1916-07-10-DE-002
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Quelle: DE/PA-AA/BoKon 101/Bl. 29-30
Botschaftsjournal: 10-12/1916/6266
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: K. No. 72/No. 1934
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/27/2012


Der Konsul in Aleppo (Rößler) an den Botschafter in außerordentlicher Mission in Konstantinopel (Wolff-Metternich)

Bericht



K. No. 72 / No. 1934
Aleppo, den 10. Juli 1916

Ueber die Verschickung der bei dem Bau der Bagdadbahn in der Abteilung Adana beschäftigten Armenier, welche Mitte v.M. von der Regierung angeordnet und später, auf Betreiben der Bauabteilung z.T. wieder rückgängig gemacht worden ist, wird das Kaiserliche Konsulat in Adana berichtet haben. Diejenigen aber, deren Zurückbehaltung an der Bahn nicht gelang, sind alsbald aus dem Wilayet Adana nach Marasch Aintab Biredjik Urfa geschickt worden, sodass für die Berichterstattung über ihre Wanderung das Konsulat Aleppo zuständig ist. Euer Exzellenz beehre ich mich daher in der Anlage den Brief eines gewissen Leon Hatschadurian an die Schwester B. Rohner, der sich verglichen mit den sonst hier bekannt gewordenen Nachrichten durch nüchterne Darstellung auszeichnet, in Uebersetzung zur geneigten Kenntnisnahme einzureichen. Es handelt sich dabei um einen Trupp von etwa 1000 Menschen. Ob und wieviel noch sonst bei dieser Gelegenheit von der Bahn verschickt worden sind, ist mir nicht zuverlässig bekannt geworden.

Gleichen Bericht lasse ich dem Herrn Reichskanzler zugehen.


Rößler

Anlage
Aleppo den 9. Juli 1916

Seit 6 Monaten arbeite ich in Enteli beim Ingenieur Köppel als Eisenbahnarbeiter. Am 16. Juni als wir bei der Arbeit waren, wurden wir plötzlich von Gendarmen abgeführt, ohne Rücksicht auf Kranke, Kinder und Greise und ohne die Möglichkeit, unsere Habseligkeiten mitzunehmen. So trieb man uns mit Kolbenstössen bis Bulanek-Baghtsche, das bereits mit Arbeitern aus Keller, Yarbaschi, Airan und anderen Orten angefüllt war. Man hätte glauben können, der jüngste Tag sei angebrochen. Man hätte nur die Frauen und Kinder ansehen sollen, um einen Eindruck zu bekommen was geschah. Nach drei Tagen schrieb die Regierung die Namen aller Arbeiter auf, die keine Familie hatten und ohne uns Brot zu geben oder Gelegenheit, uns etwas zu kaufen, trieb man uns immer vorwärts mit Kolbenstössen bis nach Tschakiroglu, Fundadjak, Marasch, Karaküjükli, Aintab, Nisib, Biredjik, Urfa, Karasu, also einen Weg von wohl 200 km, Kranke, Greise und Kinder dazwischen. In der Marascher Gegend, nämlich bei Fundadjak wurden durch Gewehrschüsse etwa 70 Mann getötet. Bei Marasch mussten wir Wasser, das nicht einmal Tiere mehr angenommen hätten, kaufen. Die Gendarmen verkauften uns ein Glas Thee aus diesem Wasser zu einem Piaster. Es befanden sich unter uns 250 bis 300 Maraschleute. Deren Angehörige kamen, durften aber nicht mit ihnen sprechen. Sie hatten Brot mitgebracht, durften es aber nicht verteilen. Mit Kolbenstössen und Stockhieben wurden wir bis Karaküjükli getrieben, wo man uns zwei Brote gab, d.h. man durfte für drei Metallik kaufen. Bis Biredjik gab es nichts, in Biredjik gab man uns Brot für jeden für 6 Metalik. Als wir von Urfa aufbrachen, gab es nichts. Im Anfang waren wir 1000 gewesen, in Urfa und Karasu waren wir noch 623. Wie es später gegangen ist, weiss ich nicht. Die Araber versicherten uns, dass die Gendarmen uns zu Tode führen würden. Hier gelang es mir, mit vieler Mühe zu entkommen. Von Einzelheiten kann ich nicht sprechen noch schreiben. Ich bin ohne einen Pfennig in Aleppo angekommen.

[Leon Khatschadurian]



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