1916-07-16-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R 1915
Zentraljournal: 1916-A.S.-2297
Erste Internetveröffentlichung: 2017 Juni
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1915.06-1916.12
Telegramm-Abgang: 07/16/1916 04:00 PM
Telegramm-Ankunft: 07/16/1916 10:40 PM
Praesentatsdatum: 07/17/1916 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 54
Zustand: A
Letzte Änderung: 11/19/2017


Der Botschafter in außerordentlicher Mission in Konstantinopel (Wolff-Metternich) an das Auswärtige Amt

Telegraphischer Bericht



Nr. 54
Therapia, den 16. Juli 1916

Im Anschluß an Telegramm 48 und 49.

In meiner Beurteilung des Telegramms des Militärbevollmächtigten beschränkte ich mich auf das Politische.

ad 1) Der günstigste Zeitpunkt für eine vorübergehende Bedrohung Thraciens und der Eisenbahnverbindung durch Entente-Truppen tritt ein, wenn Griechenland gezwungen sein wird, an der Seite der Entente gegen uns zu marschieren, was schon bald der Fall sein kann. Die Bulgaren werden dann nach Drana, Seres und Kavala, aber sicher nicht nach Thrazien vorzurücken suchen. Um so weniger, als dann auch die Haltung Rumäniens zum mindesten wieder unsicher werden wird. Bulgarien hat im Gegenteil türkische Hilfe für eine russische Landung an der bulgarisch-türkischen Schwarz-Meer-Grenze angerufen. Bulgaren werde sich hüten, für die Türken zu kämpfen. Eher gegen, wenn sie was dabei gewinnen können.

Nr. 2) redet eine deutliche Sprache dafür, daß wir der Türkei zu den verlorenen Gebieten wieder verhelfen sollen. Es liegt in unserem Interesse, daß die Türken dies während des Krieges selbst besorgen, wenn sie es können, damit wir nicht beim Friedensschluß durch die türkische Fessel behindert sind. Es ist im höchsten Grade unpolitisch, die Frage angerührt zu haben.

ad 4) General Liman von Sanders lebt im türkischen Heer und steht dauernd mit hohen und niederen Offizieren in Verbindung. Er ist dabei anerkannt bei weitem der tüchtigste deutsche General in der Türkei; jedenfalls der höchste. Seine Ansicht ist daher vielleicht doch nicht so ganz töricht.

5.) 6.) 7.) und 8.) zeigen den Wunsch Enver’s auf Abgabe eines Korps. Weshalb, da es nach Nummer 7 lächerlich ist zu glauben, daß einige bescheidene türkische Divisionen etwas an der allgemeinen Kriegslage für Deutschland ändern könnten? Der glühendste Lobredner wird nicht behaupten können, daß die Fortnahme des letzten Korps aus Thrazien, auch wenn versucht werden soll, Ersatz zu schaffen, für die türkische Regierung gleichgültig ist. Sie ist nicht in der Lage der belgischen, die fast kein Land mehr besitzt, und den Rest des Heeres daher den Verbündeten zur Verfügung stellt, noch ist sie in der Lage Deutschlands, das aus der Fülle seiner Machtmittel dem Freunde Hilfe schicken kann, sondern sie muß sich recht verzweifelt gegen die eingedrungenen Feinde wehren. Woher stammt nun der Wunsch Enver’s, seinem Land ein Armeekorps zu entziehen, das nach seiner eigenen Ansicht an den Ereignissen auf dem europäischen Kriegschauplatz keine Entscheidung im allgemeinen nehmen wird? Dabei handelt er, wie er sagt und wozu er verpflichtet ist, nur im türkischen Interesse. Es ist also nicht alleinige Rücksichtnahme auf unsere Wünsche, es müssen noch andere Motive mitwirken. Hierauf will ich auch einmal eine Antwort geben und zwar ohne durch vorherige Frage bei türkischen Ministern unsere Politik bloßzustellen. Die Antwort lautet: Befriedigung türkischer Eitelkeit und Begründung von Ansprüchen. Je mehr die Türken einsehen, daß sie das verlorene Land nicht selbst zurückgewinnen können, umsomehr werden sie versuchen, durch Ausnutzung der Kriegslage und durch diplomatische Fesselung uns diese Aufgabe aufzubürden. Durch die „offene Aussprache“ sind sie hierin um ein großes Stück weitergekommen.

Zu Nr. 7.) füge ich noch hinzu, daß mehrere Kollegen Envers im Ministerrat als Gegenleistung für die Hergabe des Armeekorps schon Nachgeben in der Schulfrage von uns verlangen wollten. Enver hat dies klugerweise abgelehnt. Es werden wichtigere Fragen und größere Ansprüche kommen.

Zu 9.) 10.) und 11.) und im allgemeinen.

Durch die jedes politische Empfinden dafür, was nützlich oder schädlich ist, mangelnde, allerdings „offene“ Aussprache des Generals Lossow mit Enver Pascha, wodurch der General Liman von Sanders, der Kaiserliche Botschafter in Konstantinopel, der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes und die deutsche Politik bloßgestellt werden, ist unseren Beziehungen zur Türkei mehr Schaden zugefügt worden, als in diesem Kriege wieder gutgemacht werden kann. Jede Politik wird unmöglich, wenn es einem Militär-Attaché freisteht, geheime Telegramme seines direkten politischen Vorgesetzten - denn bisher ist der hiesige Militärbevollmächtigte noch nicht von meiner Kontrolle losgelöst worden -, oder Telegramme des Staatssekretärs des Äußern preiszugeben, die ihrer Natur nach unzweifelhaft nur für den internen Gebrauch der höchsten deutschen Stellen bestimmt waren.

Aus dem Frage-und-Antwort-Spiel geht klar hervor, daß der Militärbevollmächtigte die wichtigsten politischen Interessen durch seine Indiskretionen unheilbar geschädigt hat, für die als Milderungsgrund nur ein gänzlich mangelndes politisches Taktgefühl angenommen werden kann. General von Lossow war von General von Falkenhayn angewiesen worden, zum militärischen Inhalt der Telegramme des Herrn Staatssekretärs und des meinigen Stellung zu nehmen. Ohne Schädigung der deutschen Interessen konnte es sich dabei nur um die Frage handeln, ob Enver Pascha bereitwillig oder nur dem deutschen Drucke folgend das Armeekorps entsendet und ob die Entsendung nicht die militärische Sicherheit der Türkei gefährdet. Statt dessen benutzt der Militärbevollmächtigte die ihm anbefohlene offene Aussprache dazu, die heikelsten Fragen der Politik anzuschneiden, denen auszuweichen es bisher gelungen war. Gemeinsamer Friedensschluß unter Rückerwerbung der verlorenen Vilajets für die Türkei, der Status der Meerengen, die Unabhängigkeit der deutschen Politik von türkischen Forderungen auf Grund geleisteter Dienste sind in einer Form von dem Militärbevollmächtigten besprochen, die, wie aus Frage und Antwort hervorgeht, und wie es nicht anders zu erwarten war, Zweifel und Mißtrauen bei Enver erwecken mußte und schon jetzt das unsere Politik hemmende Ergebnis gehabt haben, daß von Seiten der Türken Klarheit geschaffen werden will. Die Möglichkeit, seinerzeit zu einem günstigen Frieden mit Rußland zu gelangen, lag und liegt für uns in einer Rußland nicht zu ungünstigen Regelung der Verhältnisse im Orient. Je weniger wir gebunden waren, um so eher war dies möglich. Durch die „offene Aussprache“ ist das Vertrauensverhältnis der türkischen Politik zur deutschen Politik und zu den Trägern derselben erschüttert worden, unsere politische Bewegungsfreiheit ist in einem wichtigen Punkt geschmälert und dadurch die Aussichten auf eine künftige Verständigung mit Rußland verringert worden. Die Verantwortung hierfür trifft den Militärbevollmächtigten. Wenn diesen verständnislosen Auswüchsen des Militarismus nicht gesteuert wird, so müssen wir diesen Krieg politisch verlieren.

Ich bitte daher den Herrn Reichskanzler, dem General von Lossow zum mindesten seinen Tadel auszudrücken und ihm zu verbieten, geheime Telegramme, die ich ihm im Vertrauen auf seine Stellung zur Kenntnis gebe, ohne meine Einwilligung zum Gegenstand von kritiklosen Besprechungen mit türkischen Ministern zu machen. Durch die von dem General begangenen Indiskretionen ist meine Stellung durch Bloßstellung der K. Politik an und für sich schon erschwert. Wenn der Militärbevollmächtigte nicht einigermaßen in die Schranken seines Berufes zurückgewiesen wird, so kann ich die Verantwortung für die hier zu befolgende Politik nicht weiter tragen. Es wäre dann ein Feldwebel, der Order pariert, besser am Platz als ein Kaiserlicher Botschafter.


[Metternich]

[Antwort Jagow am 17.6.1916 an Wolff-Metternich (Nr. 13.)]


Geheim. Persönlich.

Theile vollständig EE Ansicht. Noch weiß ich nicht ob Militärattaché Inhalt meines u. EE Telegramms mit Enver aus eigenem Antrieb oder auf directe Anweisung Generals von Falkenhayn besprochen hat. Im letzteren Fall würde er sich mit Recht auf Befehl F.s berufen können. Setze mich daher zunächst mit General von Falkenhayn über diese Frage auseinander unter eventueller Verwehrung gegen derartiges Vorgehen. Von seiner Antwort wird abhängen ob Reichskanzler und in welcher Form Herrn Lossow Tadel oder nur Hinweis auf Zuständigkeiten aussprechen wird.

Streng geheim: Lage an galizischer Front, wo Österreicher fortgesetzt zurückweichen und wofür wir wegen Kämpfe im Westen nicht genügen Truppen abgeben können, scheint allerdings so ungünstig, daß militärische Gründe Entsendung türkischer Truppen voraussichtlich erwünscht erscheinen lassen.



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