1915-04-05-DE-002
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Quelle: DE/PA-AA/R 20181
Zentraljournal: 1915-A.S.-1479
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Praesentatsdatum: 04/05/1915 p.m.
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


AA-Staatssekretär Jagow im Ausschuß für Auswärtige Angelegenheiten





Bericht im Ausschuß für Ausw. Angelegenheiten.

Von Beginn des Krieges an hat sich die Erfahrung immer wieder bestätigt, daß die allgemeine politische Lage ein getreues Spiegelbild der jeweiligen militärischen Lage auf den Kriegsschauplätzen darstellt. Dies gilt sowohl bezüglich dessen, was von den kriegführenden Mächten zu uns dringt als auch ganz besonders bezüglich der neutralen Staaten, die mit gespannter Aufmerksamkeit die militärischen Vorgänge beobachten, um den Moment nicht zu verpassen, der es praktisch erscheinen läßt, wenn nicht mit militärischen Machtmitteln, so doch mit seinen Sympathien an die Seite der Partei zu treten, der der Sieg endgültig zufällt.

Bezüglich unserer Gegner liegt es auf der Hand, daß es schwer ist, sich auf Grund der mehr oder weniger zuverlässigen Agentenmeldungen und der auf Mitteilung von privater Seite beruhenden Nachrichten, die zu uns herüberdringen, ein klares Urteil zu bilden. Immerhin glauben wir genügende Fäden in der Hand haben, die nach den verschiedenen Ländern führen, um auch in dieser Hinsicht nicht lediglich auf Vermutungen angewiesen zu sein.

Was zunächst Frankreich betrifft, so stimmen alle hier vorliegenden Berichte darin überein, daß dort von einer Kriegsmüdigkeit in keiner Weise die Rede sein kann. Soweit eine solche vorhanden ist, beschränkt sie sich einstweilen noch auf kleinere Kreise und ist mehr auf innerpolitische Gegensätze zurückzuführen, als auf ein tatsächliches Friedensbedürfnis. An allen maßgebenden Stellen der Regierung, vor allem aber auch in militärischen Kreisen besteht einstweilen noch der Wille zum Durchhalten, wobei dahingestellt bleiben mag, inwieweit dieser Wille von der Zuversicht in eigene Erfolge oder von Erwartungen getragen wird, die sich an das Eintreffen erheblicher englischer Verstärkungen oder russischer Erfolge gegen Österreich bezw. die Forzierung der Dardanellen knüpfen. Als Tatsache muß es angesehen werden, daß das französische Volk sich nicht als geschlagen betrachtet, daß es vielmehr in dem deutschen Rückzug an der Marne einen Erfolg der französischen Waffen erblickt, durch den sich das französische Selbstvertrauen in erheblichem Maße gefestigt hat und die Sorge vor der Unbesiegbarkeit der deutschen Waffen geschwunden ist. Dazu kommt, daß der Teil des französischen Territoriums, den wir besetzt haben, trotz seiner großen wirtschaftlichen Bedeutung nicht umfangreich genug ist, um einem prozentual erheblichen Teil der französischen Bevölkerung die mit dem Kriege verbundenen Unzuträglichkeiten unmittelbar zum Bewußtsein zu bringen und damit den Wunsch auf Beendigung des Krieges in weiteren Kreisen entstehen zu lassen. Mit dem Einlenken Frankreichs werden wir daher einstweilen nicht rechnen dürfen.

Günstiger liegen in dieser Hinsicht vielleicht die Verhältnisse in Rußland. Wie wir bestimmt wissen, ist man sich an maßgebenden russischen Stellen, insbesondere am Hofe, der Größe der erlittenen Niederlagen gegen die deutsche Armee sowie der Erheblichkeit der damit verknüpft gewesenen Verluste bewußt. Auch gibt die immer schwieriger werdende allgemeine wirtschaftliche und finanzielle Lage dort zu denken. Die Unzufriedenheit greift offenbar um sich trotz der Bemühungen der russischen Regierung, das Land über die tatsächliche Lage der Dinge hinwegzutäuschen. Aber die von Beginn des Krieges an prophezeiten revolutionären Erhebungen haben immer noch auf sich warten lassen und es muß mehr als fraglich erscheinen, ob mangels einer schon in Friedenszeiten vorhandenen Organisation der revolutionären Propaganda in Rußland mit solchen überhaupt noch gerechnet werden darf. Dazu kommt, daß der Fall von Przemysl die russische Widerstandskraft neu belebt haben dürfte, und die unter Einsetzung starker Kräfte geführten heftigen Angriffe auf die österreichischen Stellungen in den Karpathen deuten darauf hin, daß man die Hoffnung noch nicht aufgegeben hat, wenigstens der österreichischen Armee gegenüber noch einen entscheidenden Erfolg erringen zu können.

Was England betrifft, so ist nach hier vorliegenden ziemlich zuverlässigen Nachrichten Sir. E. Grey persönlich einem Friedensschluß durchaus geneigt und auch die Mehrzahl der Mitglieder des englischen Kabinetts teilt diesen Standpunkt. Die Erkenntnis, daß es eine eitle Hoffnung war, Deutschlands auf dem Wege der Aushungerung Herr zu werden, wachsende Unzufriedenheit mit den steigenden Lebensmittelpreisen als Folge des Vorgehens unserer U-Boote gegen die englische Schiffahrt, Unruhen in der Arbeiterschaft mögen dabei mitspielen. Nochmehr dürfte aber die zunehmende Erkenntnis ins Gewicht fallen, daß bei längerer Fortdauer des Krieges die Schwächen der englischen Machtstellung zur See immer auffälliger werden müssen und daß die Unfähigkeit der englischen Flotte, sich der deutschen Offensive zu erwehren, das Prestige Englands als Seemacht in nicht wieder gut zu machender Weise erschüttern muß.

Dazu kommen die Vorgänge in Ostasien, die Beunruhigung, die in einzelnen Teilen des englischen Weltreiches sich geltend zu machen beginnt, schließlich die Beeinträchtigung der englischen Lebensgewohnheiten und die wachsenden Ausgaben. Die leitenden englischen Staatsmänner hatten sich das Eingreifen Englands in den Krieg wohl etwas anderes gedacht. Sie hatten geglaubt, ohne große Opfer eine Art Schiedsrichterrolle spielen zu können. Die ungeheuren Verluste, die die englischen Truppen kürzlich bei Neuve Chapelle wieder erlitten haben, dürften sie endgültig eines Besseren belehrt und ihnen die Illusion geraubt haben, mit den Heeren Lord Kitcheners unsere westliche Front durchbrechen zu können. Man würde offenbar froh sein, auf anständige Weise aus der Sache herauszukommen. Die jüngste Rede Sir Edward Greys läßt erkennen, auf welcher Grundlage man in England zum Frieden mit uns bereit sein würde: Wiederherstellung Belgiens in den Zustand, in dem es sich vor dem Kriege befand, und wenn möglich - diesen Punkt scheint man nicht als sine qua non anzusehen - Zahlung einer Entschädigung an das Land durch Deutschland. Es kann kaum einem Zweifel unterliegen, daß um diesen Preis, ja schon gegen die Sicherheit, daß sich Deutschland an der belgischen Küste nicht festsetzt, England bereit sein würde, sich friedlich mit uns auseinanderzusetzen und seinen ganzen Einfluß und die ihm zur Verfügung stehenden Druckmittel bei seinen Bundesgenossen in diesem Sinne einzusetzen. Als ebenso feststehend muß es aber auch angesehen werden, daß England sich bis aufs äußerste einem Frieden widersetzen wird, der Belgien soweit die belgische Küste in Betracht kommt, in der Hand Deutschlands beläßt.

Um auf unsere Bundesgenossen überzugehen, wäre zunächst zu bemerken, daß der Fall von Przemysl und die Bedrohung der österreichischen Verteidigungsstellung in den Karpathen durch die mit starken Kräften dort vorgehende russische Armee in Österreich wieder einmal die pessimistische Stimmung ausgelöst hat, die bei den wiederholten Rückschlägen, denen die österreichische Armee im Laufe des Krieges ausgesetzt war, immer wieder beobachtet werden konnte. Hierzu tritt die Beunruhigung durch die Haltung Italiens in der Trentinofrage. Österreichischer Gepflogenheit entspricht es, für die zweifellos recht ernste Lage der Dinge nicht sich selbst, nicht die mangelhaften eigenen militärischen Leistungen, nicht das völlige organisatorische Versagen, nicht das Verpassen des psychologischen Momentes zu einer Auseinandersetzung mit Italien, sondern den Bundesgenossen verantwortlich zu machen. Die Stimmung gegen uns ist zur Zeit im Wien eine sehr gereizte, Deutschland soll um seiner Weltmacht willen den Krieg veranlaßt, Österreich militärisch unzulänglich unterstützt haben und selbst das Vorgehen Italiens wird uns zur Last gelegt. Wenn es auch verfehlt wäre, diesen Stimmungen, die kommen und gehen, eine übertriebene Bedeutung beizumessen, so ist doch das Moment nicht außer acht zu lassen, daß die österreichische Widerstandskraft in steter Abnahme begriffen ist, und daß wir mit der Möglichkeit eines dort plötzlich hervortretenden Friedensbedürfnisses rechnen müssen.

Erfreulicher liegen die Dinge in der Türkei. Die erfolgreiche Zurückweisung des englisch-französischen Angriffs auf die Dardanellen hat sehr wesentlich zur Stärkung des ottomanischen Selbstbewußtseins beigetragen. Die hier vorliegenden Nachrichten lassen sich nicht genügend nachprüfen, um ein sicheres Bild zu geben, wie groß die Verluste der verbündeten Flotten tatsächlich gewesen sind. Immerhin läßt der Umstand; daß nunmehr beinahe drei Wochen verflossen sind, ohne daß diese Angriffe erneuert wurden, darauf schließen, daß unsere Gegner die ernsten Schwierigkeiten erkannt haben, die einer Forcierung der Meerengen entgegenstehen, und daß sie, wenn überhaupt, dann nur nach sorgfältigsten Vorbereitungen erneut an diese Aufgabe herangehen werden. Da bisher alle Versuche fehlgeschlagen sind, die wünschenswerte Ergänzung der türkischen Munitionsbestände durchzuführen, so eröffnet der hierdurch erzielte Zeitgewinn die Hoffnung, daß dies vielleicht doch noch gelingen wird. Ob zwischen den Verbündeten eine Vereinbarung über die Regelung der Meerengenfrage im Fall der Forcierung der Dardanellen erzielt ist, entzieht sich naturgemäß unserer Kenntnis. Es liegt aber nahe anzunehmen, daß in dieser Hinsicht zwischen Rußland und England Gegensätze bestehen, die noch nicht überbrückt sind und die den Keim zu Zwistigkeiten zwischen beiden Mächten in sich tragen, die allerdings vielleicht erst nach Abschluß des Krieges wirksam werden würden. Das russische Interesse geht auf die Beherrschung der Meerengen und Konstantinopels nur durch Rußland; dem englischen Interesse würde die Neutralisierung oder Internationalisierung entsprechen.

Ich gehe zu den neutralen Mächten über. Die Haltung Italiens gibt nach wie vor zu ernsten Besorgnissen Anlaß. Die italienisch-österreichischen Gegensätze hatten sich gerade in den letzten Jahren infolge des Anwachsens der italienischen Irredenta sowie der wenig glücklichen Behandlung der italienischen Frage durch die österreichische Regierung immer mehr verschärft. Die italienischen Begehrlichkeiten fanden schließlich in ziemlich unverhüllter Weise in dem Wunsch nach Erlangung des Trentino einen konkreten Ausdruck. Wie haben es uns bereits vor Ausbruch des Krieges, als die politische Lage sich zuspitzte, angelegen sein lassen, die österreichisch-ungarische Regierung auf die dringende Notwendigkeit einer Verständigung mit Italien hinzuweisen und haben uns nicht gescheut, das Trentino als geeignete Basis für eine Verständigung zu bezeichnen. Es ist uns nicht gelungen, das Wiener Kabinett von der Notwendigkeit eines Entgegenkommens gegenüber Italien zu überzeugen. Noch vor wenigen Wochen, gelegentlich meines Zusammentreffens mit dem österreichischen Minister des Äußeren im österreichischen Hauptquartier bestritt Freiherr von Burian mit aller Entschiedenheit das Bestehen einer Gefahr von italienischer Seite. Erst die sehr bald darauf folgenden Kundgebungen im italienischen Parlament vermochten in Wien Verständnis für den Ernst der Lage zu erwecken. Immerhin wurde noch viel Zeit verloren durch Versteifung auf Formalitäten, Versuche, vertragliche Bindungen geltend zu machen und bürokratische Bedächtigkeiten in der praktischen Behandlung der Frage. Die inzwischen eingetretenen militärischen Schwierigkeiten Österreichs haben die natürliche Folge gehabt, die italienischen Begehrlichkeiten zu steigern und in Rom einen Mangel an Eifer in Betreibung der Verhandlungen hervorzurufen, den das nunmehrige weitgehende Entgegenkommen des Wiener Kabinetts bis jetzt nicht zu überwinden vermochte. Die Lage kann zur Zeit nur als durchaus ungeklärt bezeichnet werden, und es würde vermessen sein, eine Ansicht darüber äussern zu wollen, ob es der italienischen Regierung überhaupt noch um eine Verständigung mit Österreich zu tun ist, oder ob sie lediglich den Abschluß ihrer Verhandlungen abwarten will, die sie anscheinend gleichzeitig mit den Ententemächten führt, um dann die Maske abzuwerfen.

Für die Haltung Rumäniens in diesem Kriege ist die Haltung Italiens von wesentlichem Einfluß gewesen. Hätte Italien an unserer Seite am Krieges teilgenommen, wo würde wahrscheinlich auch Rumänien mit fortgerissen worden sein. Die Anerbietungen unserer Gegner, die sehr bald nach Beginn des Krieges einsetzten, um die rumänische Regierung zu einem Eingreifen gegen Österreich zu bestimmen, waren zwar erfolglos, aber es ist doch auch den angestrengten diesseitigen Bemühungen nicht gelungen, Rumänien auch nur zu einer wohlwollenden Neutralität für uns zu bestimmen, wie die fortgesetzte Weigerung zeigt, uns in der Frage der Durchfuhr der für die Türkei bestimmten Munition entgegenzukommen. Wie alle Balkanstaaten hat auch Rumänien die Tendenz, seine Haltung der jeweiligen militärischen Lage der beiden kriegführenden Parteien anzupassen. Ob es, falls Italien auf die Seite unserer Gegner tritt, der Versuchung widerstehen würde, in die rumänischen Gebietsteile Österreich-Ungarns einzumarschieren, muß dahin gestellt bleiben. Nur eine für uns günstige militärische Lage auf dem östlichen Kriegsschauplatze sowie ein drohendes Eingreifen Bulgariens würde es vermutlich davon abhalten können.

Auch Bulgarien folgt dem militärischen Wetterbarometer. Als die österreichische Armee Belgrad besetzt hatte und in siegreichem Vorgehen auf Nisch begriffen war, war Bulgarien auf dem Punkte, auf unsere Seite zu treten. Die Niederlage der Potiorek’schen Armee in Serbien brachte alles wieder zum Stehen. Nur eine erneute erfolgreiche österreichische Offensive in Serbien wird voraussichtlich Bulgarien zu dem Versuch ermutigen, die Gelegenheit zu einer Verwirklichung der nationalen Aspirationen zu benutzen, die ihm im letzten Balkankrieg versagt geblieben war. Auch die Ententemächte haben es an Versuchungen nicht fehlen lassen, Bulgarien zu sich herüber zu ziehen und sich bemüht, zu diesem Zwecke eine Verständigung zwischen Bulgarien und Serbien herbeizuführen. Serbien sollte sich verpflichten, auf gewisse, im letzten Balkankrieg erworbene Gebiete in Mazedonien zu Gunsten von Bulgarien zu verzichten, während Serbien reiche Entschädigung auf Kosten Österreich-Ungarns in Aussicht gestellt wurde. Bulgarien hat bis jetzt diesen Lockungen widerstanden.

Als die Dardanellenaktion der Ententemächte einsetzte, entstand in Griechenland eine starke Bewegung für die Beteiligung an diesem Unternehmen. Die Erinnerung an Byzanz als Sitz des griechischen Kaisertums ließ im griechischen Volke Hoffnungen und Wünsche entstehen, die von unseren Gegnern genährt wurden, um die griechische Bevölkerung zu veranlassen, die Dardanellenaktion unserer Gegner mit einem Landungskorps zu unterstützen. Venizelos erwies sich als Träger und Führer dieser Bewegung. Dem gesunden politischen Sinn und dem starken Willen Seiner Majestät des Königs ist es zu verdankten, dass er unbekümmert um die Gefährdung seiner Popularität im Lande Griechenland verhindert hat, sich auf ein Abenteuer einzulassen, das ihm schwerlich irgend einen Gewinn gebracht hätte, das es aber der Gefahr eines bulgarischen Angriffes und damit der Eventualität ausgesetzt hätte, eines Teils der im Balkankrieg gemachten Erwerbungen verlustig zu gehen, denn die Aspirationen Bulgariens gehen nicht nur auf Gebiete, die sich zur Zeit in serbischem Besitz befinden. Sie richten sich insbesondere auch auf den Wiedergewinn von Cavalla. Inzwischen dürfte auch in breiteren Schichten des griechischen Volkes die Erkenntnis Platz gegriffen haben, dass die siegreichen Ententemächte zwar vielleicht bereit sein würden, Griechenland - eher eine Belastung als einen Gewinn darstellende - Konzessionen in der kleinasiatischen Türkei zu machen, dass sie aber für eine Verwirklichung der griechischen Träume bezüglich Konstantinopels niemals zu haben sein würden.

Es erübrigt sich noch, kurz diejenigen neutralen Staaten zu streifen, deren Eingreifen in den Krieg nicht als in Betracht kommend angesehen werden darf. Als das einzige Land, in dem wir aufrichtige Sympathien geniessen, hat sich Spanien erwiesen, dessen Herrscher ganz, dessen Bevölkerung in ihrer überwiegenden Mehrheit auf unserer Seite steht. In dem benachbarten Portugal hat die völlige Zerfahrenheit der inneren Verhältnisse zu einem Abflauen der Kriegsbegeisterung geführt, die dort einmal längere Zeit bestand. Auch scheinen die militärischen Operationen an der Grenze unseres südwestafrikanischen Schutzgebietes zum Stillstand gekommen zu sein. Durch welche Vorgänge die Zusammenstöße zwischen den Deutschen und den militärischen Besatzungstruppen der beiden Kolonien herbeigeführt worden sind, ist einstweilen noch in ein gewisses Dunkel gehüllt. Es lässt sich bereits heute übersehen, dass schwere Verschuldungen auf portugiesischer Seite vorliegen, die uns im Verein mit gewissen, gegen die Regeln der Neutralität verstossenden Handlungen der portugiesischen Zentralregierung sowie der allgemeinen Haltung des Landes eine genügende Handhabe bieten werden, um nach erfolgreicher Beendigung des Krieges von der portugiesischen Regierung Rechtfertigung und Genugtuung zu verlangen. Die Dinge im gegenwärtigen Moment auf die Spitze zu treiben, ist neben naheliegenden politischen Erwägungen allgemeiner Natur schon aus dem Grunde nicht zweckmässig erschienen, um die zahlreichen deutschen Handelsschiffe, die beim Kriegsausbruch in portugiesischen Häfen Zuflucht gesucht haben, nicht der Beschlagnahme durch unsere Gegner auszusetzen.

Was die germanischen Staaten im Norden betrifft, so macht sich dort der von England ausgeübte Druck sehr fühlbar. Er ist am wirksamsten in Norwegen, dessen Herrscher mit seinen Sympathien überdies ganz auf englischer Seite steht. Im Gegensatz hierzu wahrt Schweden eine Haltung, die als eine weitgehende, wohlwollende Neutralität gekennzeichnet werden kann. Dasselbe gilt bezüglich Dänemarks, dessen König und auswärtiger Minister im Gegensatz zu der Stimmung, wie sie zweifellos in weiten Kreisen dieses Landes vorherrscht, uns schon manche praktische Beweise aufrichtiger Freundschaft gegeben haben.

In den Niederlanden hatte das Missvergnügen über das rücksichtslose Vorgehen Englands gegen den neutralen Handel zur See einen Umschwung in der allgemeinen Stimmung zu unseren Gunsten hervorgerufen. Das Vorgehen unserer Unterseeboote gegen einige holländische Schiffe hat neuerdings wieder verstimmt. Es darf aber angenommen werden, dass in einiger Zeit wieder ein Umschwung in der Stimmung zu unseren Gunsten eintreten und daß sich in Holland wie in den anderen seefahrenden neutralen Staaten immer mehr die Erkenntnis Bahn brechen wird, daß die Gewalt- und Willkürherrschaft Englands zur See als ein unerträglicher Druck auf der ganzen Welt lastet, den zu beseitigen ein solidarisches Interesse aller dieser Staaten ist.

Selbst in den Vereinigten Staaten, die die Gemeinsamkeit der Sprache sowie zahlreiche persönliche, wirtschaftliche und kulturelle Bande in ihren Sympathien zu Beginn des Krieges ganz an die Seite unserer Gegner geführt hatten, hat die Behinderung der amerikanischen Schiffahrt durch die englische Flotte zu ernsten Verstimmungen geführt. Es ist allerdings zu befürchten, daß die Regierung der Vereinigten Staaten es bei platonischen Protesten gegen das englische Vorgehen bewenden lassen und daß sie sich vor allem nicht dazu entschließen wird, der Begünstigung unserer Gegner, deren sich Amerika durch seine Waffenlieferungen an dieselben schuldig macht, ein Ende zu bereiten. Auch das Vorgehen Japans in China wird die Vereinigten Staaten nicht dazu bewegen, aus ihrer Reserve herauszutreten. Der Mangel an zielbewußten, weitblickenden und energischen Persönlichkeiten an den maßgebenden amerikanischen Regierungsstellen kommt auch in diesem Verzicht auf die traditionelle Politik zum Ausdruck, die die Erhaltung der chinesischen Integrität sowie Offenhaltung des chinesischen Marktes für die amerikanische Ausfuhr zum Grundsatz hatte.

Die kriegerischen Ereignisse in Europa und die damit verknüpfte Überführung aller irgendwie verfügbaren militärischen Streitkräfte auf den Kriegsschauplatz sind nicht ohne Rückwirkung auf gewisse Kolonien oder in einem Abhängigkeitsverhältnis zu unseren Gegnern stehende Staaten geblieben. Wenn auch die englische Zensur genauere Nachrichten nicht durchläßt, so deutet doch manches darauf hin, daß sich Indien in einem Zustand ernster Gärung befindet und daß es nicht nur in Singapore zu Zwischenfällen gekommen ist. Auch die Haltung Afghanistans dürfte England Anlaß zur Beunruhigung geben, und in Persien gewinnt die Ansicht derjenigen immer mehr Anhänger, die den Augenblick für gekommen erachten, das englisch-russische Joch abzuschütteln. Auch in dem unter französischem Protektorat stehenden Teil von Marokko ist die Unruhe in der Zunahme begriffen. Es bedarf kaum der Hervorhebung, daß wir allen diesen Erscheinungen ein reges und fürsorgliches Interesse widmen, da sie dazu beitragen können, die Kampfesfreudigkeit unserer Gegner herabzusetzen. Immerhin handelt es sich nur um Nebenerscheinungen, während für den schließlichen Ausgang dieses Krieges und die Bedingungen, unter denen der Frieden einmal zustande kommen wird, die militärische Lage auf dem Hauptkriegsschauplatze entscheidend sein wird. Sollte es gelingen, das Eingreifen Italiens an der Seite der Ententemächte zu verhindern, und die Widerstandskraft unseres österreichischen Bundesgenossen so weit zu erhalten, daß wir von dieser Seite keine Überraschungen zu befürchten haben, so dürfen wir uns der Zuversicht hingeben, daß unsere durch nichts mehr zu erschütternden Erfolge im Westen und Osten die Grundlage für einen Frieden bieten werden, der den ungeheuren Opfern entspricht, die das deutsche Volk gebracht hat und der uns für lange Jahre vor Bedrohungen sichert, wie sie die politische Konstellation der ganzen letzten Jahre für uns enthielt. Es ergibt sich hieraus für uns das Gebot ruhigen Durchhaltens im festen Vertrauen auf die dem deutschen Volke innewohnende Kraft und die Unversehrtheit unserer militärischen Machtmittel.



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