1915-10-19-DE-002
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Quelle: DE/PA-AA/R14088
Zentraljournal: 1915-A-30454
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 10/21/1915 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 906
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Legationsrat der Gesandtschaft Bern (Einsiedel-Wolkenburg) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht



Nr. 906
Bern, den 19. Oktober 1915.

1 Anlage.

Vertraulich!

Euerer Excellenz beehre ich mich beifolgend Abschrift einer Aufzeichnung eines Vertrauensmannes über eine Unterredung mit Salich Bey Gourdji vorzulegen. Es handelt sich dabei um einen Bericht über die Frage der Armenierverfolgungen, den Salich Bey Gourdji an Talaat Bey gesandt hat.


i.V. Graf Einsiedel

Anlage

Salich Bey Gourdji erzählte mir vor einiger Zeit Genaueres über einen brieflichen Bericht, den er etwa Mitte September d.J. an den türkischen Minister des Innern, Talaat Bey, gesandt hat. Er hat, wie ich gesehen habe, inzwischen vom Kabinettschef Talaats eine sehr anerkennende Bestätigung über das Eintreffen dieses Briefes aus Konstantinopel erhalten.

Gourdji teilte mir aus dem Inhalt des Berichts folgendes mit:

Die Verfolgung der Armenier in der Türkei, die eine Ausrottung offenbar beabsichtige, sei, wie jeder Kenner der Verhältnisse leider zugeben müsse, aus einer Zwangslage der Türkei zu erklären. Wenn die Türkei sich je wieder in den Fragen der inneren Politik erholen wolle, wenn sie überhaupt lebenskräftig bleiben wolle, so müsse sie die Armenier in irgendeiner Weise ausschalten. Die sogenannte Armenierfrage müsse eben gelöst werden, eher könne die Türkei nicht an innere wirkliche Reorganisation denken. Der Weg, den die Regierung aber jetzt einzuschlagen scheine, dieser Weg, der durch Metzeleien und Gewalttaten gekennzeichnet zu sein scheine, sei gänzlich falsch. Selbst wenn in der Art und Weise des Vorgehens gegen die Armenier keine anderen Wege zu finden seien, müssten unbedingt die Formen gegenüber dem Ausland andere sein. Man dürfe nicht einfach alles, was Armenien angehe, mit Stillschweigen gegenüber dem Ausland übergehen, sondern müsse durch geeignete Mitteilungen das Ausland so unterrichten, dass das Vorgehen gegen die Armenier in humaner Weise erscheine. Im Grenzschutz gegen Russland gebe es genügend Gründe, um eine Verschickung der Armenier aus Hocharmenien in der üblichen und völkerrechtlich plausiblen Weise zu erklären.

Vor allem aber müsse man sich in Konstantinopel sehr reiflich das Vorgehen gegen die Armenier überlegen unter dem Gesichtspunkt, dass die Beziehungen Deutschlands zum Vatikan von ganz besonderer Natur seien, und Deutschland offenbar sehr viel Wert darauf lege, dass in diesem Verhältnis alle Reibungsmöglichkeiten vermieden würden. Der Papst sei ein Faktor in der politischen Berechnung Deutschlands. Deshalb müsse man schon aus Rücksicht auf Deutschland alles vermeiden, was den Papst veranlassen, oder ihn auf Grund von Denunziationen von Seiten der Gegner Deutschlands zwingen könnte, in der Armenierfrage irgendwie Stellung zu nehmen, und zum Schutze der bedrängten Christen in der Türkei sich zu äussern. Man müsse trotz alles Vorgehens gegen die Armenier eben durch geschickte aufklärende Tätigkeit derartigen Möglichkeiten den Boden entziehen, und vor allem auch von türkischer Seite ein gutes Verhältnis zum Papst betonen. Dazu erscheine es sehr dienlich, ebenso wie Bethmann Hollweg es bei der letzten Reichstagssession getan habe, dem Papst Worte des Dankes für seine charitative Tätigkeit, die allen Menschen gleichermassen zu Gute komme, in der türkischen Kammer auszusprechen.

Auf jeden Fall müsse man alles vermeiden, was die Lage Deutschlands gegenüber dem Papste in der Armenierfrage erschweren könne. Man müsse sich auch bemühen, rechtzeitig im Auslande gegen eine weitere Verhetzung betreffs Armeniermassakern vorzubeugen, da auch in einer derartigen „Greuelfrage“ Deutschland in besonders schwieriger Lage sein würde, weil es nicht ohne weiteres die „christlichen“ Armenier unberücksichtigt lassen kann, und ausserdem so wie so schon bei Greuelsachen vorsichtig sein müsse.

Dem Sinne nach waren dies die Ausführungen Gourdjis, der anscheinend mit seinem Berichte in Konstantinopel Eindruck gemacht hat. Er hat ausserdem betont, dass die Errichtung einer diplomatischen Mission von Seiten der Türkei in der Schweiz sehr wünschenswert sei und sich aus der grossen Zahl von Türken (Armeniern und Griechen) die sich in der Westschweiz aufhalten, wohl rechtfertigen lasse.


[Auswärtiges Amt an Botschaft Konstantinopel (Nr. 798) 26.10.]

Abschriftlich nebst Anlage Seiner Hochwohlgeboren dem Kaiserlichen Geschäftsträger Herrn Freiherrn von Neurath, Pera, zur gefälligen Kenntnisnahme übersandt.



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