1915-05-27-DE-005
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Quelle: DE/PA-AA/R 20186
Zentraljournal: 1915-A.S.-2640
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Telegramm-Abgang: 05/27/1915 11:50 PM
Telegramm-Ankunft: 05/28/1915 12:50 AM
Praesentatsdatum: 05/28/1915 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 82
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Der AA-Vertreter im Großen Hauptquartier (Treutler) an das Auswärtige Amt

Telegraphischer Bericht



Nr. 82.

Pless, den 27. Mai 1915

Wie General von Conrad mitteilt haben die auswärtigen Vertreter Deutschlands und Österreich-Ungarns der Türkei den Rat gegeben möglichst spät in die Feindseligkeiten gegen Italien einzutreten. Dies widerspricht den Wünschen des Generals von Conrad, der eine sofortige aktive Betätigung der Türkei gegen Italien wünscht. Euere Exzellenz bitte ich umgehend um Angabe der Gründe, die zur Stellungnahme des Auswärtigen Amts führten.

v. Falkenhayn.


[Treutler]
[Jagow am 28.5. an Treutler (Nr. 544)]

Auf Telegramm Nr. 82.

Für General v. Falkenhayn.

Euerer Exzellenz habe ich mir erlaubt, Gründe für Stellungnahme neulich in Pless bereits darzulegen. Großwesir hat erklärt, daß Türkei zwar ihren Bündnispflichten nachkommen und, wenn verlangt, auch Italien Krieg erklären würde. Doch würde ein Angriff Italiens voraussichtlich über die Kräfte der Türkei gehen, zumal derselbe sich voraussichtlich auf Kleinasien (Smyrna oder Adalia) richten würde, wo Türkei zur Zeit nur geringe Verteidigungskräfte hat. Auch würde das Hinzutreten eines Kriegs mit Italien die moralische Widerstandskraft des türkischen Volkes lähmen und gegnerische Elemente, die für Frieden sind, stärken. Türkei würde daher gern Krieg mit Italien möglichst lange hinausschieben. Auch Halil sprach mir in diesem Sinne. Wir müssen diesen Argumenten Rechnung tragen und können, solange wir unsererseits eine Verbindung mit Türkei nicht herstellen können, letztere nicht zu einem Krieg mit einem weiteren Gegner zwingen, wenn anders wir ihren Zusammenbruch oder Abfall vermeiden wollen.

Ausbruch des Krieges zwischen Italien und Türkei im jetzigen Moment würde auch nachteilig auf die Haltung Bulgariens, Griechenlands und Rumäniens wirken. Da Italien bei seinen Abmachungen mit Entente sich offenbar auch eine Gewinnbeteiligung in Kleinasien ausbedungen und sich daher voraussichtlich auch zu einer militärischen Unterstützung auf dem türkischen Kriegsschauplatz verpflichtet hat, wird es über kurz oder lang dort auch selbst der Türkei den Krieg erklären. Es handelt sich also wohl nur um einen Aufschub.

Baron Conrad fürchtet, soviel mir bekannt, zweierlei: 1. daß Gerücht über ein Neutralitätsabkommen, das Italien mit der Türkei machen wolle, schließlich zu einem allgemeinen Frieden der Türkei führen könne. Diese Befürchtung erscheint mir solange unbegründet, als die Türkei durch die allgemeine Lage nicht überhaupt gezwungen wird, Frieden zu suchen. Krieg mit Italien würde aber zum Eintritt einer solchen Eventualität nur beitragen; 2. daß Italien, wenn es mit Türkei in Frieden bleibt, Streitkräfte aus Lybien abziehen könnte. Dort werden aber die von Enver beeinflußten Senussi bereits veranlaßt, die Italiener zu beunruhigen. Die Türkei kann dabei die Senussi, die ihre Oberhoheit nicht anerkennen, Italien gegenüber desavouieren.

Gerücht, daß Italien der Türkei ein Neutralitätsabkommen anbieten wolle, hat sich bisher nicht bestätigt. Gegebenenfalls aber haben wir der Türkei geraten, scheinbar auf Verhandlungen einzugehen, sie dilatorisch zu führen, aber kein Abkommen abzuschließen. Ein solches würde Italien, auf die Vertragstreue der Türken vertrauend, jedenfalls ausnutzen, um Kräfte aus Lybien wegzuziehen. Italien würde aber, wenn der Moment ihm günstig erscheint, unter irgendeinem Vorwand behaupten, daß Türkei Neutralität nicht innegehalten hat und ihr seinerseits den Krieg erklären. Solchen Vorwand fände es leicht. Es hat sich z.B. bisher immer der Verpflichtung der Rückgabe des Dodekanes unter dem Vorwand entzogen, daß noch türkische Offiziere in Lybien mitkämpften und der Lausanner Frieden somit nicht erfüllt sei.

Die Türkei darf sich also durch ein Neutralitätsabkommen nicht binden, sondern muß sich freie Hand behalten. Pforte teilt diese Erwägungen vollständig und will danach handeln.

Baron Burian war gleicher Ansicht.



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