1915-11-04-DE-008
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Quelle: DE/PA-AA/R 20024
Zentraljournal: 1915-A-31980
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Telegramm-Abgang: 11/04/1915 11:06 PM
Telegramm-Ankunft: 11/05/1915 01:05 AM
Praesentatsdatum: 11/05/1915 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 555
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der AA-Vertreter im Großen Hauptquartier (Treutler) an das Auswärtige Amt

Telegraphischer Bericht


Schloß Pleß, den 4. November 1915

Nachstehende beide Telegramme, die große Zuversicht zeigen, sind für General von Falkenhayn aus Konstantinopel eingegangen:

„Nr. 116.

Nachdem die Entente starke Kräfte in Salonik gelandet hat, wird sie die serbische Unternehmung wahrscheinlich nur aufgeben, wenn sie sie für gänzlich aussichtslos hält und jede Hoffnung, Griechenland auf ihre Seite zu bringen, geschwunden ist.

In diesem Falle ist allerdings ein erneuter Angriff auf die Dardanellen möglich. Um aber hier einen schnellen Erfolg zu erreichen, werden die augenblicklich im Ägäischen Meer befindlichen Entententruppen kaum ausreichen. Sondern es müßten neue Ententetruppen für diesen Zweck von der Westfront weggezogen werden. Dies dürfte wenigstens 14 Tage dauern. In dieser Zeit aber wird die deutsch-österreichische Unternehmung in Serbien größtenteils erledigt sein. Die Entente muß also damit rechnen, daß deutsch-österreichisch-bulgarische Kräfte zur Unterstützung der Türkei verfügbar sind.

Ein neues Dardanellen-Unternehmen hat daher wenig Aussicht auf Erfolg, um so mehr, als die Witterungsverhältnisse für Landungen mit fortschreitender Jahreszeit immer ungünstiger werden.

Die türkische zweite Armee steht am Saros-Golf bereit, sowohl um eine Landung dort abzuwehren, als auch um der fünften Armee auf Gallipoli als Reserve zu dienen.

Eine Überbrückung der unteren Maritza scheint mir für alle Fälle zweckmäßig, jedoch möchte ich aus politischen Gründen die Anregung hierzu bei den Bulgaren nicht geben.

Eine russische Landung an Schwarz. Meerküste würde sehr zeitraubend und wegen jetzt vorherrschender ungünstiger Witterungsverhältnisse sehr schwierig sein. Hierzu kommt die Tätigkeit der türkischen Flotte und der deutschen Unterseeboote. Sollte trotzdem eine Landung gleichzeitig mit Dardanellenangriff erfolgen, so hoffe ich mit den dort stehenden vier Divisionen unter Ausnutzung der neu angelegten Küstenbefestigungen und der schweren Artillerie einen russischen Vormarsch solange aufzuhalten, bis Teile zweiter Armee mit Eisenbahn von Uzunköprü eingetroffen sind.

Russische Unternehmungen größeren Umfangs im Kaukasus sind unwahrscheinlich wegen vorgeschrittener Jahreszeit und mangelnder Wegsamkeit auf türkischem Gebiet. Sollte dritte türkische Armee trotzdem zum Rückzug gezwungen werden, so wäre eine Ausnutzung des russischen Erfolges ausgeschlossen, daher ohne große Bedeutung.

Für eher wahrscheinlich halte ich dagegen eine Unternehmung der Entente in Syrien, da englische Interessen verlangen, türkische Truppensendungen nach Egypten und Mesopotamien zu verhindern, sowie Syrien und Arabien von der Türkei abzuschneiden.

Landungen größerer Truppenmassen bei Adana und Alexandrette, überhaupt an syrischer Küste wegen Hafenverhältnisse jedoch sehr schwierig.

Abwehrmaßregeln vorbereitet.

Ich halte hiernach eine Ententeunternehmung gegen Dardanellen, besonders nachdem infolge der glücklichen Unternehmung der verbündeten Armeen die Verbindung mit Deutschland für Kriegsmaterial hergestellt ist, für aussichtslos, alle anderen Unternehmungen an den türkischen Grenzen für wenig bedeutungsvoll.


Enver
Stellvertretender Oberbefehlshaber

Nr. 117.

Im Anschluß an Telegramm Nr. 116:

„Als Ergänzung zum Telegramm Enver Paschas berichte [ich] folgendes:

1. Obwohl mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen ist, daß 2 französische und 1 englische Division von Reserven der Dardanellentruppen weggezogen wurden, hat General Liman nicht den Eindruck, daß Gegner auf Gallipoli sich erheblich geschwächt hat. Bei Nord- und Anafarta-Gruppe wesentliche Änderungen nicht beobachtet, bei Südgruppe sind Batterien herausgezogen. Gesamte Artillerietätigkeit zeitweise noch recht lebhaft. Gegner verstärkt fortgesetzt Stellungen; ist für Verteidigung sicher stark genug.

Für neuen kräftigen Angriff müßten zweifellos Verstärkungen herangezogen werden.

Zur Abwehr stehen bereit in durchweg gut ausgebauten Stellungen:

Süd-Gruppe: Drei Divisionen in erster Linie, 1 Division in zweiter.

Nord- und Anafarta-Gruppe: 9 Divisionen in erster Linie, 1 in zweiter.

Asiatisches Ufer: 2 Divisionen.

Saros-Golf: 1 Division.

Vorhandene Artillerie genügt für Abwehr, Munitionsbestand eher besser als früher. Verhältnisse bessern sich, sobald Munition aus Deutschland kommt, täglich zu unseren Gunsten.

Gegen Flottenangriff sind wir artilleristisch durch Abgabe von Geschützen, besonders von Steilfeuer, an die Armee schwächer geworden, Minensperre dagegen ist stärker geworden. Leichte Geschütze zur Abwehr von Minensuchbooten verringert. Einem Flottenangriff ähnlich wie 18. März kann jedoch mit Ruhe entgegengesehen werden. Auch heute noch mehr Munition als damals verbraucht.

Gesamtlage gegen früher dadurch besser, daß 2. Armee mit 6 guten Divisionen zwischen Uzunköprü und Saros-Golf und bei Dedeagatsch; kann im Bedarfsfalle auch Kräfte für Gallipoli hergeben. Für gegenseitige Unterstützung zwischen bulgarischer 10. Division bei Dedeagatsch türkische Truppen am Saros-Golf, Brücke über Maritza in Gegend Feredschik vorteilhaft, müßte von deutscher Seite angeregt werden.

Mit Möglichkeit, daß Feind erneut kräftige Anstrengungen an Dardanellen macht, muß immer gerechnet werden. Seine Chancen sind schlechter, denn je zuvor.

Kontre-Angriffe, sobald Vorbedingungen gegeben, bestes Mittel gegen alle feindlichen Angriffspläne.

2. Am Schwarzen Meer, beiderseits des Bosporus, stehen 4 Divisionen in gut ausgebauten Stellungen. Ihr Gefechtswert gering, wird aber besser, wenn die Gewehre aus Deutschland kommen, Artillerie genügt, Munition wenig. Kein Hafen, Ausbooten nur bei Südwind möglich, Chancen für Landung sehr gering.

3. Über Lage am Golf von Alexandrette habe ich schon am 31. Oktober gedrahtet. Türkisches Hauptquartier wird sich über Frage, ein Korps der 2. Armee nach Adana abzutransportieren, kaum vor Mitte November entscheiden. Bei starker Belastung anatolischer Bahn mit Verpflegungstransporten wird Transport einer Division 14 Tage dauern.

4. Russische Aktion im Kaukasus sehr unwahrscheinlich. Beide Teile haben von den Erfahrungen des letzten Winterfeldzuges noch genug. Vorstoß in die Türkei hinein noch schwieriger als umgekehrt, weil in Türkei kein Holz zu finden. 3. Armee soll Befehl zu strikter Defensive und Verstärkung der Stellungen erhalten. Russische Flotten-Aktion und Landung bei Trapezunt trifft schwierige Verhältnisse, aber kaum nennenswerten Widerstand. Könnte für 3. Armee unangenehm werden, aber ohne entscheidenden Einfluß auf Kriegslage.

Lossow.“


[Treutler]



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