1915-12-14-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/BoKon/172
Botschaftsjournal: A53a/1915/7289
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 963
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Unterstaatssekretär des Auswärtigen Amts (Zimmermann) an den Botschafter in außerordentlicher Mission in Konstantinopel (Wolff-Metternich)

Erlaß



Nr. 963
Berlin, den 14. Dezember 1915.

1 Anl.

Die Direktion der Deutschen Orientbank hat mir den abschriftlich anliegenden Auszug aus einem Bericht ihrer Filiale in Mersina vom 25. Oktober d.J. mitgeteilt in dem u.a. über unfreundliches Verhalten der türkischen Behörden gegenüber den deutschen Interessen Klage geführt wird.

Euere Exzellenz beehre ich mich zu bitten, gelegentlich die Aufmerksamkeit der Pforte auf diese Vorgänge zu lenken.


Zimmermann

Anlage

Abschrift zu A 35704.

Auszug aus dem Briefe der Deutschen Orientbank Aktiengesellschaft, Filiale Mersina, vom 25. Oktober 1915.

Was dem Wirtschaftsleben hier den empfindlichsten Stoß versetzte, war die allgemeine Armenierausweisung, die im Juli begann und jetzt langsam ihr Ende erreicht, mit dem Ergebnis, daß heute in unserem Vilayet kaum ein armenischer Kaufmann oder Gewerbetreibender mehr vorhanden ist. Unsere gesamte armenische Kundschaft ist entweder schon deportiert oder hat binnen kurzem das Vilayet zu verlassen. Wir haben mit teilweisem Erfolge versucht, für unsere Außenstände Deckung irgendwelcher Art zu erhalten, können aber heute nicht sagen, ob und wie weit wir mit einer Einbuße bei unseren ungedeckten armenischen Risiken (Konto-Korrent und Diskonten) in Höhe von

Ltq.: 6.169,09 Mersina und
Ltq. 14.688,02 Adana
insgesamt Ltq. 20.852,11
zu rechnen haben. Gewisse Ausfälle dürften unausbleiblich sein, wenngleich eine auch nur annähernd ziffernmäßige Schätzung nicht möglich ist, umsomehr, als sich heute kaum beurteilen läßt, wie sich die europäischen Interessenten mit dem inzwischen herausgekommenen, überaus primitiven türkischen Gesetz betr. Verwaltung und Liquidation des beweglichen und unbeweglichen Gutes der Ausgewiesenen werden abfinden können.

Was unser Personal anbetrifft, so hat dessen regelmäßiger Dienst insofern unter den außer- und innerpolitischen Verhältnissen leiden müssen, als durch fortgesetzte Vorladungen in Militär- und Ausweisungsangelegenheiten, zwangsweise Entfernung der Italiener von Küstenstädten und die damit verbundenen, oft nur auf Tage notwendigen Versetzungen und Rückversetzungen von Beamten zwischen hier und Adana oder Verschiebungen in den einzelnen Abteilungen, die Stetigkeit der Arbeit mitunter verloren ging, was gelegentlich bedauerlicherweise auch äußerlich in der Anfertigung der Bilanz- und sonstiger Schriftstücke zum Ausdruck kam. Ein überaus langer und fiebriger Sommer, während dessen wir dem Personal, wie im Vorjahre, keine Erholungspause gönnen konnten, stellte außerdem die physische Widerstandsfähigkeit unserer Beamten auf eine harte Probe. Durch die Armenierausweisungen gingen uns in Adana 6, in Mersina 1 Beamter verloren, deren Ersatz nur zum kleinen Teil notwendig wird und von uns hierselbst vorgenommen werden kann.

Wenngleich das laufende Geschäft auf ein bescheidenes Minimum zurückgegangen ist, so nehmen die täglichen Verhandlungen mit den Behörden im Requisitions-, Depots-, Beamten-Fragen und dergl. unglaublich viel Zeit und Reisen nach Adana in Anspruch. Leider muß hierbei festgestellt werden, daß wir ein Entgegenkommen bei den Behörden (außer etwa hier in Mersina und da nur unter Anwendung besonderer Mittel) in keiner Weise finden. Man kann die Haltung der Behörden im allgemeinen als grundsätzlich gegnerisch und selbst als feindselig bezeichnen.

So ergibt sich heute das unerfreuliche Bild, daß unser Prokurist, Herr Greuell in Adana, wie es heißt, „wegen Einmischung in türkische Angelegenheiten und wegen Beamtenbeleidigung“, ferner ein Unterbeamter von Adana „wegen Verletzung eines Regierungssiegels“ (an einem unserer von der Regierung versiegelten Warendepots) vor Gericht erscheinen müssen. Natürlich sind die Beschuldigungen ebenso absurd, wie unwahr, unsere Leute haben nichts, als ihre Pflicht getan, indem sie mündlich und schriftlich gegen die vollkommen ungesetzliche Beschlagnahme verschiedener armenischer Depots protestierten. Der Zwischenfall dürfte keinerlei Folgen haben. Er beweist aber, wie unendlich schwer unsere Stellung gegenüber den türkischen Behörden ist, bezw. mit welch tendenziöser Unfreundlichkeit wir (und alle anderen deutschen Firmen) hier behandelt werden.


[Botschaft Konstantinopel an Reichskanzler (No. 733) 26.12.]

Auf Erl. No. 963.

Die Beschwerden der Deutschen Orient Bank über die Schädigung ihrer Geschäftsinteressen durch die Armenierverfolgungen in Kleinasien und das willkürliche Vorgehen der Lokalbehörden speziell im Vilajet Adana ist wiederholt Gegenstand von Vorstellungen der Kais. Botschaft bei der Hohen Pforte gewesen. Das Ministerium des Innern hat dem Gesuche der Bank, ihre Armenischen Angestellten von der Verschickung auszunehmen, soweit entsprochen, und u. A. den zwei Beamten der Filiale zu Brussa, die bereits ausgewiesen waren, die Rückkehr dorthin gestattet; allerdings hat das Ministerium dabei den Wunsch geäußert, daß solche Beamte versetzt, bezw. nach einiger Zeit entlassen werden möchten.

Der in Adana vorgekommene Zwischenfall ist ebenfalls auf der Pforte zur Sprache gebracht worden. Nach der Darstellung des Valis von Adana hätte der Leiter der dortigen Bankfiliale armenisches Eigentum als der Bank verpfändet reklamiert, obwohl es sich um eine nachträgliche Schiebung gehandelt, und dabei die Beamten der Liquidationskommission in der Ausübung ihrer Pflichten gestört und mit Worten schwer beleidigt. Der Sachverhalt erscheint noch nicht hinlänglich aufgeklärt.

Richtig ist, daß die türkische Regierung in der Lösung der Armenierfrage weder auf ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen noch auf die Interessen der fremden Banken, Eisenbahngesellschaften und sonstigen Handeltreibenden die geringste Rücksicht genommen hat. Von einer besonderen Feindseligkeit gegen die Deutsche Orient Bank kann daher kaum die Rede sein, allerdings auch nicht von einem besonderen Entgegenkommen. Ein solches Entgegenkommen, das ja vielleicht von deutscher Seite erwartet wird, würde als eine Bevorzugung fremder Interessen und als Zeichen fremder Beeinflussung gelten und wird daher mit Rücksicht auf die in weiten Kreisen herrschende fremdenfeindliche Stimmung nach Möglichkeit vermieden.


[Wolff-Metternich]


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