1915-12-02-DE-002
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Quelle: DE/PA-AA/R 20031
Zentraljournal: 1915-A-34953
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Telegramm-Abgang: 12/02/1915 08:55 PM
Telegramm-Ankunft: 12/03/1915 06:07 AM
Praesentatsdatum: 12/03/1915 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 2856
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Botschafter in außerordentlicher Mission in Konstantinopel (Wolff-Metternich) an das Auswärtige Amt

Telegraphischer Bericht


Pera, den 2. Dezember 1915

Unter Bezugnahme auf Telegramm Nr. 2370 {A 34465}.

Oberst von Lossow hat am 21. v. M. nach Besprechung mit Generalintendant Hakki Pascha und mit Enver Pascha folgende Notizen gemacht und auch mit General von Falkenhayn besprochen:

„Monatsbudget für die türkische Armee:

Portionen und Rationen: 2500000 Ltq
Löhne und Gehälter: 400000 Ltq
Ausgaben für Anfertigung für Ausrüstung für Mann und Pferd etwa: 300000 Ltq
Transporte (Eisenbahnen und Landetappenlinien) etwa: 300000 Ltq
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Summe: 3500000 Ltq

Der Generalintendant hat in den letzten Monaten vom Finanzminister für das Heer monatlich nur etwa 600000 Ltq erhalten.

Wir geben monatlich 2000000 Subsidien, hiervon können aber für die Armee nur etwa 600000 Pfund gegeben werden, weil der Finanzminister für die Bedürfnisse aller übrigen Ministerien auch sorgen muß.

Einkünfte des Landes seien derart gesunken, daß sie nur noch genügen für die Ausgabe der Distrikte, Kreise und Vilajets. Darüber hinaus fließe in die Staatskasse so gut wie nichts mehr. Es blieben also zur Bestreitung aller übrigen Staatsbedürfnisse nur Teile der deutschen Subsidien übrig. Entsprechend dem Anwachsen der Armee seien die Ausgaben für die Armee ständig gestiegen. Z.Zt sind sie tatsächlich monatlich 3 1/2 Millionen Pfund. Der Generalintendant hat mir hierfür seine Bücher zur Verfügung gestellt und mir das außerdem auf Ehrenwort versichert.

Er meint, kein Land der Welt könne eine Armee von 1 1/2 Millionen Köpfen und fast 1/2 Million Tiere für etwa 70 Millionen Mark monatlich erhalten. Er selbst müsse das aber seit Monaten mit rund 600000 Pfund monatlich machen und habe deshalb das Land bis auf das Äußerste aussaugen müssen. Er hätte sogar das Odium auf sich nehmen müssen, der verhaßteste Mann in der Türkei zu sein und als wahrhaftiger Blutsauger zu gelten. Er sei nun am Ende seines Potentials.

Lossow.“

Es ist richtig, daß das Land durch Requisitionen ausgesogen ist. Auch ist die nächste Ernte nicht bestellt. Einfuhrzoll fällt fort. Steuerkraft des Landes auf Minimum gesunken. Die Kriegskosten mögen, wie auch anderswo, im Laufe des Krieges gewachsen sein. Diesen Abgrund ohne Boden sollen wir ausfüllen. Die Türkei hat kein Geld. Ohne Geld kann sie keinen Krieg führen. Versprechen Enver Paschas, daß unser vorgestrecktes Geld lediglich zu Kriegszwecken verwendet wird, sind, auch wenn sie ehrlich sind, keinen Piaster wert. Von den bisherigen 2 Millionen Pfund monatlich sind 600000 für Armeezwecke ausgegeben worden. Der Rest für die Verwaltung und auch sicherlich für Komiteezwecke. Durch Gewalttaten emporgekommene Revolutionäre haben eine Menge unbequemer Münder zu stopfen. Bagdadbahn steht durch hiesige Art der Kriegsführung vor dem Ruin. Es wird hohe Leistung verlangt, ohne Gegenleistung zu gewähren. Bei Gewährung höherer Subsidien an Türkei sollten unbedingt 40 Millionen Mark für Bagdadbahn abgezogen und Sicherheit für dauernde Bezahlung von Kriegstransporten getroffen werden.

Einzige Garantien für zweckmäßige Verwendung der Subsidien wäre Anstellung eines deutschen Finanzbeirats bei türkischer Intendantur. Im Sommer erklärt Enver, er verzichte lieber auf deutschen Zuschuß, wenn er sich Überwachung für Ausgaben gefallen (lassen) müsse. Trotzdem liegt hierin einzige Garantie. Auch müßte mit Zurückhaltung der Zuschüsse gedroht werden, wenn Beirat zwar angestellt, aber tatsächlich beiseite geschoben würde. Auch sollte bei neuen Subsidien vertraglich Rohmaterialienausfuhr nach Deutschland (hauptsächlich Wolle und Chromerze), eventuell auch Kursverhältnis geregelt und Vertrag nicht unterzeichnet werden, bis unsere wichtigsten Interessen von der Türkischen Regierung anerkannt worden sind.

Oberst von Lossow, der 4 Millionen Pfund Zuschuß monatlich ohne Abzug zur Deckung türkischer Kriegskosten als Minimum betrachtet, wird auftragsgemäß mit Enver Pascha sprechen.


[Metternich]



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