1915-11-06-DE-006
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Quelle: DE/PA-AA/R 20024
Zentraljournal: 1915-A-32243
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Telegramm-Abgang: 11/06/1915 10:30 AM
Telegramm-Ankunft: 11/07/1915 11:20 AM
Praesentatsdatum: 11/07/1915 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 7
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Gesandte in Athen (Mirbach) an das Auswärtige Amt

Telegraphischer Bericht


Athen, den 6. November 1915

Für Chef des Generalstabes des Feldheeres.

Der griechische Gesandte in Berlin berichtet unterm 4. November, daß Ew. Exzellenz, nach telephonischer Mitteilung an Herrn von Jagow, nicht mehr garantieren könnten, die Verfolgung geschlagener Ententetruppen im Abschnitt Doiran-Gewgeli durch bulgarische Truppen auf griechisches Gebiet aufhalten zu können, wenn Griechenland nicht Entwaffnung der serbischen und Ententetruppen zusichert.

Da die Ministerkrisis noch nicht gelöst ist, eine Regierung also augenblicklich nicht besteht, beauftragte Seine Majestät der König den Obersten Metaxa mir folgende Antwort Seiner Majestät des Königs an Euere Exzellenz mitzuteilen:

„Die Erklärung Euerer Exzellenz, die Achtung der griechischen Neutralität durch Bulgarien nicht mehr garantieren zu können, steht im Gegensatz zu den Versprechungen, welche Seine Majestät der Kaiser und die deutsche Regierung König Konstantin gemacht haben. Euere Exzellenz führen hierfür militärische Gründe an, welche auf die Sicherheit revolutionärer Bulgaren abzielen; jedoch wurden die Versprechungen an König Konstantin unter der einzigen Bedingung gemacht, daß Griechenland seine Neutralität bewahrt, ohne daß von König Konstantin hierzu nähere, bestimmte Erklärungen gefordert wurden. Seine Majestät der König hat bisher sein Versprechen gehalten, obwohl er dazu gegen die Mehrheit der Volksvertretung kämpfen mußte, und diese Haltung Griechenlands hat man wohl auch in Deutschland anerkennen müssen, besonders in Hinblick auf ihren militärischen Wert. Die Verletzung der griechischen Neutralität durch die Entente geschah gegen den Willen Griechenlands, welches dagegen protestierte. Eine Gegenwehr gegen diese Neutralitätsverletzung würde zum Krieg gegen Entente führen. Eine Verpflichtung zum Krieg gegen Entente hat König Konstantin aber nicht übernommen und das war der deutschen Regierung von vornherein bekannt und von ihr gebilligt. Die Folge der Neutralitätsverletzung war das Erscheinen der Ententetruppen in Gewgeli-Doiran. Daß nun hieraus eine Schlußfolgerung gezogen werden soll, durch welche im Grunde die bisher geltende Vereinbarung durch Deutschland annulliert werde, würde einem Vertragsbruch bedeuten.

Gewiß existiert und zwar gegen den Willen Griechenlands, der militärische Nachteil, daß Ententetruppen bei Doiran-Gewgeli stehen; aber dieser Nachteil ist gering gegen den anderen Nachteil, welcher entsteht, wenn die ganz griechische Armee, im Falle einer Lösung der Vereinbarung mit Deutschland, auf Seiten der Entente fechten müßte.

Übrigens können die bei Gewgeli-Doiran stehenden Ententetruppen wegen ihrer numerischen Schwäche und wegen der schwierigen Geländeverhältnisse wohl nur wenig die bulgarischen Operationen beeinträchtigen. Daß die Bulgaren das Gegenteil behaupten und es so zu sagen als notwendig erachten, Schritte zu tun, durch welche die zwischen König Konstantin und Seiner Majestät dem Kaiser getroffenen Vereinbarungen aufgelöst würden, das berechtigt zu der Annahme, daß die Bulgaren einen Vorwand suchen, um Griechenland in den Krieg gegen Deutschland zu stürzen, um ihre eigenen, selbstsüchtigen Wünsche zu erfüllen.

Griechenland wird jedoch bei den Ententemächten mit allem Nachdruck Schritte tun, Vorkehrung zu treffen, um für den Fall, daß sich geschlagene Ententetruppen auf griechisches Gebiet zurückziehen, eine Neutralisierung dieser Truppen zu erreichen und hofft, daß diese Bemühungen Erfolg haben werden. Falls jedoch die Bemühungen erfolglos verlaufen sollten, liegt es nicht in der Absicht Griechenlands, es bis zum Krieg gegen Entente kommen zu lassen, ein Krieg, welcher unvermeidlich sein würde, denn die Frage der Ententetruppen in Mazedonien ist nicht mehr eine Völkerrechtsfrage, sondern ist lediglich zu einer Machtfrage geworden.

Unabhängig von seinen nachdrücklichen Bemühungen bei den Ententemächten möchte Griechenland in bestimmter Weise wissen, ob Deutschland dem eventuellen Beschluß Bulgariens, geschlagene Ententetruppen selbst auf griechischem Gebiet zu verfolgen, zustimmt und einen Entschluß Bulgariens als nicht gegen die offiziellen an Griechenland gegebenen Garantien verstoßend erachtet, obwohl Griechenland eine Auffassung …[Gr. unverst.]… nicht teilen könnte, oder ob Deutschland eine solche Haltung Bulgariens als gegen die Garantie verstoßend und sich deshalb für verpflichtet betrachtet, die nötigen militärischen Maßnahmen zu treffen, um diese Garantien zu erfüllen.

Es ist unbedingt notwendig, daß Seine Majestät der König Konstantin so schnell wie möglich hierüber eine Antwort erhält, damit die Haltung Griechenlands danach geregelt werden kann und alle notwendigen Maßnahmen zum Schutz des griechischen Reichs getroffen werden können, falls die deutsche Garantie fehlschlagen sollte.“

Verschiedene von mir vorgeschlagene Abänderungen dieses Wortlauts konnte Metaxa nicht bewilligen, da der Wortlaut genau von Seiner Majestät dem König angegeben worden sei. Dagegen gab mir Metaxa auf Befragen folgende Erläuterungen:

1. Ein provisorisches Eindringen bulgarischer Truppen in Gebiet Doiran-Gewgeli würde den getroffenen Vereinbarungen nicht widersprechen, wäre daher [aber?] im Hinblick auf die innere Krise und öffentliche Meinung in Griechenland möglichst zu vermeiden.

2. Deutschland habe versprochen Angriff Bulgariens auf Griechenland zu verhindern. falls bulgarische Truppen griechische Grenze überschreiten, müsse sich aber Griechenland als angegriffen betrachten.

3. Unter „Neutralisierung“ sei eine Internierung der Entente und serbischen Truppen zu verstehen, entsprechend den Bestimmungen der Haager Konvention, falls Ententetruppen nicht freiwillig griechisches Gebiet räumten.

4. Herr Zaimis habe bereits mit den hiesigen Gesandten der Entente über die „Neutralisierung“ zu sprechen begonnen. Das Neue Kabinett werde keinenfalls venizelistisch sein, Abwesenheit von über 35 regierungsfreundlichen Abgeordneten …[Gr. fehlen]… zustandegekommen sei, welche in Provinzen waren. Neues Kabinett werde sofort die notwendigen Schritte bei Ententemächten tun. König sei fest entschlossen, seinen Willen durchzusetzen.

5. Mißtrauen gegen Bulgarien wird durch Meldungen griechischen Gesandten und Militärattachés in Sofia genährt. Griechischer Gesandter meldet unterm …[Gr. fehlt]… Oktober: König von Bulgarien hat wieder hochfliegende Pläne, will Griechenland nach Erledigung Serbiens angreifen. Grund wird durch Anwesenheit der Ententetruppen gegeben. Auf Befehl König Ferdinands ist bereits Lithographie als Kaiser des Balkans gezeichnet; Originalplatte wird beim Adjutanten Stojanoff aufbewahrt. Militärattaché meldet unterm 1. November, daß bulgarische Offiziere offen davon sprechen, daß nach Vernichtung Serbiens Griechenland und Rumänien an die Reihe kommen. Andere Meldungen lauten ähnlich.

Oberst Metaxa bittet letztere Mitteilung streng vertraulich zu behandeln.

Falkenhausen.


[Mirbach]



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