1915-12-05-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R 20031
Zentraljournal: 1915-A-35178
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Telegramm-Abgang: 12/05/1915 08:10 AM
Telegramm-Ankunft: 12/05/1915 11:55 AM
Praesentatsdatum: 12/05/1915
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 89
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Gesandte in Athen (Mirbach) an das Auswärtige Amt

Telegraphischer Bericht


Athen, den 5. Dezember 1915

Für Chef des Generalstabes Feldheeres.

Auf Grund Ew. Exzellenz Telegramme vom 28. November und vom 1. und 2. Dezember, welche sämtlich erst heute hier eingingen, hatte ich am Vormittag eine längere Besprechung mit Metaxa. Ich habe bereits früher Metaxa mehrfach Vortrag über die militärische Lage gehalten und auf die Schwierigkeiten hingewiesen, auf welche eine Truppenverschiebung treffen müßte, welche griechischen Wünschen gerecht wird. Als die deutsche Front in Serbien immer schmaler wurde und in hiesigem Generalstab die Ansicht geäußert wurde, daß die frei gewordenen Truppen im Morawa Tal marschierten, habe ich gesagt, daß diese Truppen auch in Abtransport nach einem anderen Kriegsschauplatz sein könnten. Die Hoffnung, durch deutsche Truppen von der …[Gruppe unverständlich]… befreit zu werden, war aber zu stark und da ich über die tatsächlichen Truppenverschiebungen nicht orientiert war, konnte ich nicht mit größerem Nachdruck der Ansicht der griechischen Generalstabs entgegentreten. Meine heutige Mitteilung, daß nicht nur deutsche und österreichische, sondern auch bulgarische Truppen die Entente angreifen und die geschlagenen Truppen auf griechisches Gebiet verfolgen könnten, wirkte auf Metaxa ziemlich niederschmetternd. Er erbat sofort von Sr. Majestät dem König eine Audienz. Nachmittags bat mich Metaxa Ew. Exzellenz folgendes zu melden als Antwort des Königs:

„Se. Majestät dankt Ew. Exzellenz für das Interesse, daß Ew. Exzellenz an der Lage in Griechenland nehmen und für die Schritte, um diese schwierige Lage zu erleichtern.

Se. Majestät erkennt wohl die Schwierigkeiten an, welche für die deutsche Heeresleitung entstehen, wenn bei einer Offensive gegen Ententetruppen keine bulgarischen Truppen in Griechenland einrücken sollen. Aber Se. Majestät glaubt, daß die deutsche Heeresleitung doch ein Mittel finden wird, um ein Einrücken bulgarischer Truppen in Griechenland zu vermeiden, da ein solches Einrücken schädliche militärische Folgen haben würde. Denn die durch die Umtriebe der griechischen Kriegspartei (Venizelos) und der Entente-Propaganda schon erregte öffentliche Meinung würde im Falle des Einrückens bulgarischer Truppen in solchem Maße erregt werden und sich gegen den König selbst kehren, daß der Übertritt Griechenlands ins feindliche Lager als sicher zu …[Gr. unverst.]… ist. Auch die Armee würde in einem solchen Falle dem König nicht treu bleiben.

Sr. Majestät jetzige Verhandlungen mit der Entente, um diese zur Abfahrt zu bewegen, sehr unter dem Fehlen einer deutschen Versicherung leiden, daß keine bulgarischen Truppen in Griechenland …[Gr. unv.]… werden. Se. Majestät muß auf dieser Zusicherung bestehen, um seine Politik fortsetzen zu können und bittet um schnelle Antwort.“

Zusätze:

1. Metaxa gab mir außerdem ein Telegram, worin der griechische Gesandte in Sofia vom 30. November meldet: …[Gruppe fehlt]… bal eine deutsche Armee im Verein mit der bulgarischen Armee und einer österreichischen Division die englisch-französischen Truppen angreifen wird, ohne daß, gemäß dem Abkommen, Bulgaren die griechische Grenze überschreiten werden.“ - diese Kondensierung im Verein mit der schon von mir gemeldeten Äußerung des Oberstleutnants v. Massow erweckt hier den Eindruck, daß wir grundlos mit der vom König gewünschten Versicherung zurückhalten.

2. Die Gefahr eines bulgarischen Einmarsches in Griechenland darf nach meinem Dafürhalten keineswegs unterschätzt werden. Auch daß bulgarische Truppen unter deutschem Oberbefehl kämpfen, dürfte daran - auch nach des Königs und Metaxas Meinung - nichts ändern. Eine Verfolgung der Ententetruppen auf griechisches Gebiet bildet wohl noch die Hoffnung der Venizelospartei und der Entente, um Griechenland auf ihre Seite zu ziehen. Praktisch sind die Versuche, einen griechisch-bulgarischen Zwischenfall zu schaffen, bisher mißlungen. Mit um so größerem Nachdruck wird die „bulgarische Gefahr“ in der Presse ausgebeutet. Weder der König noch Metaxa haben es ausgesprochen; tatsächlich fürchtet man aber im Falle des Einrückens der Bulgaren mit dem unbestrittenen Sieg der Venizelospartei den Sturz der Dynastie.

3. Karge [AA: ?] militärische Gründe kann die Entente für ihr Verbleiben in Mazedonien und Salonik eigentlich nicht …[Gr. unv.]… angeben. Ihr ganzes Verhalten zeigt aber, daß sie …[dsgl.]… Frankreich, Saloniki aus innerpolitischen Gründen nie aufgeben will. Bisher sind Repressalien nur von England ausgegangen nunmehr droht aber Frankreich mit Repressalien und sogar mit Krieg; und es gewinnt den Anschein, als ob mit dem Zusammenbruch des Saloniker Abenteuers auch jesuitische Regierung in Frankreich zusammenbrechen werde; gewisse Nachrichten sprechen für diesen Fall von einer Militärdiktatur Joffres, der in richtiger Erkenntnis der Sachlage zum Frieden sehr geneigt sei. Bei einem Angriff auf Saloniki würden daraufhin nicht nur große militärische Erfolge winken, weil bei einem schnellen Vormarsch ein Abzug der Entente aus Saloniki nicht mehr möglich sein dürfte, sondern vielleicht noch viel größere politische Erfolge. Ein Übertritt Griechenlands in das Ententelager würde dagegen eine erhebliche Stärkung der Entente, besonders Frankreichs bedeuten und wohl auch auf Rumänien einwirken.

4. Die Abneigung gegen die Entente zieht, wie mir Metaxa versicherte, immer weitere Kreise; deutsche und österreichische Truppen würden gewissermaßen als Befreier begrüßt werden, und das Prestige Deutschlands würde mit einem Schlage unbestritten sein; ein bulgarischer Einmarsch müsse aber all diese Hoffnung zerstören. Immer wieder wird von griechischer militärischer Seite betont, daß es nur die Machenschaften der Entente und Venizelos sind, die zu diesem Verhalten gegenüber Bulgarien zwingen.

Falkenhausen.


[Mirbach]



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