1915-10-17-DE-008
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Quelle: DE/PA-AA/R 20193
Zentraljournal: 1915-A.S.-
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 287
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts (Jagow) an das Große Hauptquartier (Bethmann Hollweg)

Telegraphischer Bericht


Berlin, den 17. Oktober 1915

Abschrift.

Dringend!

Admiralstab mitteilt vertraulich folgendes uns von Graf Mirbach gleichzeitig signalisiertes Telegramm aus Athen vom 14. Oktober, das gestern nachmittag beim Admiralstab eingegangen und an General von Falkenhayn weitergegeben ist.

„Nummer 140 für Chef des Generalstabes des Feldheeres. Oberst im griechischen Generalstabe Metaxa bat mich um Übermittelung folgender Anregung, die er im Einverständnis des Generalstabes mitteilte:

I. Im Falle sich die Operationen in Serbien nach der griechischen Grenze hinziehen sollten befürchtet Generalstab Grenzverletzungen von seiten der verfolgenden bulgarischen oder deutsch-österreichischen Truppen. Zur Vermeidung von Komplikationen wäre es erwünscht, wenn genannte Truppen sich im gedachten Fall die Linie Stromitze-Paß Domirkapu Paß bis Paß nördlich von Trilep (Prilep?) nicht nach Süden überschreiten würden.

II. Generalstab würde wohl imstande sein die Entwaffnung geschlagener serbischer oder Entente-Truppe, die die griechische Grenz überschreiten, von der griechischen Regierung garantieren zu lassen, falls die bulgarische und deutsch-österreichische Regierungen den Vorschlag annehmen. Da Griechenland mit Bulgarien über militärische Fragen nicht in Unterhandlungen stehe, bittet der Generalstab, Deutschland möge die Verhandlungen mit Athen und Sofia führen.

III. Generalstab befürchtet, einem bulgarischen Angriff ausgesetzt zu sein, wenn serbische Armee und eventuelle Hilfstruppen der Entente geschlagen sind. Wäre Deutschland imstande und bereit, bis zum Ende des Krieges eine starke Armee in Mittelserbien zu halten, die es übernimmt, die Ordnung auf dem Balkan bis Friedensschluß aufrecht zu erhalten?

Hierzu ist zu melden:

I. Ich nehme an, daß diese weitreichenden Anregungen, die ein schwerwiegendes Eingeständnis enthalten, nicht ohne Wissen des Königs von Griechenland mir zur Weitergabe an Euere Exzellenz übermittelt wurden.

II. Ich habe mich zur Übermittelung bereit erklärt unter der Bedingung, daß die Anregungen zu I. und II. auch durch den griechischen Gesandten in Berlin zur Sprache gebracht würden, da diese Punkte zu diplomatischen Verhandlungen mit den verbündeten Staaten führen müssen.

III. Der Generalstab hat wohl den Verdacht, daß die Entente mit den in Saloniki gelandeten Truppen die Bahn nördlich Gjewgeli besetzen könnte. Diese Truppen würden sich vor angreifenden bulgarischen Truppen nach Süden zurückziehen und den Krieg auf griechisches Gebiet zu ziehen suchen.

IV. Die Anregungen deuten auf ein Gefühl militärischer Hilflosigkeit und stehen im starken Kontrast zu dem Ton bei den noch kürzlich (fehlen einige Gruppen). Generalstab formuliert politische Forderungen für den Fall fingierter Neutralität. Die Schwäche Griechenlands, herbeigeführt von Venizelos durch die Neutralitätsverletzung der Entente, ist durch den Kabinettswechsel nicht behoben. Generalstab bedarf wohl weiterhin der Unterstützung Deutschlands, um für griechische Neutralität eintreten zu können. Zugeständnisse im Sinne der Anregungen zu I. und II. dürften daher im deutschen Interesse liegen.

V. Die III. Anregung läßt darauf schließen, daß Griechenland sich auf eine Rückversicherung bei Rumänien nicht verläßt. Grancy, Mirbach.“

Ob die Anregungen des griechischen Generalstabs vom militärischen Standpunkt diskutabel sind, unterliegt der Beurteilung des Heeresleitung. Wenn die griechische Armee, wie General v. Falkenhayn annimmt, nicht einmal stark genug ist, bisher gelandete Ententetruppen zu internieren, wird sie die Entwaffnung geschlagener aber durch neue Landungen und serbische Streitkräfte vermehrter Truppen auch nicht garantieren können. Vom politischen Standpunkt ist nachstehendes zu bemerken.

1. Wir habe den Bulgaren, was Griechenland nicht erfahren darf, ganz Mazedonien garantiert, können sie also nicht von Besetzung der südlich Prilep gelegenen Gebiete abhalten. Als Linie, die südwärts nicht zu überschreiten ist, käme wohl nur griechische Grenze oder eine ihr vorgelagerte wenige Kilometer breite neutrale Zone in Frage. Aber auch diese Lösung, vorausgesetzt, daß griechische Garantie wegen Entwaffnung ernst zu nehmen ist. Weder uns noch Bulgarien kann zugemutet werden, daß wir Verfolgung abbrechen, während geschlagene Truppen sich auf griechischem Boden rangieren und dann von neuem vorstoßen.

2. Die vom Marineattaché unter Nr. III geäußerte Vermutung dürfte richtig sein. Abmachung wegen Doiran und Gewjeli beruhte auf beiderseitigem Nichtberühren dieser Gebiete. Selbst mazedonische Banden sollten ferngehalten werden. Wenn Griechenland Besetzung durch Ententetruppen zuläßt, wird sich Bulgarien nicht mehr gebunden fühlen. Man kann ihm auch nicht verwehren, daß es drohendem Angriff zu begegnen suche, sei es durch Gegenangriff oder durch Bahnzerstörung. Übrigens liegen in Presse genannte kritische Orte wie Valandovo etc. nördlich fraglicher Distrikte.

3. Um König nicht durch glatte Ablehnung vor den Kopf zu stoßen, vorschlage hinhaltende Antwort oder Rückfrage wegen militärischer Details.

Durch Zulassung des Neutralitätsbruchs hat Griechenland selbst Gefahr herausbeschworen. Ich fürchte, daß es schließlich doch Konflikt nicht entgehen kann. Will es nicht gegen uns gehen, müßte es Maßregeln gegen Entente ergreifen, solange Truppenlandungen noch gering sind.

Für politische Beurteilung der Lage wäre wichtig zu wissen, wieviel Zeit Heeresleitung für unsere Operation in Serbien zu bedürfen glaubt. Verm.: 5-6 Wochen nach Ansicht Gen. v. Ludendorf.


[Jagow]



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