1915-01-05-DE-001
Deutsch :: de
Home: www.armenocide.net
Link: http://www.armenocide.net/armenocide/ArmGenDE.nsf/$$AllDocs/1915-01-05-DE-001
Quelle: DE/PA-AA/R 19941
Zentraljournal: 1915-A-687
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Praesentatsdatum: 01/06/1915
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Ernst Passe von der "Könischen Zeitung" an den Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt (Zimmermann)

Schreiben



Köln, den 5. Januar 1915

Eurer Exzellenz

beehre ich mich in der Anlage zu unterbreiten : 1) Drei vertrauliche Berichte des Herrn v. Mach aus Sofia (Nr. 117, 118, 120).

2) Einen Brief unseres Konstantinopeler Berichterstatters an Herrn v. Mach vom 18. Dez. 1914.

3) Einen vertraulichen Bericht unseres Berichterstatters in Tokio vom 12. Nov. 1914, der Sie vielleicht persönlich interessiert.

4) Einen Vorschlag meines an der holländischen Grenze sitzenden Kollegen Müllendorff über die Behandlung des Hirtenbriefes des Kardinals Mercier, die mir angemessen erscheint und die ich in ähnlicher Form abdrucken möchte, falls der Veröffentlichung nicht anderweitige Gründe entgegenstehen. [Berichte 3 und 4 hier nicht veröffentlicht, weil sie nicht die Türkei betreffen]

Ich darf wohl wiederum bitten, die Berichte, soweit der Inhalt dies erfordert, wie der Bericht v. Machs Nr. 118 und der Brief aus Konstantinopel, als persönlich zu behandeln.

Mit vorzüglicher Hochachtung Eurer Exzellenz sehr ergebener


Ernst Passe
Anlage 1

Vertraulich

No. 117

Sofia, 23. Dezember 1914

Voraussichtliche Entwicklung.


Die Türken sind mit Kriegsvorrat nicht so reichlich versehen, dass sie ein halbes Jahr ohne Nachschub Krieg führen könnten. Die Frage des Nachschubes ist daher für uns wichtig genug. Die theoretisch dafür möglichen Wege sind 1) über Rumänien - Schwarzes Meer, 2) donauabwärts bis Bulgarien, dann mit der Bahn, 3) über Dedeagatsch - Eisenbahn Adrianopel und Konstantinopel. - Der erste Weg ist schon geschlossen. Der zweite Weg ist für die Türken nicht benutzbar, da die Bulgaren sich weigern, auf ihren den Ungarn abgemieteten Donaudampfern türkische Bestellungen zu befördern. (Die Weigerung ist nicht endgültig; man will nur das Aufsehen vermeiden und verlangt, dass die Sachen nicht mit türkischen Adressen versehen und sogleich für jedermann kenntlich sind.) Inzwischen haben die Serben auf die Minierung des serbischen Donauufers aufmerksam gemacht, und wahrscheinlich werden die Bulgaren auch für sich einstweilen den Donauweg nicht benutzen können. Ausserdem droht der Winter die Schiffahrt anzuhalten. Der dritte Weg ist in grösserem Stil auch nicht mehr benutzbar. Durch die Agenten der Schiffahrtgesellschaften in Dedeagatsch haben die Regierungen des Dreiverbandes erfahren, dass dort als Durchfuhrgüter nach der Türkei viele Sendungen, wahrscheinlich auch für das Heer bestimmte, angekommen und weiterbefördert worden sind. Die drei Gesandten haben in Sofia Beschwerde geführt und mit einer Sperrung des Hafens Dedeagatsch gedroht. Darauf hat gestern der türkische Gesandte von hiesiger zuständiger Seite die mündliche Aufforderung erhalten, spätere Sendungen nach einem bulgarischen Orte zu richten, die in Dedeagatsch ankommenden Sachen zu verzollen und sie dann über die türkische Grenze zu schaffen. Aber selbst wenn das möglich ist, wird der Argwohn des Dreiverbandes eine umfangreiche Ausnutzung verhindern.

Da wir für die Türken eine rechtzeitige und sichere Zufuhr brauchen, so bleibt nichts übrig, als die Öffnung des Weges über Serbien, des einzig brauchbaren Weges (Bahn Pest-Belgrad-Sofia-Konspl). Nach dem österreichischen Misserfolg wird man jetzt 200000 Mann gebrauchen. Rechnet man von dem Tage des Überschreitens der Donau bis zur Besetzung von Nisch einen Monat, was knapp gerechnet ist, und einen zweiten Monat bis zur Ankunft der ersten Kriegsvorratnachschübe in der Türkei, so wird das Unternehmen schon im Januar beginnen müssen, damit die Türken Ende März oder Anfang April mit dem Nötigen versehen sind. Das ist wohl die äusserte Frist.

Danach wird Bulgarien, durch dessen Gebiet die Sendungen gehen müssen, sich etwa in der ersten Hälfte des Februar zu entscheiden haben. Man glaubt hier, dass der Einmarsch in Mazedonien mit 100000 Mann geschehen kann, dass man gegen Griechenland noch 150000 Mann aufstellt und gegen Rumänien 200000 verfügbar hält.

Einer der Minister wird wahrscheinlich in der ersten Hälfte des Januar in Berlin sein und dort über einige noch nicht feststehende Einzelheiten verhandeln. Um der Regierung alle die Schritte, die zu einem Zusammenwirken Bulgariens mit dem Dreibund führen, zu erleichtern, vielleicht erst zu ermöglichen, bedarf es des Entgegenkommens in der Frage der Anleihe von 150 Mill. und der gewünschten Erklärung (s. Brief 115 vom 20. Dezember). Es könnte dann darauf hingearbeitet werden, dass in Berlin bei der Anwesenheit des Ministers der Vertrag über die Teilnahme Bulgariens am Kriege unterzeichnungsfertig gemacht werden muss.


Vertraulich

No. 118

Sofia, 23. Dezember 1914

Nachrichten aus Konspl.


1. Bei Konspl. stehen 400000 Türken unter Waffen.

2. Der Feldzug im Kaukasus wird im Winter einschlafen. Die Dinge stehen dort nicht schlecht; 50000 aufständische Mohammedaner haben sich bisher den Türken angeschlossen. Gegen Batum wird schwerlich Erfolg erzielt werden; es sind zu wenig Truppen dafür angesetzt, namentlich zu wenig Artillerie. Die ersten Unternehmungen gegen Batum wurden mit 300 Mann regulärer Truppen geführt.

3. Die türkische Armee, die gegen Aegypten vorgehen soll, steht noch zwischen Damaskus und Maan, ihre Ankunft am Suezkanal ist gegen Ende Januar zu erwarten.

4. Ein Übelstand ist der Mangel einer anerkannten zielbewussten und zuständigen Oberleitung. Zusammenwirken von Heer und Flotte mangelhaft. Reibungen zwischen türkischen Parteien im Offizierkorps haben aufgehört; es scheint überall guter Wille zu herrschen. Nicht alle deutschen Reformer sind für ihre schwierige Aufgabe geeignet. Man erwartet viel von dem Einfluss Goltz’.

5. Sehr störend wird die Einmischung des Kaisers empfunden. Es ist fraglich, ob er selbst sich die Befugnis, mitzubefehlen erhalten will, oder ob rückgratlose Untergebene ihn durch ihre Anfragen in die Lage bringen, wichtige Fragen zu entscheiden, bei deren Lösung nur sachverständige Fachmänner mitsprechen sollten. So wird bei dem Kaiser (in Charleroi) angefragt, ob der „Göben“ auslaufen soll oder nicht. Es ist unbedingt im Interesse unseres Vaterlandes erforderlich, dass die Operationen, im Westen u. im Osten und im Orient vor Störungen bewahrt werden.


----------------------------------

Die Nachricht, dass Bulgarien verweigert habe, 300 russische Geschütze in Dedeagatsch landen zu lassen, ist falsch. Nichts dergleichen sollte gelandet werden, schon deswegen nicht, weil die Geschütze mit der Bahn über Adrianopel hätten gehen müssen.


Vertraulich

No. 120

Sofia, 26. Dezember 1914

Entweder - oder.


Obgleich über die Wichtigkeit der Haltung der Balkanstaaten von Anfang an kein Zweifel herrschen konnte und also zielbewusste Schritte mit Tatkraft und Kraftbewustsein hätten getan werden sollen, ist der Balkan vernachlässigt worden. Die günstigen Gelegenheiten und Verknotungen von Interessen sind nicht benutzt worden. Erfolge der öu [österreichisch-ungarischen] Unternehmen sind ausgeblieben, die Widerstandskraft der Serben hat moralisch nur gewonnen; anderseits sehen wir geringes Ein­gehen unsrer Politik auf Wünsche, die neben den ungeheuren Werten, die auf die Karten des Spie­les gesetzt sind, für uns nebensächlich sein kön­nen, an Ort und Stelle auf dem Balkan aber grosse, sogar entscheidende Bedeutung haben.

Die Strömung in Rumänien gegen ÖU beruht auf der Hoffnung, dadurch Siebenbürgen u. die Bukowina zu gewinnen. Wenn die Dinge so weitergehen. wie bisher, dh ohne grosse Entscheidun­gen auf dem östlichen Kriegsplatz und ohne kraft­volles Durchdrücken auf dem Balkan, so ist anzu­nehmen, dass trotz mancher Hindernisse die uns feindliche Strömung in Rumänien durchbricht und zum Einrücken in Siebenbürgen treibt. In diesem Falle wird Bulgarien sicher die Dobrudscha zurückverlangen, wahrscheinlich mobilmachen und vielleicht in die Dobrudscha einrücken, gewiss aber die Donau nicht überschrei­ten. Wir würden von diesem Einschreiten Bulgariens nicht sobald Vorteile haben.

Die Macht der Strömung in Rumänien kann verringert werden, entweder durch öu Zugeständnisse oder durch ein schnelles überaus kräftiges Vorgehen gegen Serbien. So lange - wie jetzt noch - diese letztere Möglichkeit vorhanden ist, wird ÖU schwerlich die Frage der Zugeständnisse erörtern wollen, obgleich sich die Aussicht bieten könnte, gegen Teile von Siebenbürgen und die Bukowina die Anwartschaft auf ein grosses in irgendeiner Form mit ÖU verbundenes Polen einzutauschen. Es muss also gehandelt werden, wegen Rumäniens, Bulgariens und wegen der Türkei.

Wegen Bulgariens, weil das Erscheinen von Dreibundtruppen in Nisch die Bulgaren zum Vorgehen in Mazedonien und damit gegen Serbien-Russland treiben muss. Nach der Besetzung, viel­leicht gegen Griechenland, wird das bulgarische Heer für andere Zwecke frei, z.B. Besetzung Serbiens.

Wegen der Türkei, weil nur durch ein Vorgehen der Dreibundtruppen der Weg für die Be­förderung von Kriegsbedarf geöffnet werden kann.


* * *

Die in Aussicht genommenen fünf deut­schen und drei öu Armeecorps werden für die Unternehmung in Serbien genügen. Einen Monat Zeit wird die Unternehmung von der Überschreitung der Donau und Sawe bis zur Besetzung von Nisch und Negotin in Anspruch nehmen. In dieser Zeit muss der Vertrag und die Militärkonvention mit Bulgarien vorbereitet werden zur Unterzeichnung sobald bei Nisch die Dreibundkanonen sprechen. Rumänien bis dahin in Ruhe zu halten, ist die Aufgabe unsrer Diplomatie. Die Entwicklung von Macht beim Beginn der Unternehmung gegen Serbien wird die Diplomatie bei Rumänien sehr unterstützen können,

Um Bulgarien oder in diesem Falle richtiger den König, zur Unterzeichnung des Vertrages zu bestimmen, bedarf es hier einer anerkannten tatkräftigen militärisch-politischen Persön­lichkeit (aber nicht Feldmarschall vdGoltz, der auch hier zwar angesehen, aber wegen seiner Türkenfreundschaft den Widerspruch der russophilen Parteien besonders herausfordert, was doch besser vermieden wird). Der König schreckt vor ei­ner grossen Verantwortung zurück; er bedarf eines Druckes. Es ist ein Glück, dass General Sawwow, der auf den Feldmarschall einen ausgezeichneten Eindruck gemacht hat, entschieden auf unsrer Seite steht und der Mann ist, der dem König deutlich zu reden versteht.


Anlage 2
Konstantinopel, 18. Dezember 1914

Lieber Herr v.M.

Die ganz sichere Gelegenheit, die sich morgen bietet gibt mir die Veranlassung über die jetzige Lage hier etwas offener berichten zu können. Mein letzter Bericht war vom 14. d.M.

Ich muss wiederholen dass die Lage wenig erfreulich bleibt und dass auch die türkische Bevölkerung anfängt dies einzusehen. Nachdem nun endlich auch die Militärbehörde offiziell habe eingestehen müssen dass die Engländer auf dem Weg sind zwischen Basra und Bagdad; dass die Armee welche Aegypten erobern soll den Aufmarsch durch die Sinaiwüste kaum angefangen hat und es bloss einige zerstreute Kamelreiter der Stämme waren welche die Seite der Türken halten, die sich bis in der Nähe des Kanals gezeigt haben; dass die Syrische Küste beschossen wurde und dass ein Russischer Kreuzer im Hafen von Beyrut zwei Schiffe versenkte, und dass in den Dardanellen das Kasernenschiff Messudiseh von einem Torpedo versenkt wurde; seitdem heute dies alles schon zugegeben ist, wird den immer fortdauernden Siegesnachrichten von dem Kaukasus und aus Aserbeidjan noch weniger Vertrauen geschenkt als schon der Fall war.

Das Versagen der Oesterreicher in Serbien, nun schon zum dritten Male, womit die Herstellung der regelrechten Verbindung zwischen Zentral-Europa und hier wieder gescheitert ist und das Losschlagen von Bulgarien , worauf hier alles berechnet war, wieder sehr fraglich geworden ist, hat die pessimistische Auffassung der Lage hier wesentlich gesteigert. Und damit schwindet in gleichem Masse die - schon von Anfang an nicht besonders gross gewesene - Begeisterung für den im Bündnis mit Deutschland und OU [Österreich-Ungarn] angefangenen Krieg. Enttäuschung und Missstimmung werden hierdurch genährt und kommen denn auch täglich offener zum Ausdruck. Deutscherseits klagt die Militärmission über Zurücksetzung und Vernachlässigung. Man hält sie von der Front fern, man zieht die Deutschen Offiziere immer mehr aus wirklichen Kommandostellen zurück, man beachtet nicht ihre Vorschläge und Ratschläge, etc. Als Beweise dafür werden u.a. angegeben: Posselt Pascha war mit drei Offizieren nach Erzerum gesandt zu dem Zwecke, die Operationen gegen die Russen zu leiten. Die türkischen Paschas lassen ihn aber nicht aus der Festung heraus unter dem Vorwand, dass er die Befestigungen vervollständigen soll. Enver Pascha verlässt die Stadt, übergibt das Interim des Ministeriums dem Talaat - der jetzt Minister des Innern, tatsächlich auch des Ausseren, und dabei interemistisch Finanzminister, Kriegsminister und Marineminister ist - und die Charge vom Chef des Grossen Generalstabs, den Souchef, ohne Liman v.S. - der doch Generalinspektor der ganzen Armee ist - mit sich zu nehmen oder ihn von seiner Abreise zu verständigen.

Bei der Eröffnung der Parlamentssession war kein einziger der Deutschen Offiziere - auch Liman nicht - anwesend. Die ursprüngliche Absicht war allerdings, dass die ganze hier anwesende Mission in einer speziell für sie reservierten Loge der Ceremonie beiwohnen sollte und war dies auch schon von einigen Lokalblättern angekündigt worden. Daraufhin haben die türkischen Offiziere - denen der Zutritt im Parlament untersagt ist - unter Führung von drei Sektionschefs im Kriegsministerium gegen diese Bevorrechtung der Ausländer protestiert, und so wurde kein einziger Deutscher Offizier - auch der Liman nicht - eingeladen.

Goltz kam Sonnabend gegen Mitternacht hier an, wurde im Sirkedji Bahnhof u.a. aufgewartet von Talaat als stellvertretender Kriegsminister und vom stellvertretenden Generalsstabschef. Die Morgenblätter - türkische wie französische - verzeichneten diese Anwesenheit; den Abendblättern wurden die Namen Talaat und Ismail Hakki von der Zensur gestrichen, weil es falsch wäre, dass irgend jemand vom Kriegsministerium bei der Ankunft Goltz anwesend war, da diese die Kriegsverwaltung nichts angehe! Armer Goltz. Als ich ihn heute morgen sprach, sagte auch er schon dass er sich die Lage und die Stimmung hier doch anders vorgestellt hätte.

Suchon und v. Usedom Pascha dringen schon seit einem Monat darauf, dass die verfügbaren ganz brauchbaren Einheiten der Flotte - und die machen kaum die Hälfte der auf Papier verzeichneten aus - in zwei Geschwader verteilt werden sollten; das eine bestimmt für die Verteidigung der Dardanellen, das andere für das Schwarze Meer bestimmt. Es ist alles vergebens. Nach den Dardanellen will man nichts schicken in dem Glauben, die Schiffe wären dort überflüssig hinter den Minenversperrungen, und was die Operationen im Schwarzen Meere betrifft, hat man, nachdem der (ex) Goeben verwundet zurückgekommen ist, Suchon dringend nahegelegt, der (ex) Goeben nicht mehr der Gefahr ausser Gefecht gestellt zu werden auszusetzen, da man für ihn keinen Ersatz hat. Suchon schäumt, kann aber nichts machen, nachdem man ihm zu verstehen gegeben hat, dass es ihm frei stände nach der Heimat zurückzukehren. Der (ex) Goeben spielt seither die Rolle von Vogelscheuche. Diese wenig anziehende Tätigkeit beeinflusst immer mehr im negativen Sinne die gute Stimmung unter den Deutschen Besatzungen der Schiffe. Man soll die Leute schimpfen hören auf die Türkei, die Regierung und alles was türkisch ist, wenn sie bei Paulick oder Kohut (die Unteroffiziere) oder bei Kusch oder in Galata (die Matrosen) zechen. Die letzte Woche, als jetzt die Leute, nachdem schon siebzehn ihrer umgekommen oder getötet sind, alles Geld das sie bekommen sofort verzechen - da sie am nächsten Tag vielleicht auch schon tot sein werden (sic) - ist es schon mehrere Male vorgekommen dass sie in den öffentlichen Lokalen in Galata in gehobener Stimmung den Fez, den man sie aufgesetzt hat, zerrissen oder zertraten und ihre Mütze mit dem Deutschen Namensband wieder aufsetzten. Nicht allein ist von einer Waffenbrüderschaft zwischen Deutschem und türkischem Militär nicht das allergeringste zu spüren (auch nicht unter Offizieren), im Gegenteil meiden und schneiden sie sich gegenseitig und ganz sichtbarlich.

Türkischerseits klagt man dass die Militäraktion der Zentralmächte nicht der Erwartung entspreche, dass deshalb die Russen im Kaukasus so grossen Widerstand leisten; die Engländer, statt sich überall zurückzuziehen, vielmehr offensiv auftreten; und Bulgarien nicht an der Seite der Türkei gemeinsam losschlagen will gegen die Griechen. Besonders dieser Umstand hat die Türken sehr enttäuscht.

Anderseits werden die Regierungsleute hier jeden Tag sichtbar nervöser infolge des Ausbleibens von sichtbaren Erfolgen der Proklamation des Heiligen Krieges. Das Zögern Persiens, das Ausbleiben der allgemeinen Volkserhebungen in Aegypten, Tunis und Algerien - worauf man hier fest gerechnet hatte und dann auch sein Kriegsplan aufgebaut hatte - bringt die Leute in Verlegenheit, umsomehr als übereifrige jungtürkische Komitees in manchen Provinzstädten die Djihaderklärung zu einer allgemeinen Fremdenhetze ausgebeutet haben, die man nun wieder unterdrücken soll.

Auch hier in Kospel befindet man sich in Schwierigkeit wegen das Wegnehmen der fremden Klöster und Schulen und das Besudeln durch all zu sehr fanatisierte Hanum’s von den angehörigen Kirchen. Der neue Erzbischof Mgr. Dolci, der am 3. Dezember hier eintraf, ist eine sehr energische Persönlichkeit, und hat dem Botschafter Seiner Kaiserlichen Apostolischen Majestät sowie bei dem Gesandten Seiner Sehr Katholischen Majestät, und ebenso dem Botschafter des Deutschen Kaisers, „der gewiss im jetzigen Moment wohl keine Veranlassung habe, seine vielen Katholischen Untertanen durch ein stillschweigendes Gutheissen solcher Freveltaten gegen den Katholischen Glauben und Kirche zu verstimmen“ (sic Dolci) dringend aufgefordert, seine dringenden Schritte bei der Pforte um Redress und Genugtuung kräftig zu unterstützen. Mgr. Dolcis Auftreten hat bis heute in soweit Erfolg gehabt, dass Talaat die sofortige Räumung der schon von türkischen Buben- und Mädchenschulen okkupierten Klöster und Schulgebäude, worin sich Kirchen oder öffentliche Kapelle befinden, befohlen hat, und dass die freche türkische Jugend mit ihren herausfordernden Eltern oder älteren Geschwister sich nun sei es auch unter allerlei Schimpfausrufungen und Drohungen an die Adresse der Christen, daraus wieder zurückziehen müssen. Die inzwischen schon veräusserten oder weggeschleppten Mobiliar- oder Inventarstücke, das confiszierte Geld und die weggenommenen (geraubten) Wertsachen (u.a. aus den Effekten der hinausgesetzten Schüler und Schülerinnen) sind aber natürlich nicht mehr zurück zu erwischen.

Oesterreicherseits ist man nach der Pleyte in Serbien ganz down, und sagt man dort lieber nichts mehr. Der O.H. [H = Hungarian] Botschafter war allerdings schon von Anfang an für seinen Deutschen Kollegen von wenig oder keinem Nutzen und liess diesen bei allen Gelegenheiten die Kastanien allein aus dem Feuer holen.

Nach dieser mehr allgemeinen Uebersicht der Lage mögen noch kurz folgende tatsächlichen Ereignisse erwähnt werden.

3 Dezember hat (haben) ein (oder mehrere) englische(n) Unterseeboot(en) quer durch die Minensperre die Dardanellen aufgefahren bis bei Tschanak-Kalee und dort das Kasematschiff Messudieeh und ein Torpedoboot zum Sinken gebracht. Auch der Messudieeh war nach den Gefechten in 1912 mit dem Averoff so beschädigt worden dass er für nicht viel mehr als schwimmende Batterie dienen könnte. Zu diesem Zwecke war er dann auch am Eingange der Dardanellen stationiert. Das Englische Unterseeboot soll darauf von den türkischen Batterien bemerkt und in den Grund gebohrt sein.

Die Englische und Französische Flotte sollen die Beschießung der Dardanellenforts sehr energisch aufgenommen haben. In der Tat wurde am 10. December die gänzliche Räumung der Stadt Taschnak-Kalee und der Dörfer längs der Meerenge durchgeführt. Auch die fremden Konsuln mussten die Stadt unter Hinterlassung von ungefähr alles verlassen und vorläufig nach Gallipoli übersiedeln. Ein grosser Teil der Bevölkerung wurde hierher gebracht, wo sie streng abgesondert gehalten wird. Seitdem befürchtet man fortwährend das Durchdringen von feindlichen Unterseebooten selbst bis hier. Seit voriger Woche ist die vor Moda geankerte Flotte nach dem Innern des Bosporus in die dortigen Buchten verlegt worden; Torpedoboote fahren fortwährend Tag und Nacht zwischen Kavak und Marmara auf und nieder um nach Unterseebooten zu fahnden, und auf Prinkipo und Halki sind Batterien mit schweren Geschützen aufgeworfen und 10000 Mann Truppen, Artillerie und Infanterie einquartiert. Die Deutschen Schiffe auf der Reede bekamen die Erlaubnis ihre Ladungen auszuschiffen und müssen sich darauf nach Kurutschesmee oder Beicos zurückziehen.

Es scheint also dass man die Hauptstadt wenn auch nicht gefährdet dort als einigermassen bedroht erachtet.

Enver reiste am 9. Dezember von hier über Panderma nach Smirna um dort unter den sich untereinander streitenden Offizieren Ordnung zu schaffen und wurde schon am 12. zurückerwartet. Er ist aber noch immer draussen, und scheinen auch die Deutschen Offiziere wirklich nicht zu wissen wo er jetzt steckt. Man glaubt er sei nach den Dardanellen gegangen.

Seitens des Komitees und auch von der Botschaft wird das Verhalten des Thronfolgers seit einiger Zeit mit grosser Aufmerksamkeit verfolgt. Der Prinz hat niemals grosse Sympathien für Deutschland und das Deutsche Wirken hier bekundet und sprach in der letzten Zeit ziemlich offen seine Missbilligung über das jetzige Zusammengehen mit Deutschland aus. Die die vorige Woche erfolgte Ersetzung seines Oberkämmerers durch einen neuen Herrn, der bewährtes Mitglied des Komitees ist, soll damit eng zusammenhängen.

Hierbei eine Kopie für v.d.N. von diesem Berichte der wohl etwas lang geworden ist, aber auch die K.Z. [Kölnische Zeitung] wohl interessieren wird, auch wenn es natürlich nicht für Veröffentlichung geeignet und bestimmt ist.

Ich schliesse ebenso bei einen Kalender als allerdings geringe aber deshalb nicht weniger herzlich gemeinte Weihnacht- oder Neujahrsgabe bei meinen besten Wünschen gelegentlich der bevorstehenden Feiertage.

Wo die Briefe zwischen Bulgarien und Holland so lange zurückgehalten worden ist noch nicht aufgeklärt. Die Briefe am 17. Nov. in Sofia abgegangen waren erst am 27. in Holland. Die Sendungen am 21. abgegangen waren am 9. December noch nicht an ihre Bestimmung eingetroffen.

Ergebenste verbindliche Grüsse Euch Beiden stets Euer getreuester


[Unterschrift]

[Der besseren Lesbarkeit wegen wurde die Orthographie - der Autor ist Holländer - geringfügig korrigiert.]



Copyright © 1995-2024 Wolfgang & Sigrid Gust (Ed.): www.armenocide.net A Documentation of the Armenian Genocide in World War I. All rights reserved