1915-07-09-DE-002
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Quelle: DE/PA-AA/R14086
Zentraljournal: 1915-A-22559
Erste Internetveröffentlichung: 2000 März
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 07/29/1915 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 35/J. Nr. Geh 316
Zustand: A
Letzte Änderung: 04/22/2012


Der Konsul in Trapezunt (Bergfeld) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht



Nr. 35 / J. Nr. Geh 316

Trapezunt, den 9. Juli 1915

Nach dem Eintritt der Türkei in den Krieg machten sich unter den hiesigen Armeniern ernste Befürchtungen für ihre persönliche Sicherheit bemerkbar. Obwohl keinerlei Anzeichen auf bevorstehende Ausschreitungen hindeuteten, habe ich dennoch den Schutz der Christen in Trapezunt und Umgegend bei dem hiesigen Vali in freundschaftlicher Form zur Sprache gebracht. Er gab mir die bestimmtesten Versicherungen, dass gegen sie nichts unternommen werden würde, solange sie selber sich ruhig verhielten und zeigte mir ein Telegramm des Ministeriums des Innern, in welchem Tala'at Bey die Armenier dem besonderen Schutz der Behörden empfahl. Tatsächlich haben sich die Christen hier auch zunächst der grössten Sicherheit erfreut, und einige bei Armeniern notwendige Haussuchungen wurden, wie mir von den Armeniern selber versichert worden ist, mit der grössten Rücksicht durchgeführt. Dies bedarf um so mehr der Anerkennung, als an der Küste russische Armenier in Banden nicht nur gegen die Türken kämpfen, sondern auch gegen die russischen Mohammedaner die schwersten Ausschreitungen begangen haben. Tausende vor ihnen flüchtende Mohammedaner sind hier eingetroffen und zum grössten Teil in das Innere weiter transportiert worden. Ihre Leidensgeschichten sind geeignet, auch Nichtmohammedaner gegen die russischen Armenier einzunehmen.

Die Christen haben die ihnen von den Türken bewiesene vorurteilslose Behandlung schlecht gelohnt. Sie machten aus ihrer Abneigung gegen die Türkei und ihren Sympathien für den Dreiverband, in Sonderheit Russland, kein Hehl, und die hier umgehenden Gerüchte unsinnigster Art, wie Fall der Dardanellen, Konstantinopels, Erserums, russische Landung bei Midia, oder gar Flucht des Sultans nach Brussa, sind auf sie zurückzuführen. Es kam dann die Aufdeckung der Verschwörung gegen das jungtürkische System und seine Führer, der Aufstand der Armenier in der Provinz Wan und Unruhen von ihrer Seite an anderen Orten der Türkei. Dies veranlasste wohl die Hohe Pforte gegen die Armenier Ausnahmemassregeln zu ergreifen.

Am 24. Juni wurden die hiesigen Führer der armenischen Komites verhaftet und über Samsun in das Innere abgeschoben. Am gleichen Tage erfuhr ich, dass die Deportierung sämtlicher Armenier erwogen werde und dass sich eine Strömung geltend mache, diesen Anlass zu Ausschreitungen gegen die hiesigen Armenier zu benützen. Ich habe den Vali hierauf hingewiesen und von ihm die bündigsten Erklärungen erhalten, dass eine etwaige Ausweisung der Armenier, selbst bei bewaffnetem Widerstand, lediglich von den Zivil- und Militärbehörden, unter Ausschaltung irgendwelcher unverantwortlicher Privatpersonen, durchgeführt werden würde. Am 26. Juni wurden dann die Armenier aufgefordert, sich zur Abschiebung in's Innere nach Ablauf von fünf Tagen bereit zu halten. Nur den Kranken wurde erlaubt zu bleiben, und ihre Unterbringung in Krankenhäusern vorgesehen. Der Verkauf irgend welcher Sachen war ihnen verboten. Die Läden und Magazine sollten versiegelt, alle Gegenstände aus den Wohnungen an bestimmte Orte gebracht und dort der Obhut der Regierung unterstellt, Geld zur etappenweisen Nachsendung auf dem Postamt abgeliefert werden.

Von der Deportierung wurden in der Provinz Trapezunt etwa 30000 Personen betroffen. Ein derartiger Massentransport auf Strassen, wo es an genügend Nahrung und Unterkommen mangelt und welche in ihren ersten 300 km als völlig verseucht mit Flecktyphus angesprochen werden müssen, musste unter den Armeniern, besonders unter Frauen und Kindern, ungeheure Opfer fordern, die im Ausland und vielleicht auch in Deutschland eine berechtigte Kritik einer derartig weitgehenden Massregel herausgefordert hätten. Ich habe daher der Kaiserlichen Botschaft in Konstantinopel von der Sachlage Kenntnis gegeben und mich gleichzeitig bemüht bei dem hiesigen Vali eine Milderung der Ausweisung zu erreichen. Er zeigte meinen in freundschaftlicher Form gehaltenen Vorstellungen ein williges Gehör und weitestes Entgegenkommen. So wurden von der Deportierung zunächst ausgenommen: Alle Kinder unter 10 Jahren, Witwen und Waisen, sowie alle weiblichen Personen, welche zur Zeit ohne männlichen Schutz sind, worunter auch die Familien der unter den Waffen Stehenden fielen, Kranke und Schwangere, sowie die katholischen Armenier. Den Kranken und Schwangeren wurde überdies erlaubt, in ihrer Wohnung zu bleiben und eine weibliche Familienangehörige zu ihrer Pflege bei sich zu behalten, Kinder konnten bei Bekannten untergebracht werden. Schliesslich wurde den Ausgewiesenen auch gestattet Wertgegenstände, sowie ihren Hausrat nach einer Einholung einer Genehmigung des Polizeidirektors zu verkaufen. Nach diesen Grundsätzen wurde an den ersten beiden Tagen des Abtransportes verfahren, wobei in Bezug auf das Alter der Kinder und auf Krankheiten der Frauen rechte Nachsicht geübt wurde. Bedauerlicherweise wurden am dritten Tage, anscheinend auf Weisungen aus Konstantinopel,1 alle hier erreichten Ausnahmen, abgesehen von der Erlaubnis des Bleibens für die Kinder, wieder aufgehoben.

Der Abtransport aus der Stadt Trapezunt und der nächsten Umgegend ist beendet. Einige Selbstmorde und eine Brandstiftung kamen vor. Sonstige Zwischenfälle sind nicht zu verzeichnen.

Für die Sicherheit der Deportierten während des Transports hat der Vali mir beruhigende Versicherungen gegeben. Ich vertraue auch seiner Energie und seinem guten Willen, dass innerhalb seines Machtbereichs den Armeniern nichts zustossen wird. Indessen deuten Anzeichen darauf hin, dass an anderen Orten an eine Ausrottung der Armenier gedacht2 wird. So sind zwischen Erzinghian und Diarbekir Armenier auf der Bergstrasse, angeblich von Kurden niedergemetzelt worden, und grössere Banden von Wegelagerern unter französisch sprechenden Führern haben sich bei Erzerum und Baiburt gezeigt.3 Es ist immerhin auffallend, dass in jener Gegend, welche bisher unbedingt sicher war, sich grössere Banden bilden können. Ohne für meine Meinung Beweise bringen zu können, vermag ich mich des Eindrucks nicht zu erwehren, dass das jungtürkische Komite als treibende Kraft für das Vorgehen gegen die Armenier anzusehen ist. Das Zentralkomite scheint auf diese Weise der armenischen Frage endgiltig ein Ende machen zu wollen. Denn diejenigen Armenier, welche ihren Bestimmungsort wirklich erreichen, werden nur ausnahmsweise später in ihre alten Wohnsitze zurückkehren. Den Meisten unter ihnen wird es schon an den nötigen Mitteln fehlen. Damit wird es künftig keine Provinzen mit einem starken Prozentsatz armenischer Bevölkerung mehr geben. Die Lokalkomites der Jungtürken hoffen bei der Deportierung der Armenier aus der Aneignung von deren Gütern reichen Privatgewinn zu finden, und bei der Abhängigkeit der meisten Verwaltungsbehörden vom Komite werden sie sicher in ihrer Berechnung sich nicht getäuscht haben.

Zur Ehre der türkischen Bevölkerung in ihrer Gesamtheit muss gesagt werden, dass sehr viele Türken mit der Ausweisung der Frauen und Kinder nicht einverstanden sind. Andererseits muss festgestellt werden, dass die Armenier bei dieser Gelegenheit einen sehr wenig anziehenden Charakter gezeigt haben. Die ersten, welche um Intervention für ihr Verbleiben baten, waren die Geistlichen; der Gedanke, dass ihr Platz gerade in Zeiten der Not an der Seite ihrer Gemeinde sei, kam ihnen überhaupt nicht; als eine Ausnahme für die Priester nicht erzielt werden konnte, bat der Vertreter des hiesigen Bischoffs, ein Diakon im weissen Bart, den Vali um die Erlaubnis zum Islam übertreten zu dürfen, worauf ihm dieser erwiderte, dem stände nichts im Wege, er brauche nur das mohammedanische Glaubensbekenntnis auszusprechen und sich danach der Beschneidung zu unterwerfen, im übrigen wende sich die Ausweisung aber nicht gegen die Christen, sondern gegen die Armenier; ein zum Islam übergetretener Armenier werde dann eben als mohammedanischer Armenier ausgewiesen. Die männlichen Armenier verliessen nach der Bekanntgabe des Ausweisungsbefehls ihr Haus überhaupt nicht mehr, sondern sandten stets ihre Frauen; manche Angestellte der Regierung und der Bank erwirkten für sich einen Aufschub und liessen ihre Familien allein ziehen.

Vor dem Kaiserlichen Konsulat und der Privatwohnung, welche ich seit der schweren Beschiessung der Stadt durch die russische Flotte auf dem Land bezogen habe, spielten sich herzergreifende Scenen ab. Zahlreiche Frauen erflehten für sich oder wenigstens ihre Kinder Rettung. Ich habe von jeglichen4 Schritten im Interesse einzelner Personen Abstand nehmen und meine Bemühungen darauf konzentrieren müssen, für die Gesamtheit Erleichterungen zu erzielen. Nur in einem Fall war ich zu einer Ausnahme gezwungen. In der Nacht vom 6. zum 7. d.M. überstieg der neben dem Konsulat wohnende armenische Vorsteher des Stadtviertels mit seiner Familie die das Konsulatsgrundstück umgebende Mauer und suchte dort Zuflucht. Zur Vermeidung der Aufrollung der Frage des Asylrechts habe ich beim Vali erwirkt, dass er hier bleibt. Der Vali hat dies zugestanden unter der Voraussetzung, dass jener in seiner Eigenschaft als Bezirksvorsteher den Behörden bei ihren Massnahmen, Versiegelung der armenischen Häuser, Haussuchung usw. helfe. Der Armenier hat sich hierzu bereit erklärt.

Meine hiesigen Kollegen haben ihren Botschaften in Konstantinopel von dem Ausweisungsbefehl telegraphisch Kenntnis gegeben. Die Vertreter von Italien und Amerika, denen ein chiffrierter Verkehr mit ihren Botschaften nicht gestattet ist, haben sich auf eine kurze Mitteilung der Tatsache beschränken müssen. Der Konsul von Österreich-Ungarn hat seine vorgesetzte Behörde auf die grossen Gefahren, welche die Massendeportierung für Frauen und Kinder bietet, hingewiesen. Bei dem hiesigen Vali hat der österreichische Kollege für einige Kinder, der amerikanische Konsul für die seinem Schutze unterstellten persischen Armenier interveniert, beide erfolglos. Der italienische Kollege ist aus Furcht vor Unruhen gegen die Christen5 geistig zusammengebrochen. Mit dem österreichischen Kollegen habe ich die von mir beim Vali zu unternehmenden Schritte besprochen. Von einer Intervention seinerseits hat er Abstand genommen. Ich habe mich hiermit einverstanden erklärt. Denn einmal weiss ich, dass er dem Vali nicht sehr sympathisch ist; dann bringt dieser Beamte6 mir das weiteste Vertrauen entgegen, welches mir ermöglicht auch eine derart heikle Regierungsmassnahme wie die Ausweisung der Armenier offen mit ihn zu besprechen, ohne das gute Einvernehmen, welches zur Zeit zwischen unseren beiden Behörden herrscht, zu gefährden.7 Im übrigen ist auch der österreichische Konsul etwas ängstlicher Natur. Am zweiten Tage der Ausweisung begab er sich zu dem amerikanischen Missionar, wo viele armenische Kinder untergebracht waren, dann verliess er fünf Tage lang seine Wohnung auf dem Lande nicht. So fiel die ganze Last der Beruhigung der Armenier auf meinen amerikanischen Kollegen und mich.

In den kritischen Tagen wurde die in nächster Nähe des Kaiserlichen Konsulats gelegene Polizeiwache militärisch verstärkt und meine Privatwohnung unauffällig von Militär bewacht. Einen Schutz meiner Person habe ich aus Gründen des Prestige auch für meine Ritte in die Stadt und zurück abgelehnt.8

Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass anlässlich der Ausweisung der Armenier aus Trapezunt in der Presse des Auslandes und vielleicht auch in deutschen Blättern Angriffe gegen das Kaiserliche Konsulat gerichtet werden. Euerer Exzellenz habe ich daher geglaubt eingehend über die Deportierung und die aus diesem Anlass seitens der Kaiserlichen Behörde unternommenen Schritte berichten zu sollen.

Abschrift dieses Berichts habe ich der Kaiserlichen Botschaft in Konstantinopel eingereicht.


Bergfeld


1 "anscheindend auf Weisung aus Konstantinopel" von Rosenberg für den Verteiler gestrichen.
2 "an eine Ausrottung der Armenier gedacht" ersetzt durch: "weniger glimpflich verfahren".
3 Folgende Passage bis Ende des Absatzes (von "es ist immerhin ... bis nicht getäuscht haben") gestrichen.
4 "jeglichen" gestrichen.
5 "gegen die Christen" gestrichen.
6 "einmal weiss ich, dass er dem Vali nicht sehr sympathisch ist, dann bringt dieser Beamte mir ..." ersetzt durch "denn der Vali bringt mir ...".
7 bis zum Absatzende (von "Im übrigen .. bis "Kollegen und mich") gestrichen.
8 Ab hier bis Ende des Schreibens für den Verteiler gestrichen.



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