1915-01-08-DE-007
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Quelle: DE/PA-AA/R 22404
Zentraljournal: 1915-A.H.-229
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Praesentatsdatum: 01/11/1915 p.m.
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Der türkische Botschafter in Berlin (Mahmut Mukhtar) an den Generalstabschef des Feldheees (Faleknhayn)

Schreiben


Berlin, den 8. Januar 1915

Abschrift eines Briefes von Mahmud Muktar [Mukhtar] an Exc. v. Falkenhayn.

Euer Exzellenz,

Es wurde mir gesagt dass der neue österreichische Oberbefehlshaber gegen Serbien von seiner Regierung erheblichere Mitteln erhalten hat um den dortigen Feldzug eine günstige Wendung geben zu können, und dass der Erzherzog Eugen sich entschlossen hat die Operationen in die Nord-Ost-Ecke Serbiens zu übertragen. So erfreulich diese Nachrichten auch lauten mögen, genügen sie doch nicht um mir die nötige Zuversicht zu verleihen, und um mit Sicherheit anzunehmen dass dem neuen Unternehmen ein rascheres und glücklicheres Ende beschieden sein wird, als es bisher der Fall war; um so mehr als heute in Folge der veränderten Kriegslage das Vorgehen auf jene Ecke Serbiens schwieriger sein dürfte als vorher.

Wenn man offiziellen serbischen Gerüchten Glauben schenken darf , was ich nicht verneinen kann, haben die Serben den Oesterreichern bis Ende 1914 im ganzen 610 Offiziere mit rund 60000 Mann gefangen genommen und 192 Geschütze , 86 Maschinengewehren, 492 Munitionswagen, 70000 Gewehre nebst 4 Fahnen erobert. Es leuchtet ohne weiteres ein was das für eine materielle und moralische Stärkung für die Serben und eine Schwächung für die österreichische Südarmee bedeutet. Dennoch möchte ich für die Zukunft das beste hoffen und glauben dass die österreichische Heerführung doch manche Lehren aus Unglück hat ziehen können. Da ich aber nicht der Ansicht sein kann dass Serbiens Kraft gebrochen ist und da ich vielmehr glaube dass wenn man den Serben nicht mit einem besonders starken und tüchtigen Heer, unter hervorragender Führung, entgegentritt , ihr Widerstand nicht zu brechen ist, so bin ich bezüglich des Endresultats sehr im Zweifel, wenn das Unternehmen den Oestereichern allein überlassen bleibt. Das Versprechen Eurer Excellenz bezüglich sehr baldiger Hinsendung zweier deutscher Armeekorps hatte uns sehr erfreut und beruhigt. Seitdem ist aber schon reichlich Zeit verstrichen ohne dass dieser schöne und weitsichtige Entschluss zur Ausführung gelangt ist. Ich kann mir wohl vorstellen dass die ausgebliebene Entscheidung im Osten wie die hinhaltende Lage im Westen nicht ermunternd wirken konnte für eine Detachierung von beträchtlichen Kräften abseits gegen Serbien, und dass vielleicht auch die Oesterreicher ihr Ehrgefühl daran setzen den Trumpf mit den Serben allein auszufechten um ihre Niederlagen allein wieder gut machen zu können.

Diesen sehr begreiflichen Gründen gegenüber stehen aber andere sehr gewichtige welche bei näherer Betrachtung wohl als allein massgebend erscheinen dürften.

Ich brauche kaum darauf hinzuweisen in welchem intimen Verhältnis die ganze politische Balkanlage mit den Ereignissen in Serbien zusammenhängt. Dieser Umstand lässt befürchten dass , wenn ein rascher und entscheidender Schlag gegen Serbien nicht erfolgt und wenn unsere Gegner weiterhin Musse und Gelegenheit finden aus der Lage Nützen zu ziehen, wir alle in den Balkan eines Tages vor den unangenehmsten Ueberraschungen stehen können. Diese Möglichkeit ist aber nicht die schlimmste. Viel wichtigere Drohungen bestehen in der Türkei selbst, sei es im Innern, sei es von Aussen her.

Euer Excellenz wissen wohl dass dem Zwang der Lage entsprechend die Türkei mit zwei getrennten Heeresteilen offensive Bewegungen hat unternehmen müssen, gegen Kaukasus und gegen Egypten. Zu gleicher Zeit muss sie an den Meerengen so stark sein, dass sie ohne Sorge für einen unmittelbaren Stoss gegen das Herz des Reiches den mannigfachen Aufgaben des Kriegszustandes genügen kann. Die Mitteln welche hierzu nötig sind besitzen wir leider noch immer nicht und darin besteht für die Zukunft die grösste Gefahr. Abgesehen davon dass im Kaukasus selbst die besten Erfolge vor Festungen wie Kars, Batum und Alexandropol zerschellen müssen, so alt und schwach diese Festungen auch sein mögen, wenn es an Mitteln fehlt sie zu nehmen, ungeachtet dessen dass unsere Vorwärtsbewegung gegen den Suez Kanal auch zu einer bedeutungslosen Demonstration herabsinken würde welche zuletzt politisch und militärisch nur uns gefährlich werden kann, wenn wir nicht in reichem Masse die Belagerungs- und sonstigen Mitteln die hierzu notwendig sind bald in die Hänge bekommen, abgesehen davon schliesslich dass auch die Abwehr der über Bassora in Mesopotamien eindringenden Engländer Vorkehrungen und Anstrengungen fordern welche nur bei gesicherter Basis und Zufuhr möglich sind - ist und bleibt unsere Hauptsorge die Verteidigung der Dardanellen welche zunächst lediglich auf die Minen angewiesen ist. Es ist wohl zu befürchten dass wenn die Gegner sich dazu entschliessen eine Anzahl alter Schiffe zu opfern es ihnen doch gelingt mit ihrer ganzen Flotte das Marmarameer zu erreichen. Wenn aber dieses geschieht, dann kann man wohl in Anbetracht der vorläufig in Centraleuropa herrschenden Gleichgewicht der Kräfte behaupten, dass es auch um die Türkei geschehen würde.

Auch hierin allein liegt nicht die Gefahr. Es ist nicht ausgeschlossen dass die Stimmung in der Türkei sich umschlägt unter dem Eindruck einerseits der anscheinend kein Ende nehmen wollenden völligen Isolierung der letzten, sowie der drohenden unmittelbaren Gefahr vor den Dardanellen, andererseits der vielleicht nicht unberechtigten Furcht einer neuen Balkankoalition. Hieraus würde für die Regierung eine sehr gefährliche Lage entstehen und es würde manchen unerwarteten und bedenklichen Möglichkeiten Thür und Thor geöffnet werden.

Aus allen diesen Gründen, halte ich es für meine Pflicht Euer Excellenz auf die grossen Gefahren aufmerksam zu machen, welche zweifellos entstehen können, wenn nicht dem serbischen Imbroglio [Übereinanderschichtung mehrerer Stimmen und Taktarten] durch geeignete Mitteln ein baldiges Ende bereitet wird, ohne Rücksicht auf Empfindlichkeiten oder sonstigen Nebengründen.

Euer Excellenz werden wohl mit mir darüber einig sein dass es nicht zu viel gesagt ist wenn man behauptet dass dieser Weltkrieg seinen nicht nur scheinbaren sondern auch eigentlichen Grund in den Orient- und Balkanfragen hat.

Man kann natürlich diese Fragen in Schlachtfeldern, auch ausserhalb des Balkans entscheiden; dieser gilt aber nur solange als der Boden in den Balkans selbst frei bleibt. Dagegen wenn die Stimmung in ganzen Balkans Zeit und Ursache hat, sich gegen uns umzuschlagen und wenn es dazu den Gegnern gelingt die Dardanellen zu erzwingen, dann schwindet nicht nur jede Aussicht für die Türkei, sondern auch kann die Lage Deutschlands und besonders von Oesterreich-Ungarn äussert gefährlich werden, denn das würde nichts anders bedeuten als ein völliger Umschwung der Balkan- und Orientlage zugunsten der Gegner mit allen augenblicklichen und späteren Consequenzen. Dasselbe würde entstehen wenn unsere jetzige Regierung sich veranlasst sehen sollte einer anderen Platz zu machen, was nicht zu hoffen ist.

Hierbei muss man bedenken in welcher schwierigen Lage die türkische Regierung sich befinden wird, wenn es ihr nicht bald gelingt das Land in einer gesicherten Lage hinzustellen. Nach dem italienischen und dem ersten Balkankrieg, sowie den zweiten und dritten thrakischen Feldzug, ist der jetzige Krieg der vierte in drei Jahren den die Türkei führen muss. Wenn man auch die ihnen unmittelbar vorangegangenen arabischen und albanischen Aufstände und die daraus erwachsenen ungeheuren wirtschaftlichen und sonstigen Verluste hinzurechnet, kann man sich ein ungefähres Bild malen von dem wenig erbaulichen Zustande der Türkei. Euer Excellenz brauch ich kaum zu sagen dass bei solchem Zustande wenn die Volksstimmung nicht von Begeisterung und Vertrauen getragen wird, sehr leicht Niedergeschlagenheit und Demoralisation eintreten welche zu panikartigen Handlungen hinreissen können. Die Türkische Regierung muss also doppelt umsichtig und tätig sein um seinen schweren Pflichten gegenüber dem Lande und seinen Verbündeten gewissenhaft erfüllen zu können; anderseits aber ist sie darauf angewiesen bei seinen Verbündeten das nötige Verständnis zu finden für die gefahrvolle Lage die ihr geschaffen ist durch die Erfolge der Serben.

Den einzigen Mittel hierzu , sowie gegen die erwähnten gefahrvollen und vielleicht imminenten Möglichkeiten, sehe ich nur darin dass die Deutsche Heeresleitung sich sofort entschliesst und event. bei den Oesterreichern durchsetzt zwei Deutsche Armeekorps gegen Serbien zu entsenden. Diese Kunde allein würde schon in Konstantinopel eine sehr heilvolle Beruhigung erwirken und manche Strömungen den Boden entziehen. Nach meiner unmassgebenden Ansicht, glaube ich dass die Kriegslage in Ost und West glücklicherweise eine derartige ist dass sie es erlauben kann den hochwichtigen militärisch-politischen Imponderabilien im Süden im vollen Umfange Rechnung zu tragen und für kurze Zeit an die dort harrenden Aufgaben heranzutreten.

In der Hoffnung dass es meinen Ausführungen beschieden ist sich mit den Ansichten und Entschlüssen Eurer Excellenz zu decken und in Erwartung eines erfreulichen Bescheids, habe ich die Ehr usw.



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