1915-12-09-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14089
Zentraljournal: 1915-A-36483
Erste Internetveröffentlichung: 2000 März
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 12/18/1915 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 714
Zustand: A
Letzte Änderung: 04/22/2012


Der Botschafter in außerordentlicher Mission in Konstantinopel (Wolff-Metternich) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht



Nr. 714

Pera, den 9. Dezember 1915

Mit Bezug auf Erlaß Nr. 913 vom 29. v.M.1

Ich habe heute mit dem Großwesir die Armenierfrage in ernster Weise besprochen, ihn darauf aufmerksam gemacht, daß die türkische Regierung sich durch die Armenierverfolgungen die Sympathien verscherze, die sie in dem ihr wohlgesinnten Auslande besitze, daß in Deutschland die Erregung zunehme und der Herr Reichskanzler mit Adressen bestürmt werde, um bei der befreundeten und verbündeten türkischen Regierung sich zu Gunsten der Armenier zu verwenden. Ich habe wiederum darauf hingewiesen, daß Verschwörer gegen die Sicherheit des Staates zwar strenger Bestrafung verfallen, daß aber die schmähliche Vertreibung von Hunderttausenden von Greisen, Kindern und Frauen ein dunkles Blatt in der jungtürkischen Geschichte bildeten.

Ich habe diesmal absichtlich bei dem Großwesir und nicht bei einem Mitgliede des Triumvirats Vorstellung erhoben, weil mir bekannt ist, daß er die Armenierverfolgungen mißbilligt. Er hat zwar nicht die Macht sie einzustellen, es wird ihm aber ganz erwünscht sein, meine Vorstellungen bei seinen Kollegen zu verwerten.

Ich habe ihm schließlich von dem Mißbrauch gesprochen, den türkische niedere Beamte sich zu Schulden kommen ließen durch die falsche Behauptung, daß die Deutschen die Armenierverfolgungen begünstigten. Diese Verleumdung sei in Anatolien, wie ich von Reisenden und aus anderen Quellen unumstößlich wisse, weit verbreitet. Wir seien durchaus nicht gesonnen, die Verantwortung für die Armenierpolitik mit der türkischen Regierung zu teilen, und ich bäte ihn, diesen Gerüchten mit Nachdruck entgegenzutreten.

Dem Großwesir war über derartige Gerüchte nichts bekannt. Er versprach aber ausdrücklich, sie dementieren zu lassen. Im übrigen führte er aus, daß die Armenier ein Opfer fremder, insbesondere russischer Anstiftung geworden seien. Ganze Distrikte seien zum Aufstande organisiert gewesen und mit Waffen versorgt worden. Es habe sich nicht um den Aufstand einzelner, sondern ganzer Gegenden gehandelt, weshalb auch nicht nur einzelne zur Bestrafung hätten herausgegriffen werden können. Im übrigen sei er nicht einverstanden mit der Behandlung, die die armenische Bevölkerung betroffen habe. Ich bemerkte ihm, daß, wie er wisse, nach der Erfahrung der Geschichte, Revolutionen die Folge einer schlechten Regierung seien, und daß die Verfolgung und Mißhandlung von Hunderttausenden unschuldiger Personen keine legitime Abwehrmaßregel eines Staates bilde.

Wenn ich den Türken etwas Unangenehmes zu sagen habe, so tue ich dies mit großer Ruhe, und sie lassen es sich auch gefallen. Es gibt zwar keine alttürkische Partei mehr, aber unter den älteren Türken gibt es noch Leute, die sich über die Armenierverfolgungen schämen.

Ich möchte glauben, daß meine Vorstellungen doch nicht ganz vergeblich gewesen sind. Djemal Pascha hatte gewisse Erleichterungen für die Armenier verlangt: daß die noch in Aleppo befindlichen Armenier in der Nähe verbleiben dürften, anstatt nach Der Zor am Rande der Wüste abgeschoben zu werden, wo sie umgekommen wären, daß die beim Bau der Bagdadbahn beschäftigten armenischen Ingenieure, Baubeamten und Arbeiter, die schon verschickt waren, zurückgerufen, und daß die vertriebenen Handwerker ebenfalls für Armeezwecke wieder angeworben werden dürften. Djemal Pascha, der auch zu den Türken gehört, die sich schämen, hatte bisher beim Komitee Widerstand bei der Durchführung seiner Wünsche gefunden. Ganz neuerdings werden sie dagegen, wie mir der Chef seines Stabes, Oberst von Kress, mitteilt, gewährt. Er schreibt dies meinem Einschreiten zu. Der Oberst sagt mir, daß die Erinnerung an die schauderhaften Bilder des Armenier-Elends ihn wohl sein leblang nicht verlassen würde.


Metternich


1 A 33278 liegt bei.



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