1915-04-28-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/BoKon/168
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Aufzeichnung des ersten Dragoman an der Botschaft Konstantinopel (Weber)





Pera, den 28. April 1915

Talaat Bey teilte mir folgendes über die Armenierbewegung und die Maßregeln der Regierung mit.

In Van ist das Schlimmste überstanden. Es hat dort eine regelrechte Schlacht gegeben, wobei die Verluste auf beiden Seiten recht hoch gewesen sind. Die Armenier haben mehr als 400 verloren. Die Disziplin sei jetzt aufrechterhalten worden, so daß man von Massakres nicht reden könne. Auch die Truppen sollen mehrere hundert Mann verloren haben.

Daß zwischen den Armeniern und den Russen enge Beziehungen bestanden, kann als einwandfrei festgestellt gelten. Gleichzeitig mit der Bewegung in Van nahm auch die militärische Aktion in Sandasur an Intensität zu.1 .

Zu den hiesigen Verhaftungen bemerkte Talaat Bey:

Die Regierung sei jetzt entschlossen, dem bisherigen Zustand ein Ende zu bereiten, wonach jede Religionsgemeinschaft ihre besondere „Politik“ mache und hierzu besondere politische Vereinigungen gründe und unterhalten könne. In der Türkei solle künftig nur osmanische Politik gemacht werden.

Unter den hiesigen Armeniern befänden sich eine Reihe von politisch nicht ganz sicheren Persönlichkeiten. Sie seien natürlich gerade unter den tätigen Mitgliedern der Klubs und Redaktionen zu suchen. Die Besorgnis sei nicht von der Hand zu weisen, daß im Falle einer ungünstigen Wendung des Krieges diese Elemente die Gelegenheit zu Unruhestiftungen ergreifen könnten. Der Augenblick schien günstig, alle diese Verdächtigen aus der Hauptstadt zu entfernen. Unter den Verschickten gebe es sicher viele die in keiner Weise schuldig seien. Dies leugne die Regierung nicht und er - Talaat - werde aus eigenem Antrieb und ohne daß es hierzu einer Intervention benötige, diesen die Erlaubnis zur Rückkehr erteilen.

Die Behauptung, es lägen Beweise vor, daß für den gestrigen Tag ein Putsch beabsichtigt gewesen sei, erklärte Talaat Bey für unzutreffend.2 Diejenigen Armenier, welche in Haft sind, sollen in Agasch, die lediglich Verschickten in Kangari (Vilayet Kaissarie) untergebracht werden.


[Notiz Mordtmann 29. 4.]

Der Patriarch sagte mir (28.4.): als er am Montag 26. d.Mts. die Verhaftungen auf der Pforte zur Sprache gebracht und nach den Ursachen gefragt, hätten der Großvezir u. Tal’at bej ihm erwidert: daß die Organisation der Armenischen Parteien in der gegenwärtigen Zeit die öffentliche Sicherheit gefährden und dies von einzelnen Persönlichkeiten ausgenutzt werden könne, um der Regierung Schwierigkeiten zu bereiten.

Unter der türk. Bevölkerung zirkulierten allerlei übertriebene Gerüchte; man hätte Bomben und Waffenlager entdeckt (sogar in der Patriarchatskirche), für den Tag des Thronbesteigungsfestes hätten die Armenier Bombenanschläge gegen die H. Pforte und verschiedene Ministerien geplant gehabt u. dgl. mehr. Der Patriarch erzählte mir, als er vom Palais von der Gratulationscour zurückkehrte, hätte ein Polizist seinen Kutscher gefragt, ob der Sultan den Patriarchen überhaupt empfangen habe.


1Die letzten beiden Absätze wurden in Dok. 1915-04-30-DE-001 verwendet.
2Die letzten drei Absätze wurden in Dok. 1915-04-30-DE-002 verwendet.



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