Einem dringenden Wunsche des mir seit langen Jahren befreundeten Leiters des American Board nachkommend besuchte ich heute den amerikanischen Botschafter. Obgleich dieser Besuch ganz und gar außerhalb meines Programmes lag, hielt ich es nach reiflicher Ueberlegung für meine Pflicht ihm nicht aus dem Wege zu gehen. Ich glaubte die Gelegenheit wahrnehmen zu sollen, dem Herrn Amerikanischen Botschafter die Versicherung abzugeben, daß nach meiner tiefsten Ueberzeugung seitens unseres Auswärtigen Amtes unter den gegebenen Verhältnissen alles geschehe, was in der Angelegenheit der armenisch christlichen Bevölkerung der Türkei z.Z. unternommen werden könne.
Leider scheinen die Evakuierungsmaßregeln sich nun auch auf die Protestanten und Katholiken auszudehnen.
Ich rechne mit voller Bestimmtheit damit, daß unsere Häuser und Anstalten mit all unseren Kindern und Angestellten auch fernerhin auf den tatkräftigen Schutz unserer deutschen Regierung rechnen dürfen.
Unsere Schwester Alma Johansen, eine Schwedin, früher in Musch, brachte ebenfalls wieder erschütternde Einzelheiten über Ruhmestaten unserer Verbündeten an dem armenischen Volke mit.
Einen ausführlichen Bericht werde ich mir erlauben dem A.A. noch zugehen zu lassen.
Schon heute aber möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf eine Tatsache hinlenken, die in diesem Berichte enthalten sein wird.
Sie erinnern sich vielleicht noch des Kurden-Aufstandes in der Bitlisgegend vor 2 oder 3 Jahren bei dem zur Strafe eine Anzahl, ich glaube es waren 13 Kurdenführer gehängt wurden. Bei dem Herannahen russischer Truppen glaubten diese Kurdenstämme, daß nunmehr der Tag der Wiedervergeltung gekommen sei und türkische flüchtige Beamte und Offiziere aus der Wangegend wußten Schreckliches zu berichten.
Es erscheint mir durchaus wahrscheinlich, daß diese Greueltaten der Kurden aus bestimmten Gründen den Armeniern zur Last gelegt werden.
Nach den mündlichen Berichten unseres Missionars Spörri aus Wan, den ich noch gerade vor Abreise hierher in Berlin sprach, haben wohl auch Armenier Muhamedaner getötet, aber weder Grausamkeiten an Männern noch Vergewaltigungen von Frauen und Mädchen sowie Rohheiten an Kindern ausgeübt.
Manches Interessante über gefälschte Depeschen aus dem Innern u. vieles Andere bleibt meiner späteren Berichterstattung vorbehalten. Entschuldigen Sie, daß ich Sie auch aus der Ferne quäle, aber es ist ja so wichtig, daß unser A.A. alle Tatsachen kennt, um nur so klar zu sehen und nur so besser eingreifen zu können, wenn erst die Möglichkeit dazu sich bietet.
Mit hochachtungsvoller Begrüßung ergebenst