1915-04-12-DE-007
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Quelle: DE/PA-AA/R 20182
Zentraljournal: 1915-A.S.-1604
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Telegramm-Abgang: 04/12/1915 07:15 PM
Telegramm-Ankunft: 04/12/1915 10:35 PM
Praesentatsdatum: 04/13/1915 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 481
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Der Botschafter in außerordentlicher Mission in Rom (Bülow) an das Auswärtige Amt

Telegraphischer Bericht



Nr. 481.

Rom, den 12. April 1915.

Vertraulich!

Der türkische Botschafter äußerte gegenüber einem mir befreundeten Diplomaten, die Sache an den Dardanellen stünde gut. Die Angreifer hätten ihre Munition umsonst verschwendet, ihr Unternehmen sei aussichtslos, sie könnten die türkischen Hauptstellungen gar nicht erreichen, was in französischen und englischen Zeitungen über das indirekte Feuer der Schiffe gesagt würde sei Unsinn. Konstantinopel sei nur von Lande aus zu nehmen, dazu aber wäre eine Landungsarmee von 300000 Mann erforderlich und diese ließen sich nicht verproviantieren. Die Türkei sei auf ein bis 2 Monate versehen und könne Nachschub über Rumänien erhalten. Es wäre ja an und für sich wünschenswert, daß der Verbindungsweg durch das nordöstliche Serbien frei gemacht würde, hätte aber keine Eile. Die Türkei zöge es vor, daß die ganze Kraft der Zentralmächte gegen Rußland gewandt würde, denn von dem Ausgange der Karpathenschlacht hänge nicht nur militärisch sondern auch politisch viel ab, insbesondere hinsichtlich der weiteren Haltung von Italien, dem gegenüber die Mächte des Dreiverbands jetzt alle Mittel der Lockung wie der Drohung in Anwendung brächten. Der Botschafter gab der lebhaften Hoffnung Ausdruck, daß die Wiener Verhandlungen zu einer Einigung führen möchten. Das sei für die Türkei so wichtig, daß auch sie Opfer bringen würde, wenn eine Verständigung dadurch erleichtert werden könnte. Der Botschafter äußerte noch, England habe gewußt, daß es die Dardanellen nicht forcieren könne. Es habe den Angriff aber unternommen, um Rußland zu beruhigen, wo man über mangelnde Unterstützung von seiten der Engländer geklagt und mit Separatfrieden gedroht habe. England und Frankreich hätten mit dem Vorgehen gegen die Dardanellen aber auch die Neutralen fortreißen wollen, vor allem Italien, aber auch Griechenland, was mißglück sei. Der Hauptgrund für die Aktion an den Dardanellen sei wohl die Hoffnung gewesen daß eine ernstliche Bedrohung Konstantinopels dort Revolution und damit den Sturz der türkischen Regierung hervorrufen würde. In dieser Richtung arbeitet der Dreiverband weiter durch seine Agenten und Emissäre; er hoffe noch immer, eine ihm gewogene Regierung in Konstantinopel ans Ruder zu bringen.

Der im Fahrwasser des Dreiverbandes segelnde rumänische Gesandte äußerte gegenüber meinem Gewährsmann, er rechnet auf ein unmittelbar bevorstehendes Vorgehen Rumäniens. Rußland habe den Rumänen Ungarn bis zur Theiß versprochen, das bedeutet mit Siebenbürgen einen Gebietszuwachs von 15 Millionen Einwohnern. Darauf verzichten hieße die Stellung von Rumänien preisgeben. Das Eingreifen Rumäniens sei entschieden. Handle die rumänische Regierung anders, so würde sie weggefegt werden. Die Italienische Regierung wisse das. Sie unterhandle jetzt mit Serbien, dem die dalmatinische Küste zugesichert sei, wenn die Aufteilung Österreichs vor sich gehe. Italien wolle Triest, Fiume und Pola. Sowohl der türkische Botschafter wie der rumänische Gesandte bestätigte, daß der Botschafter Tittoni hier von einem Anschluß an den Dreiverband dringend abgeraten hat, was dem rumänischen Gesandten „inconcevable“ erscheint, wo ein gemeinsames Vorgehen Italiens mit Rumänien und Serbien möglich sei. Sir Rennellrodd gab dem rumänischen Gesandten offen zu, daß er den Italienern „de belles promesses“ gemacht habe. Ein höherer Marineoffizier sagte dem türkischen Botschafter, in der italienischen Marine und Armee wären namentlich die jüngeren Offiziere durchweg deutschfreundlich, aber darauf komme es nicht an, die Offiziere hätten zu gehorchen. Der betreffende Marineoffizier fügte hinzu, daß die Schärfe, mit welcher England gegen die italienische Schiffahrt vorgehe und Italien überall chikaniere, den Charakter Chantage annehme. Der Generalsekretär im Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten de Martino, erwiderte dem türkischen Botschafter auf dessen Frage, was Italien tun werde: „Das wissen wir selbst noch nicht. Zunächst gewinnen wir Zeit et c’est le Dieu des batailles qui décidera.“


[Bülow]



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