1915-06-07-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14086
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


"Wolff's Telegrafisches Büro"

Agenturbericht (Deutschland)




Konstantinopel, 4. Juni.

Die Agence Havas hat am 24. Mai dieses Jahres folgende von den Regierungen Frankreichs, Großbritanniens und Rußlands im gegenseitigen Einverständnis beschlossene Erklärung veröffentlicht: Seit ungefähr einem Monat begeht die türkische und kurdische Bevölkerung Armeniens unter Duldung und oft mit Unterstützung der osmanischen Behörden Massenmorde unter den Armeniern. Solche Massenmorde haben um die Mitte des April in Erzerum, Terdschan, Eguin, Bitlis, Musch, Sassun, Zeitun und in ganz Kilikien stattgefunden. Die Einwohner von ungefähr hundert Dörfern in der Umgebung von Wan sind alle ermordet, und das armenische Viertel ist von den Kurden belagert worden. Zur selben Zeit hat die osmanische Regierung gegen die wehrlose armenische Bevölkerung in Konstantinopel gewütet. In Anbetracht dieses neuen Verbrechens der Türkei gegen Menschlichkeit und Zivilisation geben die alliierten Regierungen der Hohen Pforte öffentlich bekannt, daß sie alle Mitglieder der türkischen Regierung sowie diejenigen ihrer Beauftragten, die an solchen Massenmorden beteiligt sind, in Person verantwortlich machen.

Die Kaiserlich türkische Regierung setzt diesen Erklärungen und Behauptungen den schärfsten Widerspruch entgegen. Es ist völlig falsch, daß in der Türkei Mordtaten oder gar Massenmorde an den Armeniern stattgefunden hätten. Die Armenier von Erzerum, Terdschan, Eguin, Sassun, Bitlis, Musch und von Kilikien hatten überhaupt keine Handlung begangen, die die öffentliche Ordnung und Ruhe hätte stören, oder Maßregeln seitens der Regierung erforderlich machen können. Das wissen übrigens die Konsuln der neutralen Mächte ganz genau. Die Anklagen der Regierungen des Dreiverbandes in dieser Hinsicht sind also erlogen. Jeder, der die Verhältnisse kennt, weiß zur Genüge, daß es die Beauftragten des Dreiverbandes, insbesondere diejenigen Rußlands und Englands sind, die jede Gelegenheit benützen, die armenische Bevölkerung zum Aufruhr gegen die Kaiserliche Regierung anzustiften. Diese unaufhörlichen Umtriebe haben sich seit dem Beginn der Feindseligkeiten zwischen dem Osmanischen Reich und den oben genannten Regierungen verschärft. So haben ihre Konsuln und anderen Beauftragten in Bulgarien und in Rumänien junge türkische Armenier über Warna, Sulina, Konstanza und so weiter nach dem Kaukasus geschickt. Die russische Regierung hat sich nicht gescheut, diese jungen türkischen Armenier entweder in ihre Armee einzureihen oder sie mit Waffen, Bomben und umstürzlerischen Aufrufen und Programmen versehen, in die armenischen Hauptorte des türkischen Reiches zu senden. Sie sollten in diesen Hauptorten eine geheime umstürzlerische Organisation schaffen und die Armenier dieser Gegenden, insbesondere diejenigen von Wan, Schatak, Hawassur, Kewasch und Timar aufreizen, sich mit den Waffen in der Hand gegen die Kaiserliche Regierung zu erheben. Zugleich verleiteten sie sie dazu, die Türken und die Kurden zu ermorden. Als Beispiel dafür kann die Tätigkeit des früheren Abgeordneten Witoman Karakin Pasdirmadjian, bekannt unter dem Namen Armen Garo, dienen, der in die von den armenischen Bandenführern Tro und Hedscho gebildete Bande eintrat. An der Spitze von armenischen Freiwilligen, die von Rußland bewaffnet waren, zerstörte er, als Bajazid von den Russen besetzt wurde, alle türkischen Dörfer, die er auf seinem Wege fand, und ermordete die Einwohner. Als die Russen aus dieser Gegend verjagt wurden, wurde er verwundet. Gegenwärtig ist er mit seiner Bande an der kaukasischen Grenze tätig. Die in Amerika erscheinende Zeitung Asbarez hat seine Photographie veröffentlicht, auf der er zusammen mit Tro und Hedscho abgebildet ist, wie sie eben den feierlichen Eid vor dem Auszug in den Krieg leisten. Andere Armenier wurden von den englischen Behörden von Zypern in die Umgebung von Alexandrette gebracht. Unter ihnen befinden sich Toros Oglu und Aghop, bei denen Papiere gefunden wurden, die unzweifelhaft den angestrebten verbrecherischen Zweck beweisen. Diese Leute haben u.a. einige Züge zur Entgleisung gebracht. Andererseits traten die Kommandanten der englisch-französischen Seestreitkräfte in Verbindung mit den Armeniern der Gegend von Adana, Dört-Yol, Jungurtalik, Alexandrette und anderen Küstenorten und stachelten diese zum Aufruhr auf. Die Armenier von Zeitun haben sich bewaffnet gegen die Kaiserlichen Behörden erhoben und die Residenz des Gouverneurs umzingelt. Angesichts dieser Tatsachen hatte die Kaiserliche Regierung die Pflicht, die Revolution mit allen ihr zu Gebote stehenden gesetzlichen Mitteln zu unterdrücken und die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten, eine Pflicht, welche zu Kriegszeiten von ganz besonderer Dringlichkeit und Wichtigkeit ist.

Die Kaiserliche Regierung sah sich also genötigt, einerseits zur militärischen Unterdrückung zu schreiten, andererseits mit der Verhaftung der revolutionären Armenier vorzugehen, die in Verbindung mit den revolutionären Komitees im Auslande und mit den Agenten des Dreiverbandes stehen. Im Gegensatz zu den Behauptungen der drei genannten Regierungen wurde die Unterdrückung des Aufruhrs ohne die geringste Beteiligung irgend welcher Elemente der Bevölkerung durchgeführt. Die Untersuchungen in den Wohnungen der Revolutionäre führten zur Entdeckung revolutionärer Fahnen und wichtiger Dokumente über den beabsichtigten Aufstand, sowie über die separatistischen Ziele der Bewegung. Diese Dokumente bewiesen außerdem, daß die revolutionären Komitees, die gegenwärtig ihren Sitz in Paris, London und Tiflis haben, tatsächlich den Schutz der englischen, der französischen und der russischen Regierung genießen. Untersuchungen in den Provinzen ergaben, daß bei den Armeniern tausende von Bomben und russischen Gewehren entdeckt wurden. Diese verhafteten Armenier wurden natürlich der zuständigen Gerichtsbarkeit überliefert, ebenso wie diejenigen, die sich, von englischen, französischen und russischen Agenten aufgestachelt, dem Heeresdienst entzogen und zu diesem Zweck die Gendarmen angegriffen hatten. Die Kaiserliche Regierung ist heute auch im Besitz von Dokumenten, die beweisen, daß die in Rede stehende Bewegung unter der Förderung der russischen, der französischen und der englischen Regierung vorbereitet ist und daß der letzte Kongreß der armenischen Revolutionäre in Konstanza den Beschluß gefaßt hat, im geeigneten Moment zur Tat zu schreiten, obwohl er öffentlich den Anschein erwecken wollte, als hätte er auf die aufständische Bewegung verzichtet. Die Hohe Pforte wird zur geeigneten Zeit alle diese Dokumente veröffentlichen, um die öffentliche Meinung aufzuklären.

Die von der Kaiserlichen Regierung getroffenen Maßnahmen gegen die Aufstandsbewegung der Armenier stellen keineswegs eine gegen diese gerichtete Bewegung dar, was schon daraus hervorgeht, daß von den 77835 Armeniern Konstantinopels nur 235 der Mitschuld an der aufständischen Bewegung bezichtigt und verhaftet worden sind, während die anderen in Ruhe ihren Geschäften nachgehen und sich der größten Sicherheit erfreuen. Wenn gewisse Armenier zeitweilig auf andere Reichsgebiete übersiedeln mußten, so geschah das, weil sie im Kriegsgebiet wohnten und ihre Anwesenheit daselbst der Regierung in Anbetracht der vorgefallenen Ereignisse eine gewisse Unruhe im Hinblick auf die nationale Verteidigung einflößte.

Die Hohe Pforte, deren heiligste Pflicht es ist, in erster Linie für die Sicherheit ihrer Grenzen zu Wasser und zu Lande zu sorgen, ist keiner fremden Regierung hierüber Rechenschaft schuldig, und die Behauptung, wonach die Mitglieder der Kaiserlichen Regierung und die anderen Staatsbehörden für die erwähnten Maßregeln verantwortlich zu machen seien, verdient gar keine Erwiderung. Klingt es nicht paradox, wenn man hört, wie die englische, die französische und die russische Regierung an die Gefühle der Menschlichkeit appellieren, während die Befehlshaber der englisch-französischen Seestreitkräfte an den Dardanellen auf Ambulanzen und Spitäler schießen lassen und die russische Regierung ihrerseits Tausende von friedlichen Türken in der Umgebung von Kars massakrieren läßt, die im Kaukasus gefangen genommenen Türken dem Verhungern und Verdursten preisgibt oder sie von denselben Armeniern mit dem Kolben erschlagen läßt? Nicht die Türkei, sondern Rußland war es, welches damit anfing, die Konsuln der kriegführenden Staaten der übelsten Behandlung zu unterziehen und das Völkerrecht und die Menschlichkeit mit Füßen zu treten.

Die englischen, französischen und russischen Drahtzieher haben sich nicht damit begnügt, den Aufstand der Armenier auf diese Weise vorzubereiten, sie haben auch versucht, die muselmanischen Bevölkerungsteile ebenfalls gegen die Regierung Seiner Majestät des Sultans aufzuwiegeln. Um diesen Zweck zu erreichen, haben sie sogar die Ausübung persönlicher Verbrechen organisiert, wofür die Beweise in den Händen der Hohen Pforte sind. Die englische, die französische und die russische Regierung, die seinerzeit Aufstände und Umtriebe im Kaukasus , in Marokko, in Ägypten, in Indien und so weiter auf das brutalste und durch ganz unmenschliche Mittel unterdrücken, dürften die letzten sein, welche der türkischen Regierung die Abwehrmaßregeln, die sie selbst veranlaßt haben, und die übrigens mit der größten Mäßigung und Gerechtigkeit angewendet wurden, zum Vorwurf zu machen berechtigt sind. Die Mächte des Dreiverbandes, welche die armenische revolutionäre Bewegung organisiert und geleitet haben, bezwecken durch ihre Erklärung nur eine offenkundige Unterstützung und Ermunterung der armenischen Agitatoren. Auf sie allein fällt die ganze Verantwortung.



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