1915-09-26-DE-003
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Quelle: DE/PA-AA/R 20192
Zentraljournal: 1915-A.S.-5064
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Telegramm-Abgang: 09/27/1915 03:00 PM
Telegramm-Ankunft: 09/29/1915 03:40 AM
Praesentatsdatum: 09/29/1915 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 1262
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Gesandte in Athen (Mirbach) an das Auswärtige Amt

Telegraphischer Bericht


Athen, den 26. September 1915

Das Allerhöchste Antworttelegramm Seiner Majestät des Kaisers und Königs (Telegr. Nr. 10 aus dem Allerhöchsten Hauptquartier) habe ich heute Mittag Sr. Majestät dem König überreicht.

Der König bemerkte, er würde noch Gewicht darauf legen, die ungefähre Bevölkerungszahl kennen zu lernen, um welche Bulgarien sich vergrössern wird.

Auf meinen Einwand, ob denn eine derartige „rage de nombre“ wirklich gerechtfertigt sei, erwiderte Se. Majestät, die Bevölkerungsziffer sei entscheidend für das Rekrutenkontingent, er könne nicht zulassen, daß Bulgarien um vieles nominal stärker sei als Griechenland.

Das Gespräch wendete sich hierauf der wichtigsten Entscheidung Sr. Majestät bezüglich Beibehaltung Herrn Venizelos zu. Ich hielt mit den schweren Bedenken nicht zurück, welche dadurch hervorgerufen seien.

Der König, dem die Ereignisse über den Kopf zu wachsen beginnen, der ausserdem infolge neuer Eiterungen seiner Operationswunde seit 4 Tagen das Bett hütet und gesundheitlich recht angegriffen ist, hatte nur die schon oft gehörte stereotype Antwort bereit, dass, sobald Unstimmigkeiten bezw. Unzuträglichkeiten in die Erscheinung treten wollten, Herrn Venizelos Ministerherrlichkeit eben doch noch ihr Ende finden würde.

Besonders zuversichtlich und überzeugend klangen Sr. Majestät Versicherungen übrigens nicht und wie immer in solchen Fällen, wenn eine Unterhaltung ihm unbehaglich zu werden beginnt, änderte der König das Thema und glaubte auf allgemeine gravamina uns gegenüber zurückgreifen zu sollen.

Se. Majestät versucht sich so zu stellen, als erschwerten in gewissem Sinne wir es ihm, Herrn Venizelos den erforderlichen Widerstand entgegenzusetzen.

Zunächst fragte Se. Majestät einigermassen vorwurfsvoll, warum wir ihn von der allgemeinen Mobilmachung Bulgariens nicht in Kenntnis gesetzt hätten.

Ich entgegnete, es sei doch immerhin möglich, dass auch wir hierüber nicht informiert gewesen seien. Ausserdem könne ich Sr. Majestät mitteilen, dass mir Nachrichten zugegangen seien, wonach die bulgarische Mobilmachung von niemand anders als von Venizelos beschleunigt worden sei, der durch Vertrauensmänner bezw. Agenten in Sofia verbreitet habe, Griechenland stehe im Begriff, Bulgarien zu überfallen.

Sodann kamen Se. Majestät auf seine bekannten, von seinem Gesandten in Berlin übermittelten „sieben Wünsche“ (Telegramm Nr. 677) zurück und sprach den Wunsch aus, das unsere definitiv formulierte Antwort bald Theotoki übermittelt werden möge.

Ich möchte glauben, dass schon manches erreicht wäre, wenn unsere Zusagen hinsichtlich Inselbesitz, finanzielle Hilfe und Schutz des Griechentums in der Türkei vielleicht so formuliert werden könnten, wie dies gelegentlich der Venizelos-Krisis im März d.J. in Telegramm Nr. 156 geschehen war.

Nach der Frühstückstafel behielt Ihre Majestät die Königin mich noch eine Stunde bei sich. Ihre Majestät übersieht die Lage vollkommen, beklagt die Vertrauensseligkeit des Königs Venizelos gegenüber, ist ganz davon durchdrungen, dass ein Ministerium Venizelos, bei gleichzeitiger Mobilmachung, eine womöglich verdoppelt Gefahr darstellt und erkennt ganz klar, dass allmählich, wenn auch halb unbewusst und fast widerwillig, Hinübergleiten in die Ententepolitik des Ministerpräsidenten droht. Ihre Majestät betonte immer wieder, dass dem König geholfen werden müsse, Venizelos doch noch zu Fall zu bringen. Wie dies zu bewerkstelligen sei, nachdem Sr. Majestät selbst alle in den letzten Tagen sich bietenden Gelegenheiten ungenutzt gelassen habe, vermochte die Königin allerdings auch nicht zu sagen.


[Mirbach]



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