1915-10-02-DE-003
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Quelle: DE/PA-AA/BoKon 97/Nr. 87-89
Botschaftsjournal: 10-12/1915/8320
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Zustand: A
Letzte Änderung: 04/02/2012


Aufzeichnung Thilo von Westernhagen

Schreiben



Konstantinopel, den 2. Oktober 1915

Haidar-Pascha - Biledjik

Fast sämtliche Armenier aus dieser Gegend sind verschwunden. Ganze Dörfer sind unbewohnt. Die Häuser sind z.T. versiegelt, aber gänzlich leer. Möbel u. dergl. kamen in Depots, scheinen aber von dort zu verschwinden.

In Ismid ist das Armenierviertel niedergebrannt.

An einzelnen Orten sind nur Kinder vor allem Mädchen zurückgeblieben.

Ada Bazar ist fast menschenleer, fast alle Läden sind geschlossen. Handwerker, Schuster, Schneider u.s.w. fehlen.

Fast alle Ortschaften sind ohne Ärzte, Apotheker u.s.w.

Die Seidenkultur vor allem in der Gegend von Geive ruht ganz, die Spinnereien sind geschlossen, nur einige Griechen arbeiten noch, werden aber ebenfalls schlecht behandelt.

Auch der Ackerbau ist zum größten Teil in den Händen der Armenier gewesen. Der Unterschied zwischen armenischen und türkischen Feldern ist unverkennbar, d.h. auf letzteren wächst fast nichts.

Bildjik ist eine kleine saubere Stadt mit großen Häusern, jetzt nur noch von wenigen Türken bewohnt.

Von Gewalttaten habe ich nichts gesehen, wohl aber bekommen die Leute allem Anschein nach auf der Reise nichts zu essen.

Man schickt die Armenier mit der Bahn bis Konia u. von dort zu Fuß weiter „um“ wie ein Kaimakam sagte „sich dort in der Wüste ein Königreich zu gründen.“

Die Angelegenheit wird von den Türken selbst sehr verschieden beurteilt. Die Bevölkerung beteiligt sich wenig.

Die einen sagen, man habe nur wenige Revolver und Jagdgewehre (30-60) gefunden und die Armenier hätten keinerlei revolutionäre Absichten gehabt u. man habe die Gelegenheit nur benutzt, um sie jetzt los zu werden, wo sich keine andre Macht einmischen kann.

Den Amerikanern wird neben den Russen die größte Schuld gegeben, da sie die Armenier aufhetzten u. auch durch Geld unterstützten. Der Haß gegen die Amerikaner schien mir größer als gegen irgend eins der kriegführenden Länder. Das Robert College wird als Zentrale der ganzen Bewegung bezeichnet.

Tatsächlich habe ich einige Amerikaner auf der Eisenbahn gesehen, die von Anatolien kamen.

Die nähere Umgebung des Großvisiers ist außerordentlich chauvinistisch, jeder Nichtmuselmann wird als sales gens bezeichnet, man gab mir zu, daß die Armenier bis zum letzten Kinde ausgerottet werden müssen, aber auch allen anderen Christen scheint man dasselbe zu wünschen.

La Turquie pour les turcs ist ein Schlagwort, die Türken sollen jetzt alles tun. Man beklagte sich, daß bei der Anatolischen Bahn nicht türkisch Geschäftssprache sei u. keine Türken angestellt seien.

Der Kaukasus mit etwas ungenauer Grenzangabe u. Ägypten sollen türkisch werden.

Die militärischen Erfolge scheinen den Leuten zu Kopfe zu steigen, sie meinen, sie täten alles und wären die Retter Deutschlands. Sogar die Munition wird angeblich von den Türken fabriziert.

Von sehr vielen Leuten wird aber unumwunden zugegeben, daß die Armeniervertreibung für das Land von unendlichem Nachteil ist und vor allem sein wird, denn alle Arbeit wird von den Armeniern besorgt, Seiden, Tabak, Fischerei, alle Handwerke, Hotels Restaurationen u.s.w., auch türkische Offiziere baten mich, etwas zu tun, um ihnen ihre armenischen Soldaten zu erhalten, da die Türken nicht arbeiteten.

Der Türke scheint absolut unfähig da weiter zu arbeiten, wo der Armenier aufgehört hat, alle Felder liegen unbearbeitet, kaum ein Laden ist wieder eröffnet, fast alle Orte s[ind] wie tot.

Bei der Bevölkerung ist die Bewunderung für Deutschland sehr groß. Die Leute kommen abends alle zusammen u. ein Hodja liest aus der Zeitung vor, die deutschen Heerführer sind allen bekannt. Ich habe viel mit den Leuten gesprochen und auch Schulen und Krankenhäuser besucht und Bücher und illustrierte Zeitungen verteilt. Es erscheint mir sehr wichtig wenn überall Deutsche (vor allem Offiziere) hinkommen, um sich etwas mit der Bevölkerung anzufreunden, die Leute sind für jedes Wort dankbar.

Ließen sich nicht kinematographische Vorführungen von Kriegsbildern ermöglichen? Einen Saal hat schließlich jedes Dorf. Es würde einen großen Erfolg bedeuten.

Wirtschaftlich ist aus dem Lande außerordentlich viel zu machen. Bis Ismid Getreide, Tabak, Schafzucht, Obst, von da ab viel Seide.

Bei Ada-Bazar u. Boli ausgezeichnete Wälder, vielfach auch Kohle z.B. bei Boli.

Der Talkessel von Geive ist sehr fruchtbar, dort ist ebenfalls viel Seidenraupenzucht. In den umliegenden Bergen sind reiche Erzlager, ich habe Steine gesehen, die viel Erz enthielten. Auch Kohle kommt dort vor.

Der Sakaria kann ausgenutzt werden zu Schiffahrt, Holztransport u.s.w. vor allem Mühlen. Es besteht nur eine in Vesir-Han.



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