1915-07-15-DE-002
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Quelle: DE/PA-AA/R 19998
Zentraljournal: 1915-A-22100
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 448
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Botschafter in Konstantinopel (Wangenheim) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht


Pera, den 15. Juli 1915

1 Anlage

Euerer Exzellenz beehre ich mich anliegend einen Bericht des Dragomans Dr. Prüfer über die Verlegung des Oberkommandos der IV. türkischen Armee nach Damaskus und die Lage daselbst abschriftlich zu überreichen. Da mir Dr. Prüfer, welcher inzwischen in Damaskus angekommen sein dürfte, als nüchterner Beobachter bekannt ist, dürfte seine Schilderung der allgemeinen Lage als zutreffend anzusehen sein. Sie ist ein weiterer Beweis für die Zunahme des türkischen Chauvinismus, der sich auch gegen die deutsche Mitarbeit wendet.


Wangenheim
Anlage
Jerusalem, den 23. Juni 1915

Seiner Exzellen dem Kaiserlichen Botschafter Herrn Freiherrn von Wangenheim Konstantinopel

Eurer Exzellenz habe ich die Ehre zu berichten, dass in etwa einer Woche das General Oberkommando der 4. Armee von Jerusalem nach dem Libanon verlegt werden wird. Die Sinai-Wüste ist teils aus klimatischen Gründen und infolge von Verpflegungsschwierigkeiten, teils aus Mangel an Truppen aufgegeben worden. In der Tat besteht die 4. Armee zur Zeit nur noch aus zwei Divisionen arabischer Truppen von höchst zweifelhaftem Gefechtswert. Ein ernsthafter feindlicher Invasionsversuch wäre mit diesen Truppen keinesfalls abzuwehren. Soweit die Nachrichten aus Egypten ein Urteil über die dortige militärische Lage zulassen, scheinen allerdings die feindlichen Streitkräfte in Egypten ebenfalls so geschwächt zu sein, dass auf einen Angriff auf Syrien-Palestina kaum gerechnet zu werden braucht. Die Engländer, die durch ihr vorzügliches Nachrichtenwesen über die Verhältnisse in diesem Lande bis ins Kleinste unterrichtet zu sein scheinen, halten in richtiger Beurteilung der Lage es nicht mehr für nötig, die Suezkanallinie durch stärkere Kräfte zu schützen. Die ganze 160 km. lange Front ist durch höchstens ein par tausend Mann bewacht. Weder diesseits noch jenseits des Kanals glaubt irgend ein Eingeborener an eine Wiederholung des Angriffs auf Egypten, und, wenigstens in diesem Lande, ist man mit dieser Wendung der Dinge durchaus nicht unzufrieden. Die durch die sinnlosen Requisitionen, durch die schwere Heuschreckenplage und die unter der Marke militärischer Lieferungen in zügellosester Weise betriebenen Erpressungen kleinerer und grösserer Lokalmachthaber aufs äusserste erschöpfte Bevölkerung kennt nur einen Wunsch, den Wunsch nach Frieden. Seitens der Behörden geschieht nichts, um die Stimmung zu heben. Die günstigen Kriegsnachrichten finden keine Verbreitung, die böswilligen Erfinder pessimistischer Gerüchte bleiben unbehelligt. Wohlgemeinte Ratschläge von deutscher Seite zur Besserung dieser Übelstände haben nur selten Aussicht auf Erfolg, da die Haltung der obersten Landesbehörden gegenüber den Deutschen mehr von Eifersucht und Misstrauen, als von dem aufrichtigen Wunsche dem eigenen Vaterland zu dienen diktiert zu werden scheint. Dafür machen sich gerade in der Umgebung Dschemal Paschas Einflüsse geltend, die sicherlich die Politik des Oberstkommandierenden in nicht gerade heilsamer Weise lenken. So gehört zu seiner nächsten Umgebung der ehemalige Abgeordnete für Akka, Schech Asaad Schker, ein mit keinerlei Gewissensskrupel belasteter Herr, der sich mit selbst für hiesige Verhältnisse erstaunlich geringen Summen bestechen lässt. Die Folge davon ist, dass das Armeeoberkommando, das früher wenigstens auf Achtung, wenn schon nicht auf Liebe seitens der Bevölkerung rechnen konnte, erheblich an Ansehen eingebuesst hat. In Jerusalem wird man schwerlich viele Leute finden, die über die Verlegung des Hauptquartiers nicht hocherfreut wären.

Dschemal Pascha selbst will an diese Stimmung, die nicht nur in der Zivilbevölkerung, sondern auch bei den Truppen gegen ihn herrscht, begreiflicherweise nicht glauben, da er täglich von den Leuten vom Schlage des Schech Asaad und seiner eingeborenen und europäischen Klique mit den plumpsten Schmeicheleien überschüttet wird.


[Prüfer]



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