1915-08-07-DE-006
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Quelle: DE/PA-AA/BoKon/170
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Die Konstantinopler Mechitaristen an die Botschaft Konstantinopel

Privatschreiben



Pera, den 7. August 1915
Einige Fälle der Deportation der Armenier

Ein Türke, der in Trapezunt lange Zeit bei einem Armenier gedient hat und der vor einigen Tagen auf einem Segelschiff nach Constantinopel gekommen ist, hat folgendes über Trapezunt erzählt:

Die erste Tat des Vali wurde die plötzliche Verhaftung 26 Armenier, die in einem Kaffee sassen. Sie wurden auf einem Segelschiff nach Samsun geschickt, aber unterwegs kamen alle um ausser einem, der sich durch Schwimmen retten konnte. Dieser suchte Zuflucht bei dem italienischen Consul, aber auf die Forderung der türkischen Autoritäten hat der Consul ihn geliefert und der Mann wurde lebendig begraben. Darauf hat der Vali durch einen Schreier der Bevölkerung melden lassen, dass nur die Armenier in fünf Tagen sich der Deportation bereit stellen müssen. Sie dürften Essen und Kleider mitnehmen, aber kein Geld. Ihr Geld müssten sie an die Post deponieren um es später zurückzunehmen. Kinder unter fünf Jahren durften nicht mitgetragen werden: man hat sie in eine Schule untergebracht. Die Rettung durch Übertritt zum Moslim ist Armeniern von Trapezunt nicht gestattet worden. Die kath. Priester und Schwester waren unter den ersten fortgeschlepten. Man hat sie in kleinen Gruppen fortgeschickt, also nicht alle auf einmal. Man weiss nicht wohin sie geschickt sind.

In den umliegenden Dörfern Güschana (6 Stunden südöstl. Trapezunt) und Mala (10 Stunden südwestl.) sind sämtliche Einwohner an der Stelle getötet worden, weil sie nicht freiwillig ausgehen wollten. Im arm. Dorfe Safila wohnen jetzt Türken (Mohadjirs).

Als das Segelschiff des fahrenden Türken nach Terme – zwischen Unieh und Samsun – ankam, ist er ausgelandet und hat in der arm. Kirche, die man zur Moschee umgewandelt hatte, sein Namaz-Gebet gehalten, und hat bei dieser Gelegenheit arm. Priester gesehen, die mit dem Turban geschmückt den türkischen Gottesdienst hielten.

In Unieh, Samsun, Ineboli und überall an den Küsten des Schwarzen Meeres sind die Armenier massenhaft zum Moslim übertreten, und trotzdem sind manche deportiert worden. Ein arm. Priester hat mit eigener Hand sein Haus und darin befindliche seine ganze Familie verbrannt um sein Glauben und die Ehre seiner Familie zu retten.

Bis hier die Erzählung des Türken, der im dritten Tage der Deportation von Trapezunt abgefahren ist.

Ein vor 14 Tagen aus Mersina geschriebener brief meldet, dass die Regierung den Armeniern befohlen habe, sich in zehn Tagen der Deportation bereit zumachen. Aus anderen Quelle erfährt man, dass schon 150 Familien deportiert sind.

Ein Reisender und Augenzeuge – nämlich ein Armenier der sich als Türke verstellend alles sehen durfte -, erzählt wie man in Erzingan etwa 1500 arm. Familien aus der Stadt hinausgebracht und alle, Mann und Frau, Kind und Greis in eine Schlucht schrecklicher Weise geschlachtet hat. Er sah mit Entsetzen wie an den Ufern des Euphrates hauptsächlich Kinder-, Frauen- und Mädchenleiche schwebten. Er erzählt noch tausende Einzelfälle über die Greueln, die dem Hörer das Herz brechen.

Fast dieselben Schrekenstaten sind auch in Sivas stattgefunden.

Man setzt keinen Unterschied zwischen Katholische Armenier und Gregorianische Armenier. So ist der kath. Bischof von Karput mit seinem Volk nach Aleppo deportiert worden. Vom kath. Bischof von Mardin hat man keine Nachricht, einem Gerüchte nach soll er und 700 kath. Armenier getötet werden. Vor vier Tagen hat der kath. Bischof von Erzerum telegraphiert, dass er und die Seinigen die Stadt verlassen müssen. Die vor drei Tagen aus Angora kommenden Reisender sagen, dass auch in dieser Stadt hat die Deportation begonnen. Die Armenier dieser Stadt, meist Katholiken, haben sich immer vom national-armenischen Leben fern gehalten und kennen nicht einmal ihre Muttersprache. Sie lebten immer in Frieden mit den Türken, so dass bei dem ersten Deportationsbefehl protestierten die Türken selbst dagegen und wollten sie die Armenier nicht verlassen. Doch hat die Centralregierung den guten Vali zum Ruhestand gerufen, und einen neuen böswilligen Vali ernannt, der den Plan der Regierung schonungslos durchführt.

Die Gefahr der Deportation nähert sich der Hauptstadt. Sie ist an die Türe. Die Städte Eskischehir und Adapazar Notiz Mordtmann: die Angabe betr. Eskischehir hat sich nicht bestätigt; dagegen sind Sabandja, Kurtbelen, Geive ganz geräumt, Kirchen in Moscheen, die Kirchtürme in Minarets verwandelt. sind schon deportiert worden. Man hat auch in Nikomedia oder Ismidt alle Vorbereitungen getroffen. Das nicht weit von Nicomedia liegende rein armenische Dorf Bardizag oder Baktschedjik, das etwa 12000 Einwohner hat, hat den Order bekommen sich der Deportation vorzubereiten. Wir haben mit eigenen Augen gesehen, dass hunderte von Frauen aus dieser Ortschaft, die in der Hauptstadt als Dienstfrau und Wäscherinnen für die Unterhaltung ihrer dortigen Familie arbeiteten, haben vorgestern Constantinopel in Tränen verlassen, um das grausame Schicksal ihrer Töchter und Kinder zu erleichtern und mit ihnen zusammensterben.

Schon waren die Einwohner dieses armen Dorfes etwa vor 20 Tagen schwer geprüft. Die Centralregierung hatte nämlich dem Herren Ibrahim Bei – der Gefängnismeister von Constantinopel und der ehemalige Veranstalter der Gemetzeln von Adana in 1908 [1909] – den besonderen Auftrag gegeben, die Armenier der ganzen Provinz Nicomedia und der naheliegenden Städte und Dörfer zu belästigen. Ibrahim Bei kam zuerst nach Baktschedjik, liess 42 angesehene Leute der Ortschaft vor sich bringen, verlangte die Waffen, die man ihm treulich lieferte. Er verlangte noch mehr als man nicht besass. Darauf hat er unter furchtbaren Drohungen einen Teil dieser Leute, unter deren den Dorfpriester, mit eigener Hand geprügelt und als er müde wurde liess er die anderen durch Gensdarmen aufs grausamste bastonieren, so dass manche ohnmächtig fielen und den anderen spritzte das Blut aus den Füssen. Er liess in der Kirche Ausgrabungen machen um Munition zu finden, was er freilich nicht fand, weil so etwas in diesem Dorfe niemals vorhanden war. Ibrahim Bei unterwarf einem ähnlichen Verfahren die Dörfer Owadjik, Arslanbek und andere.

Bis heute hat man von keinem Deportierten irgend eine Nachricht: Niemand ist an seinem Bestimmungsort angekommen, obschon der Prozess der Deportation seit drei Monaten begonnen hat; so z.B. der kath. Bischof von Karput hatte vor anderthalb Monaten telegraphiert, dass er und die Seinigen nach Aleppo deportiert werden, und er hat noch nicht Aleppo erreicht, wo er höchstens in 15 Tagen erreichen konnte. Aller Wahrscheinlichkeit nach beseitigt man sie unterwegs durch Ermordung und Erschöpfung. Das wird nicht nur durch Zeugnisse der Augenzeugen bestätigt, sondern auch durch den Umstand, dass die Regierung die Armenier in kleinen Gruppen aus ihren Städten und Dörfern hinausführt und, wie begreiflich, es ist eine leichte Sache eine kleine Gruppe von unbewaffneten Kinder, Frauen und Männer gleich ausserhalb der Stadt zu töten. Nach der Aussage eines americanischen Missionars, haben die türkischen Einwohner selbst der Bahnstation Eregli etwa 2000 armenische Kinder auf den Feldern und Bergen ihrer Umgebung gesammelt, die aus Hunger und Erschöpfung nahe daran waren, dem Tode anheim zu fallen. Sogar die Flüsse benutzt man als eine Todesmaschine gegen die Armenier, so z.B. hat man in der Provinz Bitlis mehrere tausende armenische Kinder und Frauen in Tigris und bei Erzingan in Euphrates geworfen. Und die Väter dieser Kinder, und die Männer dieser Frauen auf dem Kampffelde für das osmanische Vaterland fallen!


[Notiz Mordtmann 9.8.]

mir am 7. von den hiesigen Mechitaristen übergeben; enthält speziell Angaben über die Armeniergreuel in den Städten am Schwarzen Meer, und bei Ismid.



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