1916-03-17-DE-003
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Quelle: DE/PA-AA/R 20057
Zentraljournal: 1916-A-7156
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Telegramm-Abgang: 03/18/1916 07:00 PM
Praesentatsdatum: 03/17/1916 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 27
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts (Jagow) an den AA-Vertreter im Großen Hauptquartier (Treutler)

Telegraphischer Erlaß


Berlin, den 17. März 1916

Abschrift.

Vor einigen Tagen suchte mich hier der bulgarische Militärattaché Oberst Gantschew auf, um, wie er sagte, sich nach dem Ergebnis der von Herrn Radoslawow in Wien gepflogenen Verhandlungen über die bulgarischen Grenzerweiterungswünsche zu erkundigen. Ich entgegnete, meines Wissens hätten die Verhandlungen noch zu keiner definitiven Einigung geführt. Ich bedauerte, daß bulgarischerseits gegen unseren Rat die albanischen Gebiete berührenden Wünsche in den Vordergrund gestellt und das Morawatal c.p. überhaupt kaum erwähnt worden seien. Ich hätte sowohl Seine Majestät dem König Ferdinand wie Herrn Radoslawow gesagt, daß die Begründung eines lebensfähigen albanischen Staates für die Wiener Staatsmänner ein Kriegsziel sei, von dem sie sich nicht abbringen lassen würden, während sie betr. anderweitiger Grenzerweiterungen, wie des Morawatals, gewiß Entgegenkommen zeigen würden. Wir hätten hinsichtlich Albaniens auch von vornherein den Österreichern gewissermaßen freie Hand gegeben. Ursprünglich sei in Sofia immer nur vom Morawatal die Rede gewesen, während die anderen Wünsche erst viel später aufgetaucht seien. Herr Gantschew sagte, für das Moravatal sprächen ökonomische, für Prisren etc. militärische Gründe, worauf ich erwiderte, Gründe verschiedenster Art ließen sich ja für alle Wünsche finden. Als wir den Vertrag mit Bulgarien schlossen, hätten wir dessen Wünsche ohne Handeln und Feilschen in vollem Umfange Bewilligt. Die vertragliche Grenzlinie sei von Bulgarien selbst gezogen worden. Wenn dieselbe jetzt erweitert werden solle, so müsse dies im Wege friedlicher Verhandlungen geschehen. Es sei absolut nötig, daß eine Einigung erzielt würde. Wir würden dabei immer gern vermitteln. Einigungen beständen aber in der Regel darin, daß beide Teile etwas nachgäben. Es schiene mir angezeigt, die Verhandlungen zunächst den politischen Stellen zu überlassen. Herr Gantschew erwiderte auf diesen gegen seine Einmischung gerichteten Wink, leider seien bei Festsetzung der Grenze seinerzeit die Militärs nicht befragt worden. Notabene widerspricht diese Behauptung den Tatsachen, da bei den Vertragsverhandlungen eine von Herrn Radoslawow vorgeschlagene und eine vom Militär gewünschte, viel weiter gehende Grenzlinie in Frage standen. Letztere, die auch von Oberst Gantschew im Großen Hauptquartier noch besonders vertreten worden war, wurde von uns uneingeschränkt angenommen.

Herr Gantschew wollte nun auf die Frage der Okkupation der strittigen Gebiete eingehen, worauf ich ihm sagte, das sei eine militärische Frage, die von den militärischen Stellen gelöst werden müsse. Sie präjudicire auch nicht die spätere politische Abgrenzung.

Der bulgarische Militärattaché bedient sich bei seinen Auseinandersetzungen der mir schon bekannten Karte, auf der die von Bulgarien gewünschte Grenzlinie eingezeichnet ist. Letztere läßt erkennen, daß die bulgarischen Aspirationen weit nach Albanien hineinreichen, von welchem eine Art Korridor an der Küste entlang übrig bleiben würde. Daß sich aus diesem Rest nach Abtrennung aller wertvollen Gebietsteile noch ein einigermaßen lebensfähiger Staat bilden ließe, erscheint ausgeschlossen. Dieser Rest müßte über kurz oder lang auch Bulgarien zufallen, und dies ist offenbar das Ziel, das König Ferdinand trotz aller seiner Verwahrungen im Auge haben dürfte. Es scheint dies eine ganz persönliche Politik des Königs zu sein und keineswegs den Wünschen der bulgarischen Staatsmänner, wie Herrn Radoslawow, zu entsprechen, die mit Recht erkennen, daß eine Einverleibung der unbotmäßigen albanischen Stämme nur eine Belastung für Bulgarien bilden würde, und die sich daran erinnern, daß während des Balkankrieges die Ländergier des Königs die anfänglichen Erfolge Bulgariens so schwer kompromittiert hat.

Wenn jetzt der König, und in seinem Auftrage Oberst Gantschew, immer wieder auf die albanischen Wünsche zurückkommt, so geschieht das zweifellos, weil er dort den Punkt majoris resistentiae bei Österreich sieht, für dessen Beseitigung er uns vorspannen möchte. Denn den Erwerb des Morawatals sieht er offenbar schon als gesichert an. In Albanien wird aber Österreich nie nachgeben.


[von Jagow]



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