1915-03-30-DE-003
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Quelle: DE/PA-AA/R 22404
Zentraljournal: 1915-A.H.-1340
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Praesentatsdatum: 04/05/1915 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 25
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Der Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt (Zimmermann) an den AA-Vertreter im Großen Hauptquartier (Treutler)

Erlaß



Nr. 25.

Berlin, den 30. März 1915

1 Anlage

Euerer Exzellenz beehre ich mich anbei Auszug aus einem Privatbrief des Freiherrn von Wangenheim zur gefälligen Kenntnisnahme und vertraulichen Verwertung bei General v. Falkenhayn zu übersenden.


[Zimmermann]

[von Treutler am 1.4. an Falkenhayn weitergereicht]

Anlage

Auszug, A.S. 1342

Pera, den 23. März 1915.

pp. Hier herrscht nach dem glänzenden Dardanellensiege große Begeisterung. Die Türken haben sich über alle Erwartung gut geschlagen, sogar die Batterien, in denen das deutsche Element vollkommen fehlte, wie Dardanos. Niemand hätte es wohl den Türken zugetraut, daß sie in dem größten maritimen Engagement, welches England seit Trafalgar zu bestehen gehabt hat, siegreich bleiben würden. Wenn sonst alles stimmte, so könnte die Dardanellenschlacht wohl eine ähnliche Wendung des britischen Schicksals in peius eintreten lassen wie seinerzeit Trafalgar in melius. Leider schwebt aber über der ganzen Situation als trübe Wolke der Mangel an Munition. Vielleicht einmal, höchstens zweimal noch können die Dardanellen ähnliche Antürme bestehen. Dann aber wäre es aus, und das Gespenst des Erscheinens unserer Gegner vor Konstantinopel wird zur Wirklichkeit. Mir scheint es, als ob unsere Gegner viel zu viel von ihrem Prestige eingesetzt hätten, als daß sie noch zurückweichen könnten. Ich rechne zunächst noch auf eine längere Pause, bis die Flotte wieder repariert und komplettiert ist. Dann aber dürfte die Sache verteufelt ernst werden, wenn es uns nicht gelingt, genügend Munition durchzubringen. Es ist niederschmetternd für uns, daß wir die Türken in den Krieg getrieben haben und nicht imstande sind, ihnen zu helfen in einem Moment, wo sie ihre Existenz auf das Spiel setzen.

Wir haben hier eine Kommission eingesetzt zur Vorbereitung der Maßnahmen für die Wegschaffung der Kolonie nach dem Durchbruch. Mir selbst haben Sie ja vollkommene Bewegungsfreiheit eingeräumt. Ich kann aber heute noch nicht bestimmt sagen, was ich tun werde, da ja die Beschlüsse der türkischen Regierung sich jeden Tag ändern. Heute heißt es wieder, daß Enver selbst Konstantinopel bis zum letzten Mann halten würde. Dann würde ich wohl bei Enver bleiben. Ob ich aber schließlich mit ihm, nachdem auf dieser Seite alles verloren ist, zum Sultan nach Asien flüchten werde, vermag ich heute noch nicht zu sagen. Vorläufig bin ich der Meinung, daß, sowie die Meerengen sich in den Händen unserer Gegner befinden, die Türkei früher oder später für uns verloren ist. Die Türken werden zwar in Kleinasien dann noch eine Zeitlang für uns weiter kämpfen, aber mit der Expedition gegen Egypten und mit unseren persischen, afghanischen und indischen Plänen wäre es dann aus. Nennenswerte feindliche Kräfte werden die in Kleinasien kämpfenden Türken nicht mehr an sich ziehen. Goeben und Breslau würden ein rühmliches Ende gefunden haben, sodaß auch im Schwarzen Meer keine Aktion mehr möglich wäre. Ich glaube, daß wir dann einen dicken Strich unter unsere Türkeipolitik machen müßten.

etc.


[Wangenheim]


[Folgt Originalbrief Wangenheim]

(gestrichen Passagen hellviolett markiert, Anmerkungen des AA hellgrün)

Pera, den 23. März 1915

Lieber Freund,

hier herrscht nach dem glänzenden Dardanellensiege große Begeisterung. Die Türken haben sich über alle Erwartung gut geschlagen, sogar die Batterien, in denen das deutsche Element vollkommen fehlte, wie Dardanos. Niemand hätte es wohl den Türken zugetraut, daß sie in dem größten maritimen Engagement, welches England seit Trafalgar zu bestehen gehabt hat, siegreich bleiben würden. Wenn sonst alles stimmte, so könnte die Dardanellenschlacht wohl eine ähnliche Wendung des britischen Schicksals in peius eintreten lassen wie seinerzeit Trafalgar in melius. Leider schwebt aber über der ganzen Situation als trübe Wolke der Mangel an Munition. Vielleicht [eingefügt: einmal, höchstens] zweimal noch können die Dardanellen ähnliche Antürme bestehen. Dann aber wäre es aus, und das Gespenst des Erscheinens unserer Gegner vor Konstantinopel wird zur Wirklichkeit. Nun bestehen ja selbstverständlich eine Reihe ungelöster Fragen noch weiter fort. Werden die Verbündeten den Einsatz eines weiteren Teils ihrer Flotte riskieren? Werden sie über genügend Landungstruppen verfügen? Wird die englisch-russische Freundschaft bis zum Schluß durchhalten? Mir scheint es, als ob unsere Gegner viel zu viel von ihrem Prestige eingesetzt hätten, als daß sie noch zurückweichen könnten. Ich rechne zunächst noch auf eine längere Pause, bis die Flotte wieder repariert und komplettiert ist und namentlich bis die russischen Dreadnoughts fertig sind, was ja im Mai der Fall sein soll. Dann aber dürfte die Sache verteufelt ernst werden, wenn es uns nicht gelingt, genügend Munition durchzubringen.

Bis jetzt sind ja alle in dieser Richtung gemachten Versuche wohl als gescheitert anzusehen. Soeben höre ich, daß Bratianu und Constantinescu je 30 Millionen Bakschisch erhalten sollen, wenn sie einige Munitionszüge durchbringen. Das hätten wir billiger haben können, wenn wir die Zeit vor der türkischen Kriegserklärung, wo die Rumänen noch alles durchließen [Anmerkung AA: Dies ist nicht richtig. Im September schon stockte die Durchfuhr, in den ersten Oktobertagen hörte sie ganz auf], ausgenutzt hätten, oder wenn wir die türkische Kriegserklärung, wie ich es ja so dringend befürwortet hatte, hinausgeschoben hätten, bis die Türkei wirklich fertig war. Jetzt [Anmerkung AA: Wir haben das Eingreifen der Türken beschleunigt, um sie uns zu sichern u. der Entente zu entziehen.] [Es] ist niederschmetternd für uns, daß wir die Türken in den Krieg getrieben haben und nicht imstande sind, ihnen zu helfen in einem Moment, wo sie ihre Existenz auf das Spiel setzen. In vielen Blicken der Türken lese ich stumme Vorwürfe. Ihr Groll richtet sich allerdings in erster Linie gegen Oesterreich, das durch sein Versagen in Serbien zu allermeist die schwierige Lage hier herbeigeführt hat.

Wir haben hier eine Kommission, Göppert und Spee, eingesetzt zur Vorbereitung der Maßnahmen für die Wegschaffung der Kolonie nach dem Durchbruch. Mir selbst haben Sie ja vollkommene Bewegungsfreiheit eingeräumt. Ich kann aber heute noch nicht bestimmt sagen, was ich tun werde, da ja die Beschlüsse der türkischen Regierung sich jeden Tag ändern. Heute heißt es wieder, daß Enver selbst Konstantinopel bis zum letzten Mann halten würde. Dann würde ich wohl bei Enver bleiben. Ob ich aber schließlich mit ihm, nachdem auf dieser Seite alles verloren ist, zum Sultan nach Asien flüchten werde, vermag ich heute noch nicht zu sagen. Vorläufig bin ich der Meinung, daß, sowie die Meerengen sich in den Händen unserer Gegner befinden, die Türkei [eingefügt: früher oder später] für uns verloren ist. Die Türken werden zwar in Kleinasien dann noch eine Zeitlang für uns weiter kämpfen, aber mit der Expedition gegen Egypten und mit unseren persischen, afghanischen und indischen Plänen wäre es dann aus. Nennenswerte feindliche Kräfte werden die in Kleinasien kämpfenden Türken nicht mehr an sich ziehen. Goeben und Breslau würden ein rühmliches Ende gefunden haben, sodaß auch im Schwarzen Meer keine Aktion mehr möglich wäre. Ich glaube, daß wir dann einen dicken Strich unter unsere Türkeipolitik machen müßten und daß es dann kein deutsches Interesse mehr gäbe, welches die Anwesenheit eines geflüchteten und von seiner Höhe heruntergestürzten deutschen Botschafters in Kleinasien nötig machte. Endet der Krieg trotz des hiesigen katastrophalen Echecs dann doch noch siegreich für uns, so könnten wir die Türkei beim Friedensschluß vielleicht notdürftig wieder zusammenflicken und das in den Unternehmungen der Deutschen Bank angelegte Geld retten. Ich halte es also daher für ausreichend, daß Goeppert als Botschaftsvertreter mit dem Sultan nach Eski Schehir geht, während ich hier mit Enver bis zum letzten Moment ausharre, für die Rettung der Kolonie tätig bin und mich schließlich nach Norden zu zurückziehe, bis es auch dort zu gefährlich wird. Wenn Sie gegen diesen Plan grundsätzliche Bedenken [Anmerkung AA: nein, keine Bedenken] haben, so bitte ich Sie, es mich wissen zu lassen.

Die Wirkung des Falles von Przemysl auf die hiesige Stimmung läßt sich noch nicht übersehen. In Rumänien und Bulgarien wird der Eindruck schlecht genug sein.

Mit herzlichem Gruß

Ihr in treuer Freundschaft ergebener


Wangenheim



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