1915-10-13-DE-008
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Quelle: DE/PA-AA/R 20024
Zentraljournal: 1915-A-32051
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Praesentatsdatum: 11/05/1915 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: J.Nr. 872
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Konsul in Damaskus (Loytved Hardegg) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht


Damaskus, den 13. Oktober 1915

Der Generalstabschef der IV. Armee Oberst Freiherr von Kress, der auf seiner Rückreise von Deutschland zum Hauptquartier Dschemal Pascha’s vom 11. bis 12. ds. Mts. bei mir abgestiegen war, äusserte sich über die Aussichten des egyptischen Feldzuges in folgender Weise:

Die erste Voraussetzung für die Ausführung des egyptischen Feldzuges sei die Öffnung des Weges von Deutschland nach der Türkei über Serbien, damit die unbedingt erforderlichen Kriegsmaterialien wie schwere Geschütze, Munition, Flugzeuge u.s.w., die hier nicht zu beschaffen sind, von Deutschland hierher befördert werden können.

Die zweite Voraussetzung sei das Freiwerden von etwa 100000 ottomanischen Soldaten auf dem nördlichen türkischen Kriegsschauplatze und ihre Entsendung nach hierher, da in Syrien gegenwärtig höchstens 2 Divisionen stehen.

In welcher Zeit der Weg nach der Türkei geöffnet und 100000 Mann auf dem Kriegsschauplatze der europäischen Türkei freigemacht werden können, hänge von dem Verlauf der Kriegsereignisse im Balkan ab, die wahrscheinlich auf längere Zeit die dort befindlichen Streitkräfte in Anspruch nehmen würden.

Die dritte Voraussetzung sei die Verbesserung der Etappenstrasse zwischen Syrien und Kleinasien. Von Kress glaubt, dass durch die Verschickung der Armeniermassen besonders nach der bald einsetzenden Regenzeit die Etappenstrasse bei Aleppo zu sehr abgenutzt und verstopft würde. Vor allem befürchtet er, dass infolge der unter den verschickten Armeniern in Aleppo und Umgebung ausgebrochenen Epidemie - tägliche Sterbezahl 180 von 60000 Armeniern - Seuchen unter den hier stehenden und später zu befördernden Truppen ausbrechen würden. Zur Behebung dieser drohenden Gefahr will er beim Oberkommandierenden Dschemal Pascha beantragen, dass die Verschickung der Armenier auf der betreffenden Etappenstrasse eingestellt und dass dem Hygieniker Professor Mührens, der hier bereits längere Zeit erfolgreich tätig war, das Sanitätswesen auf der Etappenstrasse bei dem Seuchenherd zwischen Aleppo und Adana unterstellt werde.

Abgesehen von diesen drei Voraussetzungen ist die Bereitstellung hinreichender Wassermengen und von mindestens 50000 Kamelen jenseits des Eisanbahnendpunktes im Sinai erforderlich.

Was die Wasserfrage anbetrifft ist seit einem Jahre fleissig gearbeitet worden. Immerhin ist sie noch immer nicht in zufriedenstellender Weise gelöst worden. Die Wünschelrute des Herrn von Greve soll bisher wenig Erfolg aufweisen.

Auch ist die Bereitstellung von Kamelen wegen fehlender Geldmittel sehr rückständig. Es sollen gegenwärtig höchstens 7 bis 8000 gesunde Kamele zur Verfügung stehen. Es sind etwa noch 10 Millionen Mark für den Ankauf der weiteren erforderlichen Kamele nötig, da diese nur gegen Bargeld von den Beduinen beschafft werden können. De Türkei hat zur Zeit keine Geldmittel. Sie müsste diese Summe von Deutschland vorgestreckt erhalten. Je später es wird, desto schwieriger und teurer wird der Kamelankauf, weil die Kamelherdenbesitzer sich im Herbst in das Innere der Wüste verziehen.

Es erscheint mir fraglich, ob untern den obwaltenden Verhältnissen die gedachten Voraussetzungen für den egyptischen Feldzug bis zu der für seine Ausführung geeignetesten Jahreszeit - Anfang Februar - geschaffen werden können. Ausserdem dürften die zunehmenden Erfolge der Engländer im Irak und die wachsenden inneren Unruhen in Armenien die Streitkräfte der Türkei auf längerer Zeit in einer Weise in Anspruch nehmen, dass die im Norden etwa freiwerdende türkische Armee eher dort zur Verteidigung als für die Offensive gegen Egypten verwendet werden würde.

Der Oberkommandierende Dschemal Pascha giebt sich - wie ich aus seinen Unterredungen entnommen habe - keinen Illusionen über die Aussichten des egyptischen Feldzuges hin. Er bereitet auf jeden Fall mit unermüdlicher Energie - soweit es die Geld- und anderen Mittel erlauben - den egyptischen Feldzug hier vor. Die Militärbahn Hedschaz-Egypten wird bis Mitte Januar 1916 Hafir el Audsche erreichen. Der Weg nach dem Kanal wird sich im Vergleich zum Vorjahre um 240 Km verkürzen. Mit grossem Eifer werden die erforderlichen Militärstrassen gebaut. Wenn der Weg nach der Türkei geöffnet und das erforderliche Kriegsmaterial hierher befördert, wenn ferner eine Armee von 100000 Mann bis zum Frühjahr gesund nach Syrien geschickt und bald ausreichende Geldmittel zur Verfügung gestellt werden können, dann hofft der Oberkommandierende Dschemal Pascha immer noch den egyptischen Feldzug erfolgreich durchführen zu können. Die Vorbereitungszeit nach Oeffnung des Balkanweges bis zur Bereitschaft zum Abmarsch soll wenigstens 2 1/2 Monate betragen.

Abschrift dieses Berichtes ist an die Kaiserliche Botschaft geschickt worden.

Loytved Hardegg.



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