aus Rücksicht auf die Türkei nicht wünschen. Die Türkei ist an unserer Seite in den Krieg eingetreten, weil sie in Rußland mit Recht ihren Erbfeind erblickt. Wenn, wie ich es auch an dieser Stelle nachdrücklich als unumgänglich notwendig bezeichnen muß, militärischerseits endlich darauf Bedacht genommen wird, den Transport nach Konstantinopel sicherzustellen und den Türken schleunigst die zum Kampf erforderlichen Waffen und Munition zu liefern, so wird dieser Bundesgenosse mit seiner Armee von 800000 Mann, seiner Flotte und den durch Erklärung des heiligen Krieges fanatisierten Anhängern des Islams im Orient und in Afrika uns wertvolle Dienste gegen unsere Feinde leisten können. Schließen wir mit Rußland einen Separatfrieden, so könnte die Türkei darin einen Verrat erblicken. Jedenfalls aber würde ihr Interesse an der Fortsetzung des Kampfes wesentlich erlahmen und es wäre ernstlich zu befürchten, daß sie uns England gegenüber versagte. An der Erhaltung der Freundschaft der Türkei haben wir indes nicht nur ein politisches, sondern auch ein hervorragend wirtschaftliches Interesse. Ein Rußland, das von uns nicht ernstlich besiegt worden, wird nicht allein seine panslavistischen Treibereien, sondern mit Hochdruck auch seine für die Türkei verhängnisvolle bisherige Politik wiederaufnehmen. Dadurch würde unser Betätigungsgebiet in Kleinasien aufs ernsteste gefährdet werden. Da uns die wirtschaftliche Betätigung in England und den englischen Kolonien nach dem Friedensschluß erheblich erschwert werden dürfte, müssen wir aber um so größeren Wert legen auf die Erhaltung und Erweiterung unseres Betätigungsgebiets in der Türkei.

Endlich erscheint auch unser eigenstes Interesse uns auf energischste Niederkämpfung Rußlands hinzuweisen. Der Russe ist nicht unser Freund. Wir könnten uns wohl mit ihm auf Kosten Österreich-Ungarns für einige Zeit verständigen, indem wir seinen Expansionsgelüsten nachgeben. Das Endziel Rußlands ist aber Zusammenschluß sämtlicher Slaven des Balkans und der Doppelmonarchie unter seinem Szepter. Hält uns schon die selbstverständliche Treue gegenüber Österreich-Ungarn von Förderung dieses Ziels ab, so spricht noch die sehr praktische Erwägung dagegen, daß Deutschland den Druck eines solchen gewaltigen Slavenreiches zweifellos nicht vertragen könnte. Wir müssen meiner Überzeugung nach aus eigenstem Selbsterhaltungstrieb uns mit aller Kraft derartigen Expansionsgelüsten Rußlands widersetzen. Wenn wir aber mit unserem östlichen Nachbarn jetzt nicht gründlich abrechnen, so haben wir mit Sicherheit neue Schwierigkeiten und einen zweiten Krieg mit ihm schon in wenigen Jahren zu gewärtigen. Gelingt es uns dagegen, Polen zu besetzen und Galizien von den Russen zu säubern, so können wir zuversichtlich hoffen, Rußland gänzlich niederzuzwingen. Denn wir würden bei solchem energischen Vorgehen gegen Rußland alsbald auch die Neutralen, namentlich Bulgarien, Rumänien, vielleicht sogar Schweden für uns gewinnen und dürften auch auf Erfolg unserer Revolutionierungsversuche rechnen können. Hiernach glaube ich dringend empfehlen zu müssen, von einem Separatfrieden mit Rußland abzusehen. Ich würde es vielmehr für angezeigt halten, uns in Frankreich lediglich auf die Defensive zu beschränken und unseren dortigen Besitzstand nur mit einer Truppenmacht zu verteidigen, die für den Zweck unbedingt notwendig ist. Alle irgendwie disponiblen Truppen wären alsdann gegen Rußland einzusetzen. Für einen Separatfrieden kann meines Erachtens zunächst nur Frankreich in Betracht kommen.

Sollten unsere militärischen Kräfte zur Durchführung der vorstehend skizzierten Aufgaben (Defensive Behauptung unserer Stellungen in Belgien und Frankreich, Eroberung Polens und Säuberung Galiziens) nicht ausreichen, so könnte nur ein solcher Separatfrieden mit Rußland in Frage kommen, der vollste Zustimmung Österreich-Ungarns und der Türkei findet. Die Initiative hierzu müßte, wie oben dargelegt und schon mit Rücksicht auf die russische Psyche unerläßlich ist, von Rußland ausgehen. Dies wäre meines Erachtens am ehesten dadurch zu erreichen, daß Serbien vollständig niedergeworfen wird. Ist Serbien zusammengebrochen, so hat Rußland wenigstens als Protektor des Slavismus eine herbe Lektion erhalten und sein Prestige als slavische Vormacht nicht nur bei den slavischen Brüdern, sondern auch bei den übrigen Balkanvölkern schwer kompromittiert. Es würde in diesem Falle nicht mehr auf eine Unterstützung der anderen Balkanstaaten rechnen können, sondern deren Gegnerschaft gewärtigen müssen. Für billige Friedensbedingungen, also etwa territorialer Status quo gegen uns, Österreich-Ungarn und die Türkei, sowie mäßige Kriegsentschädigung in Gestalt einer Anleihe, dürfte Rußland alsdann voraussichtlich zu haben sein. Ein solcher Separatfrieden würde den unverkennbaren Vorteil haben, daß wir nicht allein unsere, sondern auch die österreichisch-ungarischen Truppen gegen Frankreich freibekämen, uns den Weg durch die Türkei nach Egypten eröffneten und der italienischen sowie rumänischen Sorge mit einem Schlage ledig wären.

Gerade wenn unsere militärische Stoßkraft zu Zweifeln Anlaß geben sollte, kann meines Erachtens nicht dringend genug empfohlen werden alle verfügbaren Kräfte, eventuell den letzten Mann der Landwehr und des Landsturms, schleunigst gegen Serbien anzusetzen. Serbien ist nach meiner Überzeugung der Punkt, wo wir zur Verbesserung unserer militärischen und politischen Situation mit einem Minimum von Kraftaufwand ein Maximum an Gewinn erzielen können.



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