1915-11-14-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R 20194
Zentraljournal: 1915-A.S.-5791
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Praesentatsdatum: 11/22/1915
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 675
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der künftige Botschafter in außerordentlicher Mission in Konstantinopel (Wolff-Metternich) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht


Zwischen Sofia und Konstantinopel, den 14. November 1915

Abschrift.

944 Geheim.

Mit Seiner Majestät dem König der Bulgaren hatte ich lange politische Unterredung, ebenso wie mit dem Ministerpräsidenten Radoslawoff. Im Laufe derselben führte ich, den Intentionen Euerer Exzellenz entsprechend, aus, wie nützlich es sei, zu einem Frieden mit Serbien zu gelangen, nachdem unsere beiderseitigen Kriegsziele erreicht und die Hauptstreitmacht Serbiens vernichtet sein werde. Bei der günstigen und raschen Entwickelung des Feldzuges könne dieses Resultat eventuell schon in kürzester Zeit eintreten. Es sei mit der Möglichkeit zu rechnen, daß Serbien bald um Frieden bitten und sich in sein Schicksal fügen werde. Wir müßten uns im Voraus darüber klar werden, was dann geschehen solle. Durch die glückliche Beendigung des Feldzuges gegen Serbien solle ein Zustand der Ruhe auf dem Balkan auch für die Zukunft geschaffen werden. Das unglückliche System des Gleichgewichts der Kräfte, welches nie ein tatsächliches Gleichgewicht darstelle, habe den Krieg in Europa entfesselt und auch den Balkan nicht zur Ruhe kommen lassen. Aus dem serbischen Feldzuge werde ein kräftiges Bulgarien hervorgehen, welches unter der weisen Leitung seiner Herrschers die Vormachtstellung auf dem Balkan einnehmen und dadurch die Keime der Zweitracht beseitigen werde.

Dieser Zustand sei erst gesichert, wenn aus dem Kampf mit Serbien Frieden folge. Bis dahin sei stets die Gefahr vorhanden, daß Griechenland doch noch in die Strudel der Feinde und aktiv in den Krieg hineingezogen werde und daß dann, oder auch schon früher, Rumänien, von Rußland gestützt und getrieben, sich gegen uns wende. Sei nach Niederwerfung Serbiens der Friede möglich, so ergebe sich daraus der unschätzbare Vorteil, daß Rumänien es nicht wagen werde, sich zu rühren, daß die Hand König Konstantins gestärkt und dadurch die Gefahr von der griechischen Seite beseitigt werde, daß die Ententemächte keinen Anlaß mehr hätten, Serbien militärische Hilfe und Unterstützung zu bieten, nachdem dieses sich selbst durch Friedensschluß in sein Schicksal ergeben habe. Auch für Rußland, welches Serbiens wegen in den Krieg eingetreten sei, falle dann der ursprüngliche Kriegsgrund fort, was ebenfalls wichtige Folgen haben könne. Militärisch schließlich würden bedeutende Truppenmassen für andere Verwendung frei. Deshalb sollten wir nach meiner Auffassung den Frieden mit Serbien begünstigen, sobald die Kriegsziele erreicht seien.

Der König erkannte die Vorteile, welche sich aus einem Friedensschluß mit Serbien ergeben würden, an, bezweifelte aber, daß Serbien so bald schon zum Frieden geneigt sein werde. Die Friedenmöglichkeit mit Serbien rückte er ins weite Feld. Im ferneren Verlaufe unserer Besprechung stellte sich heraus, weshalb Ihm dieser Friede unwahrscheinlich dünkt. Er wünscht nämlich, Serbien als Staat von der Landkarte verschwinden zu lassen. Dabei treibt Ihn hauptsächlich sein Haß gegen den König von Serbien und dessen Nachkommenschaft.

Auf Seine Antwort, daß Serbien voraussichtlich nicht zum Frieden geneigt sei, bemerkte ich, daß es für die beteiligten Regierungen jedenfalls an der Zeit sei, sich darüber klar zu werden und sich zu verständigen, was mit dem Restteil von Serbien, was mit Montenegro, was mit Albanien geschehen solle. Die Zeit dränge, man dürfe sich nicht von den Ereignissen überraschen lassen. Ein kleines geschwächtes Serbien bilde für das vergrößerte Bulgarien und auch für das benachbarte Österreich-Ungarn nicht mehr dieselbe Gefahr wie früher. Nach meiner Auffassung würde diese Gefahr noch mehr zurücktreten, wenn das verkleinerte Serbien nach Möglichkeit befriedigt würde, d.h. wenn ihm die Bedingungen seiner Existenz erleichtert würden. Nach meiner persönlichen Ansicht würde es sogar vorteilhaft sein, Serbien an die Adria zu lassen und Süd-Albanien an Griechenland zu geben. Dadurch würden Griechenland und Serbien sich gemeinsam gegen Italien richten und sich auf Österreich-Ungarn stützen müssen, was indirekt auch eine beruhigende Wirkung auf die Beziehungen zwischen Serbien und Griechenland einerseits und Bulgarien andererseits ausüben würde. Serbien, verkleinert und eingeschlossen, seiner Existenzmöglichkeiten zum großen Teil beraubt und im Zustande dauernder Verzweifelung würde, auch geschwächt, stets ein Herd der Unruhe bleiben und gezwungen sein und getrieben werden, bei unseren Gegnern auch späterhin Anlehnung zu suchen.

Der König erwiderte. Er selbst habe keine Absichten auf Gebietsteile, die außerhalb der durch unser Bündnis festgestellten Grenzen lägen. Er halte aber das Fortbestehen eines unabhängigen Serbiens für eine dauernde Gefahr auf dem Balkan. Das wichtigste Ziel sei in Zukunft Ruhe zu haben. Bestehe Serbien weiter fort, so könne dieses Ziel nicht erreicht werden. König Peter sei und bleibe haßerfüllt. Seine Söhne ebenso, und diese seien außerdem tatkräftig. Dieser König und seine Sippe, der durch Verbrechen auf den Thron gelangt, von dem der eigene Schwiegervater, König Nikita sagte, daß er „un propriétaire de maisons obscures à Genèves“ sei, müsse verschwinden, sonst gäbe es nie Ruhe und Sicherheit auf dem Balkan.

Ich fragte den König, was denn nach Seiner Ansicht mit dem Lande Serbien geschehen solle. Das Land Serbien könne doch nicht verschwinden, ebenso wenig wie Montenegro oder Albanien. Man müsse sich doch klar darüber werden, wie die restliche Balkanhalbinsel künftig aussehen wolle.

Der König meinte hierauf, Österreich-Ungarn solle sich den größten Teil Serbiens aneignen und der Rest solle mit Montenegro unter König Nikita vereinigt werden. Süd-Albanien könne Griechenland zugeteilt, Nord-Albanien von den Österreichern besetzt oder auch den Montenegrinern gegeben werden, was immer noch vorzuziehen sei, als Serbiens ans Meer zu lassen.

Ich erwiderte, nach meinen Eindrücken, die ich aus Budapest mitgebracht habe, zeige Graf Tisza keine besondere Lust, die ungarischen Gebiete mit größeren von Serben bewohnten Landstrichen ferner zu beschweren. Es bleibe also die Frage bestehen, was mit dem Rest von Serbien, mit Montenegro und Albanien geschehen solle. Er selbst wünsche, wie Er mir sage, keine Gebietserweiterungen über die im Bündnisvertrag festgesetzten hinaus zu erlangen. Sei es in Seinem, dem bulgarischen Interesse vorzuziehen, ein kleines Serbien und ein kleines Montenegro als Nachbarn zu haben, oder ein großes Montenegro? Sei es vorteilhafter für Ihn, an Seiner westlichen Grenze zwei kleine Staaten oder statt dessen nur einen größeren zu sehen?

Seine Majestät antwortete, mit König Nikita lasse sich eine Verständigung herbeiführen sowohl für Ihn als auch voraussichtlich für Österreich-Ungarn, mit König Peter nie. Daher sei ein größeres Montenegro vorzuziehen.

König Ferdinand verkennt zwar nicht die Vorteile eines Friedensschlusses mit Serbien hinsichtlich der daraus resultierenden Ruhe auf dem Balkan noch während des Krieges, Sein Haß gegen König Peter und dessen Söhne beherrscht aber Seine Stimmung überwiegend.

Große Sorgen bereiten Ihm der Kampfplatz im südlichen Mazedonien. Nach Seinen Nachrichten würden die Alliierten in kürzester Zeit 100000 Mann gelandet haben. Es sei zu erwarten, daß sie darüber hinaus noch größere Landungen vornehmen würden. Auch sei damit zu rechnen daß sie die vergebliche Aktion an den Dardanellen aufgäben und dieses Heer ins südliche Mazedonien würfen. Die Landung in Salonik sei kein Bluff sondern Ernst.

Dem Ministerpräsidenten Herrn Radoslawoff machte ich ähnliche Ausführungen wie dem Könige und die Vorteile eines Friedens mit Serbien. Er war stärker beeindruckt wie sein Herr von den günstigen Folgen, die ein Frieden mit Serbien habe, obwohl auch er am liebsten dieses Königreich von der Landkarte verschwinden sähe. Sein Haß ist aber nicht so stark wie der des Königs. Wenn dadurch der Frieden erreicht wird, so würde er sich auch mit dem Weiterbestand Serbiens als unabhängiges Königreich und sogar mit dessen Zugang zum Meer abfinden. Allerdings hält er es in dem Falle für wünschenswert, daß auch Montenegro vergrößert werde, sodaß Montenegro Serbien und Griechenland sich in Albanien teilen. Er selbst würde einige Grenzberichtigungen über die im Bündnisvertrag festgelegte Grenze hinaus wünschen. Er hofft dadurch eine militärisch besser zu verteidigende Westgrenze für Bulgarien zu schaffen. Es handelt sich dabei um eine Ausbuchtung im Norden in den Sandschak Novi Bazar und im Süden bei Ochrida. Herr Radoslawoff macht den Eindruck eines verständigen und klar denkenden Mannes.

Sowohl der König wie der Ministerpräsident sind mißtrauisch gegen Griechenland. Radoslawoff noch mehr als sein Herr. Über die Türkei sprechen sich beide mit voller Zufriedenheit aus.

Die Besprechungen, welche ich mit dem Könige und Seinem ersten Minister hatte, trugen auf ausdrücklichen Wunsch der Beteiligten den Charakter eines freien und unverbindlichen Gedankenaustausches.


[Metternich]


[Jagow am 15.12.1915 an Metternich (Nr. 969)]

Geheim.

Zu Euerer Exzellenz ausschließlich persönlichen streng vertraulichen Orientierung.

Wie aus Allerhöchsten Randvermerken zu Euerer Exzellenz Bericht Nr. 675 vom 14. v.M. hervorgeht, stellt Seine Majestät der Kaiser Sich in der serbischen Frage im wesentlichen auf den Standpunkt des Königs der Bulgaren. Insbesondere scheint Seine Majestät der Kaiser eine völlige Aufteilung Serbiens als die verhältnismäßig günstigste Lösung anzusehen.



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