1915-08-06-DE-002
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Quelle: DE/PA-AA/BoKon 96/Bl. 76-79
Botschaftsjournal: 10-12/1915/6357
Erste Internetveröffentlichung: 2010 April
Edition: Deportationsbestimmungen
Zustand: A
Letzte Änderung: 04/01/2012


Der Konsul in Adana (Büge) an den Botschafter in außerordentlicher Mission in Konstantinopel (Hohenlohe-Langenburg)

Bericht


Adana, den 6. August 1915 [im Original versehentlich 1916]

J.No. 675

Euerer Durchlaucht beehre ich mich, in der Anlage ein mir vom Missionsvorsteher B. von Dobbeler übersandtes Schreiben gehorsamst zu überreichen.


Büge
[Notiz Neurath]

Es dürfte sich empfehlen, die Klagen bei der Pforte energisch zur Sprache zu bringen.


[Antwort Botschaft 31.08.]

Das Ministerium des Innern hat vor einigen Tagen telegraphische Weisung erteilt, daß die deutsche Waisenanstalt in Harunije in keiner Weise belästigt werden soll.

Epp. bitte ich über die weitere Gestaltung der Lage in Harunije erg. berichten zu wollen.

Die aus diesem Anlaß wieder erhobenen Klagen daß Deutsche und deutsche Anstalten seitens der türkischen amtlichen Stellen einer schlechteren Behandlung ausgesetzt seien als andere Ausländer, können insofern nicht mit dem nötigen Nachdruck bei der türk. Regierung vertreten werden als sie allgemeine Eindrücke u. Stimmungen wiedergeben ohne Bezeichnung bestimmter Vorgänge u. derjenigen amtlichen Stellen, welche gegebenenfalls zur Verantwortung gezogen werden könnten.

Ew bitte ich daher erg. mich von etwaigen Vorfällen, sich in diesem Zusammenhang zur Verwertung gegenüber der Pforte eignen, ohne Verzug in Kenntnis setzen zu wollen.

Eine entsprechende Bescheidigung des Herrn v. Dobbeler auf seine Eingabe vom 4. August stelle ich Epp. erg. anheim.


N[eurath]


Anlage

Harunije im Vilajet Adana, den 4. August 1915.

Epp. Durchlaucht

erlaube ich mir das Folgende in tiefster Ergebenheit zu unterbreiten:

In Harunije im Vilajet Adana besteht seit fünf Jahren eine deutsche Schule, deren Schülerzahl bereits 170 betragen hat und sich zur Zeit auf 150 beläuft. Die Schule, die Internat ist, nimmt Kinder aller Konfessionen und Nationalitäten auf, so hatten wir außer armenisch-evangelischen auch bereits türkisch-islamitische und griechisch-orthodoxe. Da die Kinder in der Hauptsache Armenier sind, so haben wir seit mehreren Monaten unter fortgesetzten Beunruhigungen von Seiten der türkischen Beamten zu leiden, die die Absicht haben, die deutsche Schule auffliegen zu lassen, um das Gebäude dann für ihre Zwecke, angeblich Regierungszwecke, zu verwenden. Dies geschieht oft in der beleidigendsten Weise unter Berufung auf die Aufhebung der Capitulationen. Wir sind noch nie so behelligt worden wie in dieser Zeit, in der man es doch nicht erwarten sollte. Die Amerikanische Mission des „American Board“, die ebenso wie wir an vielen Orten des Landes, so auch in Adana, Tarsus, Marasch, Aitab u.s.w. Schulen und Waisenhäuser unterhält, darf ihre Arbeit ungestört und unbehelligt fortsetzen, trotzdem eine ganze Anzahl ihrer Missionare Engländer und Canadier, also Angehörige einer kriegführenden Macht sind. Woran liegt das? Alle feindlichen Ausländer freuen sich natürlich über die Behandlung, die uns von unseren sogenannten Freunden, den Türken, resp. den türkischen Beamten zuteil wird. Alle mir bekannten Deutschen im Innern, unter anderem auch Ingenieure und Angestellte der Bagdad-Bahn führen dieselben Klagen, die also doch eine Berechtigung haben müssen. Warum sind unseren Konsulaten die Hände gebunden, so daß sie uns nicht helfen können, und wir, als Angehörige des bei weitem mächtigsten Volkes der Erde der Willkür der Türken und dem Spott der feindlichen Nationen preisgegeben sind?

Die Kinder, die bisher eine christliche deutsche Erziehung erhalten haben, sollen nunmehr türkischen, muhammedanischen Händen übergeben werden, was nach unserer Ansicht ein grober Verstoß gegen jede Moral ist, zumal gerade jene Kinder, Kinder christlicher Eltern sind, die ihr Leben in dem Adana-Massaker 1909 einbüßten. Mag die türkische Regierung immerhin den Verdacht haben, daß alle Armenier Verräter und Spione sind, sie hat aber kein Recht, bei Schulkindern diesen Verdacht zu hegen. Geschieht es aber doch, so liegt darin ein der deutschen Schule und den Deutschen ausgedrücktes Mißtrauens-Votum, das abzulehnen wir allen Grund haben. Unsere Arbeit ist in Deutschland in den weitesten Kreisen bekannt und wird von den verschiedensten Schichten der Bevölkerung getragen. Ich kann wohl sagen, daß eine Auflösung unserer Anstalt berechtigtes Aufsehen in der Heimat erregen würde.

Ich ersuche deshalb Ew. Durchlaucht unterthänigst uns bei der Hohen Pforte feste und dauernde Garantien für den ungeschmälerten Fortbestand unserer Anstalt erwirken zu wollen.


In höchster Verehrung zeichne ich als Ew. Durchlaucht
gehorsamster Diener
B. v. Dobbeler.
Leiter der deutschen Schule in Harunijé.



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