1914-12-22-DE-004
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Quelle: DE/PA-AA/R 19938
Zentraljournal: 1914-A.S.-36519
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Praesentatsdatum: 12/29/1914 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 328
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Der Botschafter in Konstantinopel (Wangenheim) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Telegraphischer Bericht



Nr. 328.

Pera, den 22. Dezember 1914.

Dragomanatsaspirant Seiler berichtet aus Bagdad unterm 1. Dezember d.Js. über die Vorgänge in Basra:

„Wie ich Euerer Exzellenz bereits telegraphisch zu berichten die Ehre hatte, habe ich hierher zurückkehren müssen.

Meine Ausreise von Bagdad hatte ich mit der ersten Fahrgelegenheit, einem Truppentransportdampfer, am 18. v.M. in Amara gemacht, wo mich der dortige Mütessarif von der Unmöglichkeit, Basra zu erreichen, unterrichtete und mich aufforderte, in Amara zu bleiben. Diese ganz unbestimmt gehaltene Mitteilung konnte mich jedoch nicht von der Pflicht befreien, so weit wie möglich vorzudringen zu suchen, um zuverlässige Nachrichten über den Stand der englisch-türkischen Kämpfe zu erhalten. Auch erschien es nicht ratsam, den Dampfer, die einzige Verbindung nach vor- und rückwärts zu verlassen.

In Gemässheit des in Amara am 21. v.M. aufgegebenen Telegrammes setzte ich darum die Reise fort, die mich am 23. v.M. in das Hautquartier des türkischen Oberkommandierenden Dschawid Pascha, nach Ozeir führte. Ozeir ist ein kleines, trockenes Araberstädchen mit guten Verbindungen nach allen Seiten am rechten Tigrisufer, nicht weit von dem Zusammenflusse der beiden Ströme.

Dschawid gab mir alsbald einen zusammenhängenden, anscheinend vorher überlegten Bericht über die Lage, dessen Auszug ich Euerer Exzellenz durch Ziffertelegramm vom 23. v.M. gehorsamst wiedergegeben habe. Es sagte:

Gegen seinen Befehl seien die Kanonen von Basra nach dem - wie seinerzeit verlautete - jeglicher Bestückung entbehrenden Fort von Fao gebracht worden, wo sie von den englischen Schiffsgeschützen zusammengeschossen worden seien. Die Engländer seien darauf in der - für die Türken völlig unerwarteten - Stärke von einer Division (12000 Mann) stromaufwärts gezogen, was zu einem Zusammenstoss bei Beljanie geführt habe. Das dortige Gefecht sei sehr erbittert gewesen. Nach Angaben von Überläufern hätten die Engländer an Toten und Verwundeten je etwa 750 Mann verloren, auch sei der englische Oberbefehlshaber verwundet worden. Wie hoch die eigenen Verluste gewesen seien, und wer eigentlich Sieger geblieben sei, erwähnte Dschawid nicht. Doch dürften die Verluste der türkischen Truppen nicht wesentlich geringer sein, und die Tatsache ist, dass der nicht einmal über 10000 Mann verfügende Dschawid sich zurückziehen und sogar Basra aufgeben musste.

Die Engländer waren darauf, so fuhr Dschawid fort, auf dem rechten Flügel durch ihre Kanonenboote, auf dem linken durch die den Scheichs von Kuweit und Mohammerah ergebenen Araberstämme gedeckt, in nördlicher Richtung auf Basra zu vorgerückt und ständen jetzt südlich davon.

Den englischen Kanonenbooten aber sei die Durchbrechung der Barre von Mohammerah gelungen, worauf sie vor Basra erschienen seien. Dass dies möglich war, dürfte nach den Erzählungen der seinerzeit in Bagdad durchfahrenden Ekbatanaleuten und den Andeutungen Dschawids darauf zurückzuführen sein, dass die EKBATANA infolge des törichten Vorgehens der türkischen Marinebehörden so schlecht versenkt wurde, dass schon damals die Notwendigkeit eingesehen wurde, die Sperre durch Versenkung von Leichtern zu ergänzen. Gleichwohl ist es den Engländern gelungen, die EKBATANA, die über Wasser lag, bei Seite zu ziehen und so einen Durchgang für ihre Kanonenboote zu schaffen.

Dschawid fügte, ohne den Standort seiner Truppen (wahrscheinlich Gurna) bekanntzugeben, hinzu, dass er Ozeir als Hauptquartier gewählt habe, weil es Eufrat und Tigris beherrsche. Er schloss damit, dass die Lage zu irgendwelchen Befürchtungen keinen Anlass gebe.

Diese optimistische Auffassung der Lage hat sich bis heute erhalten und wird neuerdings in steigendem Masse von türkischer Seite vertreten. Allerdings, wenn ja auch ein weiteres Vordringen der Engländer über die von ihnen inzwischen in Basra eingenommene Stellung hinaus aus taktischen Gründen vorläufig unwahrscheinlich oder gar unmöglich ist, so ist andererseits die Möglichkeit ihrer Vertreibung aus Basra einstweilen - sollten nicht aussergewöhnliche Umstände, wie das derzeitige, gewaltige Hochwasser, den Türken zu Hilfe kommen - kaum anzunehmen und dürfte jedenfalls geraume Zeit in Anspruch nehmen.

Denn hierzu ist nicht allein eine bedeutende Vermehrung der türkischen Streitkräfte, sondern auch die Herbeischaffung von Kanonen und Minen erforderlich. Der Vorrat an ausgebildeten Mannschaften aber dürfte, nachdem inzwischen noch etwa 3000 Mann auf den Kriegsschauplatz gesandt worden sind, in Bagdad so ziemlich erschöpft sein; damit kommen nur noch die Zurückrufung von Truppen aus dem Norden, die Ausbildung neuer Truppen mit zweifelhaftem Menschenmaterial und die Organisation der Araberstämme, soweit sie regierungstreu sind, in Frage.

Wieweit beüglich des letzten Punktes auf Erfolg zu rechnen ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Gross scheint aber die Kriegsbegeisterung der Beduinen für die türkische Sache trotz der Erklärung des heiligen Krieges nicht zu sein. Auch hat sich, ganz abgesehen von den Scheichs von Kuweit und Mohammerah, nun auch Said Talib durch seine Flucht zu diesem offen auf Seiten der Engländer gestellt.

Über die Zusammensetzung des englischen Heeres hat sich bisher zuverlässiges nicht in Erfahrung bringen lassen.

Sämtliche angeführten Massnahmen für eine Rückgewinnung Basras erfodern viel Zeit und sind des Erfolges durchaus nicht sicher, da auch die Engländer nicht müssig bleiben dürften.“


Wangenheim



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