1915-11-27-DE-008
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Quelle: DE/PA-AA/R 20029
Zentraljournal: 1915-A-34504
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Telegramm-Ankunft: 11/27/1915
Praesentatsdatum: 11/28/1915 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 263
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Marineattaché in Athen (Grancy) an den Admiralstab der Marine

Telegraphischer Bericht



Ganz geheim!

Athen, den 27. November 1915

S.M. d. König äusserte sich heute gelegentlich einer Audienz sehr offen über die politische und militärische Lage und die Entwicklung, die die Ereignisse in Griechenland nehmen können.

Die von der Entente überreichte Note werde im Prinzip von seiner Regierung angenommen werden und zwar werde in der Hauptsache, der Behandlung der serbischen und Entente Truppen, die auf griechisches Gebiet zurückgedrängt werden sollten, die Absicht der Entwaffnung und Internierung fallen gelassen werden. Die Einzelheiten der Durchführung bleiben einer Sonderabmachung vorbehalten, die solange hinausgezögert werden wird, bis die heute aus Malta freigegebenen Getreidedampfer in griechischen Häfen eingetroffen sind, was am 26. oder 27. November zu erwarten steht.

In den Ausführungs-Bestimmungen wird eine Garantie verlangt werden dafür, dass übertretende Truppen von dem mazedonisch-serbischen Kriegstheater endgültig verschwinden. Diese „Neutralisierung“ wolle S. Maj. so durchführen, dass auf griechischem Gebiet zurückgeworfene Truppen zur Abfahrt veranlasst, serbische Truppen dagegen mit ihren Waffen „zu ihrer Erholung“ nach einem sicheren Platz im Innern, etwa Sorowitsch oder Kozani gebracht werden, wo sie bis zur Beendigung der serbischen Operationen bleiben sollen. Einzeln übertretende Soldaten sollen entwaffnet werden.

Griechenland werde dagegen die Verpflichtung übernehmen, nachrückende bulgarische oder deutsch-österreichische Truppen am Überschreiten der griechischen Grenze zu hindern. Dies werde möglich sein, wenn, wie S. Maj. hoffe und angeregt habe, Deutschland die Garantie übernimmt, dass die bulgarischen Truppen griechisches Gebiet nicht betreten. Von den deutsch-oesterreichischen Truppen schienen s. Maj. das in diesem Falle vorauszusetzen.

Sollte sich die Entente auf diese Bedingungen nicht einlassen, so werde Deutschland eine Garantie nicht übernehmen und S. Maj. seine Truppen von der Grenze und Salonik zurückziehen, im Falle weiterer Pressionen /-1 demobilisieren /-2/-x3/ (x1, x2, x3 verstümmelt, nicht zu entziffern) Komma daß er nicht die Absicht habe, die Zentralmächte an weiterer Verfolgung des Feindes zu hindern und dass Griechenland gegen seinen Willen zum internationalen Kriegsschauplatz gemacht werde. Unter keinen Umständen beabsichtigt S.Maj. sich in den Krieg gegen Deutschland hineinziehen zu lassen.

Einer der Beweggründe für die Zwangsmassregeln der Entente sei ihre Hoffnung, Venizelos wieder ans Ruder zu bringen und so S. Maj. zu zwingen, auf die Seite der Entente zu treten. Im bitteren Tone äusserte S. Maj d. König wörtlich: „Da kenne ihn die Entente aber schlecht, lieber würde er einen Bettler von der Strasse zum Ministerpräsidenten machen. Bisher habe sein Wort in Europa gegolten und man habe Vertrauen zu ihm gehabt, und auch in Zukunft werde die Entente daran nicht ändern können.

S. Maj legte grossen Wert darauf dass aus der vorläufigen, prinzipiellen Annahme der Entente-Forderungen von den Regierungen der Zentralmächte keine falschen Schlüsse gezogen würden und hatte seinen Ministerpräsidenten bereits beauftragt, dem Kaiserl. Geschäftsträger die Gründe und die weiteren Absichten zu erklären.

Im Verlaufe der Unterredung erzählte S. Maj., Lord Kitchener hätte ihm gesagt, England hätte nie ohne Aufforderung von seiten Griechenlands die griechische Neutralität durch die Landung in Salonik verletzt, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, ein zweites Belgien geschaffen zu haben. S. Maj. antwortete, bis zu diesem Augenblick wo Lord Kitchener ihm das sage, habe er sich auch wie Belgien behandelt gefühlt, da er nie einer Aufforderung zur Heranziehung von Entente Truppen zugestimmt habe.

S. Maj. fügte hinzu, nach den Mitteilungen die Denis Cochin ihm gestern, 23. Novbr. machte, wären alle Generäle für Aufgabe der serbischen Unternehmung, doch widersetze sich die franz. Regierung solchem Ansinnen. S. Maj. kam darauf auf Albanien zu sprechen. Nachrichten aus Janina besagten, in Valona seien jetzt nur 4000 Mann italienischer Truppen, doch seien schwere Festungsgeschütze vorhanden und wären die Italiener eifrig mit dem Bau von Strassen beschäftigt. Bei Erwähnung der Griechenland feindlichen Stimmung Italiens sagte S. Maj., er fürchte nicht die italienische Armee, aber die Flotte sei im Vergleich zur griechischen zu stark. Zu einer Unternehmung gegen Valona, etwa gegen Ende des Weltkrieges fehlten die U-Boote. Ich wies darauf hin, welches Interesse Oesterreich daran hätte, dass Valona griechisch und Italien aus Albanien vertrieben würde, im gedachten Falle würde Griechenland der Unterstützung durch die oesterr.-ung. Marine sicher sein können.

Als ich zum Schluss darauf hinwies, dass Griechenland ausser Protest und Anrufung der neutralen Staaten noch jetzt Mittel in der Hand habe auf die Entente einzuwirken, sagten S. Maj., der deutsche Vorschlag die Ententetruppen in Mazedonien zu internieren und als Geisel zu benutzen habe wenig praktischen Wert, da er im Falle einer Beschiessung Griechenlands Städte durch die Entente oder andere Pressionen die Geiseln doch nicht niedermetzeln lassen könne. Ich erwiderte, dass Frankreich es meiner Ueberzeugung nach nicht zum Äussersten kommen lassen und sich Griechenland nicht endgültig zum Feinde machen werde da nach dem Krieg die alte Eifersucht im Mittelmeer zwischen Frankreich und Italien wieder aufleben müsse.

Der Gesamteindruck meiner Unterredung mit S. Maj. d. König war folgender:

I S.Maj. d.König ist fest entschlossen, Griechenland nicht in den Krieg gegen die Zentralmächte hineinziehen zu lassen.

II Die griechische Regierung fühlt sich der Entente gegenüber ohnmächtig und nützt die ihr noch zur Verfügung stehenden Druckmittel in keiner Weise aus.

III Beharrt die Entente bei ihrer bisherigen Politik gegenüber Griechenland, so ist zu erwarten, dass sie auch die Neutralisierungsvorschläge ablehnt, und dass beim ersten Grenzzwischenfall Griechenland seine Truppen zurückziehen und der Kampf auf griechisches Gebiet getragen wird.

IV Da die Entente ausserstand ist, in absehbarer Zeit von Salonik aus Serbien wieder zu erobern, dürfte eine Verfolgung der Entente Truppen in griechisches Gebiet der endgültige Abzug der Entente aus Mazedonien bald folgen.

Bitte mitteilen auswärtiges Amt und Chef des Generalstabes des Feldheeres. Schluss.


Grancy Mirbach



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