1915-09-30-DE-003
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Quelle: DE/PA-AA/R14087
Zentraljournal: 1915-A-28437
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 09/30/1915 p.m.
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Vorsitzende des Vereins deutscher Zeitungsverleger (Friedrich Faber) an den Unterstaatssekretär des Auswärtigen Amts (Zimmermann)

Schreiben



Magdeburg, den 30. September 1915
Eure Exzellenz!

Seit einiger Zeit bemerken wir, dass der Versuch gemacht wird, in der deutschen Presse Nachrichten aus englischen, französischen und amerikanischen Zeitungen über tatsächliche oder angebliche Armeniergreuel zu verbreiten und das christliche Solidaritätsgefühl gegen die Türken mobil zu machen. Aus diesem Anlasse hat die Redaktion der Magdeburgischen Zeitung bereits am vorigen Montag den beiliegenden Artikel mit der Schlusswarnung an die deutschen Zeitungen gebracht. Heute bekomme ich nun beiliegende Sendung der Evangelischen Missionshilfe, deren Schatzmeister ich bin. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es sich hier doch um eine Sache mit starkem politischem Einschlag handelt, dass man von der Schweiz aus bei unseren frommen, politisch ahnungslosen Missionsleuten den Hebel zur Sprengung unserer Freundschaft mit der Türkei anzusetzen versucht. Zwar im ersten Brief ist das Auswärtige Amt erwähnt, aber ob Eure Exzellenz davon wissen? In dem Falle würde ich mich bescheiden: Besser zu wachsam, als zu vertrauensselig!

Mich stört die Herkunft aus Schweizer Blättern. Die Berufung auf das Journal de Geneve wirkt geradezu grotesk, die politische Stellung der Schweizer kirchlichen Blätter zu uns ist mir nicht bekannt, aber sie werden bestenfalls politisch ebenso blind sein wie die unseren. Der Artikel aus der Beilage zu den Basler Nachrichten aber macht auf mich einen ganz besonders merkwürdigen Eindruck: An einzelnen Stellen direkt wie eine Uebersetzung aus einem französischen Urtext, im übrigen wie jene berühmten Leitartikel, die z.Zt. des Boxeraufstandes Farlow und Konsorten bei Whisky and Water in London über die Erstürmung der europäischen Gesandschaft in Peking fabrizierten: ein wenig Spekulation auf sadistische Instinkte, im übrigen Indianerbuch-Romantik.

Aber schon gilt dieser Artikel als einwandfreie Urkunde: “Einen Einblick in das Geschick des armenischen Volkes gewährt der anliegende Nachdruck eines Artikels etc. aus den Basler Nachrichten” heisst es in dem einen der beiliegenden Rundschreiben, in dem man auch nicht ohne ein unverkennbares Gefühl des Geehrtseins Deutschland als zum Weltbüttel aufgerufen anführt.

Wie gesagt, mir kommt die Sache verdächtig vor, besonders, da die Schweizer Presse als Kronzeuge auftritt. Schon denkt man, wie das letzte Anschreiben sagt, daran, nicht nur die Missionsvereinigungen, sondern “weitere christliche Kreise” mit der Sache zu befassen.

Oder sollte es sich um jene Requisitionen der Türken im eigenen Lande handeln, die Eure Exzellenz neulich erwähnten? Allerdings klingt alles zu stark nach unbewiesenen Behauptungen – aber selbst, wenn mein Gefühl mich täuschte, und alles lautere Wahrheit wäre, ob die christliche Volksseele gerade jetzt zum Kochen gebracht werden muss?

In Eile Eurer Exzellenz hochachtungsvoll ergebener


F. Faber

P.S. Falls meine Beurteilung zutreffend ist, dann bitte ich um eine kurze Mitteilung, ob und in welchem Sinne ich die deutsche Presse warnen soll, auf die Sache hineinzufallen. Den Oberpräsidenten v. Hegel werde ich unter Darlegung meiner Bedenken bitten, zu verhindern, dass einstweilen Weiteres in der Sache unternommen wird und dass der Direktor der Missionshilfe, die übrigens unter dem Protektorat S.M. des Kaisers steht, künftig solche Dinge mit einem stark politischen Einschlag nicht einleitet, ohne sich vorher mit Exzellenz v. Hegel und mir in Verbindung zu setzen.

Gegebenenfalls setzen Eure Exzellenz sich vielleicht mit dem Oberpräsidenten Dr. v. Hegel direkt in Verbindung, weil der immer noch für politische Erwägungen durchaus zugänglich ist, während die Missionsleute das schon beinahe als die Zumutung eines Verrats am Christentum empfinden.


W.e. d.U.



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