1914-12-01-DE-006
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Quelle: DE/PA-AA/R 20174
Zentraljournal: 1914--
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Militärbericht Nr. 165
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Der Militärattaché in Bukarest (Günther Bronsart von Schellendorff) an das Kriegsministerium

Militärbericht



Nr. 165.

Bukarest, den 1. Dezember 1914

Abschrift.

Die serbenfreundliche Haltung Rumäniens.

Die Neutralität Rumäniens war nur bei Beginn des Feldzuges einigermaßen unparteiisch. Sehr bald, und allmählich mit immer größerer Deutlichkeit, ist die Tendenz hervorgetreten, die Tripleententemächte und deren Gefolgschaft zu begünstigen, Deutschland, Österreich und deren Verbündete dagegen zu benachteiligen. In den letzten Monaten hat sich die Liebe der Rumänischen Regierung im steigenden Maße den Serben zugewandt: zunächst wurden die russischen Donauzufuhren für Serbien nicht nur zugelassen, sondern sogar teilweise unterstützt, dann wurde die Ausfuhr vieler im allgemeinen verbotener Artikel von Rumänien nach Serbien heimlich gestattet, und jetzt wird auch der Schmuggelhandel, der sich zwischen den beiden Donauhäfen Turnseverin und Kladowa herausgebildet hat, ruhig geduldet und sogar indirekt begünstigt.

Der Grund für diese Haltung liegt nicht allein in der Omnipotenz des deutschfeindlichen Finanzministers Costinescu, der angeblich seine Instruktionen von dem hiesigen russischen Gesandten empfängt, und gegen welchen König und Ministerpräsident bisher machtlos sind, sondern noch mehr in dem Interesse, welches Rumänien daran hat, daß der Widerstand Serbiens gegen die vorrückende österreichische Armee möglichst lange am Leben erhalten wird. Dies Interesse beruht auf folgenden Erwägungen:

Für Deutschland und Österreich ist die Verbindung mit Bulgarien und der Türkei gegenwärtig von der allergrößten Wichtigkeit. Solange die Bahnverbindung Belgrad-Sofia und der Schiffahrtsverkehr auf der Donau zwischen Orschowa und Widdin von den Serben beherrscht wird, sind wir darauf angewiesen, unsere Transporte für die Türkei und Bulgarien durch Rumänien zu leiten, - ein anderer Weg existiert nicht. Da wir nicht die Mittel haben, Rumänien manu militari unseren Willen aufzuzwingen, hängst es so zu sagen von der Gnade der rumänischen Regierung ab, ob und welche Transporte sie durch das Land hindurch lassen will. Diese günstige Kombination wird denn auch in weitestem Maße ausgebeutet. entweder um für die Durchfuhrerlaubnis unserer Erzeugnisse Kompensationen zu verlangen, oder um die Durchfuhr derselben durch ein ganzes System raffinierter Chikanen zu erschweren, oder auch um die Durchfuhr gewisser besonders wichtiger Artikel einfach zu verbieten; letzteres geschah beispielsweise mit den Kriegsmaterialtransporten, wodurch unsere Aktion in Bulgarien und der Türkei bis zu einem gewissen Grade kontrekarriert wurde. Diese für Rumänien so vorteilhafte Situation hat mit einem Schlage ein Ende, sobald sich die Bahn über Nisch im Besitze der österreichischen Truppen befindet, oder das Donauufer zwischen Orschowa und Widdin von den Serben gesäubert ist. Denn dann können wir unsere Transporte nach Bulgarien und der Türkei führen, ohne das rumänische Bahnnetz benutzen zu müssen.

Hierzu kommt noch ein weiterer Gesichtpunkt. Rumänien besitzt zur Zeit vier Wege, um mit dem Ausland in Verbindung zu treten.

1. durch Rußland über Ungheni,

2. durch Ungarn über Predeal oder den Rothenturmpaß,

3. durch Bulgarien über Dedeagatsch,

4. durch Griechenland und Serbien über Salonik-Nisch.

Von diesen Wegen kann der erste ohne weiteres ausgeschieden werden, denn das russische Reich ist selbst nicht in der Lage die rumänischen Bedarfsartikel zu liefern und kommt für den Transit, solange der Hafen von Archangelsk vereist ist, nicht in Frage. Den zweiten und dritten Weg hat sich Rumänien durch seine feindselige Haltung im allgemeinen und seine Intransigenz in der Munitionstransportfrage im besonderen verscherzt, denn es versteht sich von selbst, und es wissen die Rumänen auch ganz genau, daß Ungarn und Bulgarien Kriegsmaterial überhaupt nicht , oder nur unter ganz bestimmten Garantien nach Rumänien lassen werden, und daß man auch sonst wohl daran denken wird, Rumänien die vielen Unfreundlichkeiten und Zollplackereien mit gleicher Münze zurückzuzahlen. Es bleibt den Rumänen also nur die Linie Saloniki-Nisch-Prahovo-Turnseverin, für den freien und ungehinderten Verkehr mit dem übrigen Europa insbesondere mit den Tripleententemächten. Von dem Augenblicke an, wo Nisch von den österreichischen Truppen besetzt wird, ist Rumänien von Ungarn und Bulgarien tatsächlich „eingekreist“ und gerät damit in unsere Abhängigkeit, denn über Dedeagatsch - ein Weg, dessen Benutzung so wie so manche Schwierigkeiten hat - würde Bulgarien die für Rumänien bestimmten Waren doch nur mit dem Einverständnis Österreichs und Deutschlands passieren lassen.

Man kann es deshalb den Rumänen nachfühlen, daß das Vorrücken der österreichischen Armee in Serbien ihnen gewisse Beklemmungen bereitet, und daß die öffentliche Meinung anfängt nervös zu werden bei dem Gedanken an den bevorstehenden Verlust der letzten freien Verbindung mit dem Auslande, - dies ganz besonders seitdem man weiß, daß das rumänische Kriegsministerium versucht, Kriegsmaterial und Rohstoffe für die Fabrikation von Kriegsmaterial, die es bei uns und in Österreich nicht mehr bekommen kann, von den neutralen und Tripleententemächten zu beziehen. Welchen Wert die rumänische Regierung auf die Verbindung über Saloniki legt, geht unter anderem daraus hervor, daß sie erst kürzlich einen regelmäßigen Schiffsverkehrt zwischen Turnseverin und Prahovo eingerichtet hat, und daß das Kriegsministerium in Saloniki eine ständige Kommission etablieren will, um die schnelle Weiterbeförderung der für Rumänien bestimmten Transporte zu betreiben.

Wenn somit Rumänien ein lebhaftes Interesse daran haben muß, die Bahn über Nisch noch möglichst lange im Besitze der Serben zu sehen, so haben wir andererseits ein gleich großes Interesse daran, Rumänien seine letzte Verbindung mit dem neutralen bezw. deutschfeindlichen Auslande abzuschneiden. Es kann dies schließlich nur dadurch geschehen, daß die österreichischen Truppen Nisch besetzen oder daß die bulgarische Armee in Mazedonien einrückt. Da aber die österreichische Offensive in Serbien nach den bisherigen Erfahrungen auch weiterhin nur langsam vorwärts gehen wird, und da man sich auf die Bulgaren nur in bedingtem Maße verlassen kann, so wäre für den Augenblick schon viel gewonnen, wenn man bulgarische Komitagis dazu bringen könnte, die Bahn Saloniki-Nisch an mehreren Stellen nachhaltig zu zerstören.


[von Bronsart
Oberstleutnant im Generalstabe und Militär-Attaché in Bukarest.]


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