1915-08-18-DE-003
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Quelle: DE/PA-AA/R 20190
Zentraljournal: 1915-A.S.-4467
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Praesentatsdatum: 08/25/1915 p.m.
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Gesandte in Sofia (Michahelles) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht


Sofia, den 18. August 1915

Abschrift.

Verehrter Herr Staatssekretär!

Verbindlichst danke ich Euerer Exzellenz für das liebenswürdige Schreiben vom 29. Mai vor. Mts., daß ich nicht verfehlt habe, Ihrem freundlichen Wink entsprechend zu verwerten. Zwar ist es mir nicht gelungen, es direkt an den König gelangen zu lassen, indes Herr Radoslawow hat es gelesen, hat es dem Kabinettschef Herrn Dobrowitch gegeben und letzterer hat den Inhalt zweifellos Seiner Majestät mitgeteilt, wie er das regelmäßig zu tun pflegt.

Inzwischen sind wir, Gott sei Dank, durch die Mission Gantschew einen Schritt vorwärts gekommen, die Bedingungen der Militärkonvention haben hier einen sehr guten Eindruck gemacht und sind ja auch in der Tat äußerst günstig für Bulgarien. Nach Äußerungen Gantschews sollen nur gewisse Abänderungswünsche zur Sprache gebracht werden, die von geringer Bedeutung sind; so scheint gegen Griechenland eine andere Formulierung erwünscht zu sein. Aus gelegentlichen Bemerkungen Radoslawows entnahm ich, daß man hier auf einen Waffengang mit Griechenland gefaßt ist und ihm keineswegs aus dem Wege gehen möchte. Mit scheint es nun in unserem Interesse zu liegen, nachdem Griechenland in den letzten Monaten sich brav verhalten hat, ihm das gefährliche Risiko eines Krieges mit Bulgarien tunlichst zu ersparen und das ließe sich meines Erachtens erreichen, wenn wir ihm unsere Unterstützung zum legalen Erwerb des Epirus, den es per nefas okkupiert hat, und weiter eines Teiles von Südalbanien, etwa einschließlich Vallonas, versprechen, wogegen es Drama, Serres und Kawalla mit der davor gelagerten Insel Thasis an Bulgarien abtritt. Albanien als selbständiger Staat hat ja vollständig fiasco gemacht, so daß eine Wiederholung des Experiments wohl kaum verlohnen dürfte, und auf Wünsche Italiens brauchen wir wohl heute keine Rücksichten mehr zu nehmen. Vielmehr dürfte es Österreich passen, wenn die eine Küste der Straße von Otranto im Besitzt eines kleinen Staates bleibt, der ihm nicht gefährlich werden kann und der durch den Besitz zugleich in einem dauernden Gegensatz zu Italien gebracht wird. In einem Artikel des „Pester Lloyd“ hatte Graf Andrassi sogar befürwortet ganz Albanien an Griechenland zu geben. Wenn auch kürzlich die Zumutung des Vierverbandes, Griechenland solle Kawalla u.s.w. abtreten, in Athen einen Sturm der Entrüstung hervorgerufen hat, so galt dies wohl in erster Linie der plumpen Form, die einem Befehl bedenklich ähnlich sah, und zweitens lag es daran, daß die zum Ersatz angebotenen Erwerbungen bei der heutigen Kriegslage völlig in der Luft schweben. Hier in Sofia hat Herr Major von der Goltz einmal mit dem griechischen Militär-Attaché über die Frage gesprochen und letzterer hatte gemeint, mit der Abtretung Kawallas, Serres und Dramas werde man sich in Griechenland abfinden, nur könne es nie Salonik ohne einen Krieg herausgeben. Auf Salonik aber rechnen die Bulgaren nicht mehr. Kürzlich habe ich Radoslawow erzählt, wie mir der König im vorigen Winter gelegentlich auseinander gesetzt hat, daß er nach dem ersten und vor dem zweiten Balkankrieg eine lange Unterredung über die künftigen Grenzen zwischen Bulgarien und Griechenland mit Venizelos gehabt hat; sie hätten gemeinsam die Karte studiert und sich dahin verständigt, daß Salonik bei Griechenland, Drama, Serres und Kawalla bei Bulgarien bleiben müsse, der Fluß Struma also die Grenze bilden solle. Damals hat die kleinliche Eifersucht Geschow’s, der dem König diesen Erfolg nicht gönnte, das Zustandekommen eines Abkommens auf obiger Grundlage vereitelt. Radoslawow erwiderte mir, der König sei völlig im Recht gewesen; falls Bulgarien die Strumagrenze erlange, so falle jeder Anlaß zu einem Konflikt mit Griechenland fort; im Volke sei natürlich noch ein gewisser Haß vorhanden, allein die amtlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern seien heute schon völlig korrekt, was beispielsweise mit Serbien nie zu erreichen wäre.

Kommt in nächster Zeit Venizelos wieder ans Ruder, so wäre mit ihm das vorgeschlagene Tauschgeschäft wohl noch leichter zu realisieren, als mit Gunaris, denn ich vermute, daß Venizelos auf seine alte Entente-Politik nicht zurückkommen wird. Venizelos wird hier, ich weiß nicht ob mit Recht oder Unrecht, für einen Freund Bulgariens gehalten.

Sobald nun unsere Aktion gegen Serbien angesetzt wird und Bulgariens Teilnahme nicht mehr geheim zu bleiben braucht, sollten wir in Athen den Versuch wagen, auf der vorstehend skizzierten Grundlage eine Aussöhnung zwischen Griechenland und Bulgarien herbeizuführen, wodurch die Kriegslage wesentlich vereinfacht würde.

Wie ich heute festgestellt habe, war die Königliche Vollmacht für Gantschew zwar in Arbeit, aber noch nicht fertig gestellt, sobald die Formalitäten geregelt sind, kehrt der Oberstleutnant zur Unterzeichnung der Konvention nach Pless zurück.

pp.


[Michahelles]



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