1915-09-02-DE-007
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Quelle: DE/PA-AA/R 20009
Zentraljournal: 1915-A-26466
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Praesentatsdatum: 09/10/1915 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 543
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Botschafter in außerordentlicher Mission in Konstantinopel (Hohenlohe-Langenburg) an den Reichkanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht


Pera, den 2. September 1915.

Im Anschluß an Bericht No. 535.

1 Anlage.

Urschriftliche Seiner Exzellenz dem Reichskanzler Herrn von Bethmann Hollweg gehorsamst vorgelegt.


Hohenlohe
Anlage

Freiherr v. der Goltz

Nr. 316.

Geheim.


Bericht über den gegenwärtigen Stand der Küstenverteidigung östlich des Bosporus zwischen Schilé und Yum Burnu.

Es sind im Ganzen 8 Bataillone auf dieser Küstenstrecke verteilt, die demnächst durch ein neuntes vermehrt werden sollen. Alle sind in einer Linie nahe der Küste aufgestellt, betreiben ihren Ausbildungsdienst sowie den Küstenbewachungsdienst.

Der Ausbildungsdienst ist vom Inspekteur der Depottruppen Generalmajor Weidtmann vortrefflich geordnet. Er wird ganz kriegsmäßig betrieben, ohne viel Zeitverlust und ohne unnütze Lehrgegenstände. An einigen Stellen leidet er freilich unter Offiziersmangel; einzelne Kompagnien sind ganz ohne Offiziere; ein Hauptmann führt gleichzeitig zwei Bataillone. Im Allgemeinen aber ist alles aufs Beste geordnet, die Leistungen sind für die kurze Ausbildungszeit höchst erfreulich.

Der Küstenbewachungsdienst ist von der einfachsten Art. Es werden bei Tage von jedem Bataillon nur je 6 Mann in zwei Posten zu 3 Mann zur Beobachtung des Meeres aufgestellt. Dies sind die einzigen Leute, die am Ausbildungsdienst nicht teilnehmen. Nachts ist fleissiger Patrouillengang längst der Küste angeordnet - für die Rekruten eine ausgezeichnete Ausbildungsgelegenheit.

Von zwei Bataillonen, die ich alarmierte, war das eine 1 1/4 Stunde nach Abgang des Befehls, das andere nach nur 1/4 Stunde in ihren Gräben.

Trotzdem wäre es falsch, daraus auf eine hinreichende Verteidigung der Küste zu schliessen.

Alle 8 Bataillone, die zusammen eine Stärke von 12000 Mann haben, besitzen überhaupt nur 5600 Gewehre, davon 625 Mauser-, 2138 kleinkalibrige Henry-Martini-, 2837 Snyder-Gewehre.

Es kommen also in der Schützenlinie im günstigsten Fall ein Gewehr auf zwei Schützen. Auch die Munition ist nur knapp - höchstens 120 Schuss auf das Gewehr. Natürlich zeigt die auf eine Entfernung von 50 Kilometer ausgedehnte Stellung in ihrer Besetzung erhebliche Lücken, die dem Feinde ein Eindringen erlauben.

Von den 15cm-Batterien stehen vorerst nur 2 zu 4 Geschützen fertig da, sowie die Mantelbatterien. Diese allein reichen für eine erfolgreiche Verteidigung nicht hin. Es ist also nur möglich, Handstreiche von geringem Umfange gegen die Küste abzuwehren, nicht Landungen grösseren Stils.

Es kommt hinzu, daß hinter der dünnen und schwachen Küstenverteidigung keine verfügbare Reserve vorhanden ist. Zwar trägt das Rekrutenlager von Ueweslü den Namen einer Reserve, indessen hat es noch keinerlei militärischen Wert. Es ist jetzt erst in der Bildung begriffen, und die eben eingezogenen Rekruten, von denen zunächst auch nur ein geringer Teil bewaffnet ist, können nicht ohne Weiteres im Gefecht verwendet werden.

Man kann also mit Recht sagen, dass die Hauptstadt nach dem Schwarzen Meere hin zurzeit gegen einen ernsten Angriff schutzlos ist, da auch die Flotte diesen Schutz nicht wird übernehmen können. (Auf europäischer Seite, über die ich demnächst berichte, sind die Verhältnisse dieselben, wie auf asiatischer). Diese Lage, so bedenklich sie auch ist, kann und muss, als ein Ergebnis ungünstiger Umstände, im Kriege ertragen werden; solche Wagnisse wird jeder kriegführende Staat vorübergehend auf sich nehmen müssen. Im Augenblicke droht auch von russischer Seite keine Gefahr. Aber man muss sich darüber klar sein, dass eine Gefahr im Verzuge ist und, so bald als möglich, beseitigt werden muss.

Nochmals warne ich davor, neben den bereits in den Dardanellen-Verteidigung engagierten 16 Divisionen auch noch die Sarosgruppe der I. Armee mit ihren 4 Divisionen dort festzulegen, da die oberste Heeresleitung dann, ausser den beiden Divisionen bei Smyrna keinerlei operationsfähige Truppe mehr in der Hand hätte, um der angegriffenen Hauptstadt zu Hilfe zu eilen.

Sobald von der V. Armee die erste sichere Nachricht kommt, dass dort italienische Truppen auf Feindes Seite mitkämpfen, kann übrigens die 20. Division von Smyrna nach Constantinopel herangezogen werden, da sich nicht annehmen lässt, dass Italien, ausser der Unterstützung der Verbündeten an den Dardanellen noch eine zweite Expedition gegen Kleinasien zu unternehmen im Stande ist.


Frh. v.d. Goltz
Generalfeldmarschall



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