1916-09-18-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14093
Zentraljournal: 1916-A-25749
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 09/22/1916 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 567
Zustand: A
Letzte Änderung: 10/28/2015


Der Botschafter in außerordentlicher Mission in Konstantinopel (Wolff-Metternich) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht



Nr. 567
Therapia, den 18. September 1916.

1 Anlage.

Auf Telegramm Nr. 974.

Euer Exzellenz beehre ich mich anbei auftragsgemäß eine hier angefertigte Aufzeichnung über die armenische Frage einzureichen.

Wie gewünscht, ist in dieser Aufzeichnung der Schuld des armenischen Volkselements gegenüber dem Türkischen Reich und den Bemühungen der Kaiserlichen Regierung und ihrer Vertretung in der Türkei um Besserung des Loses der Armenier ein breiter Raum gewidmet.

Auch auf die Verantwortung, die unsere Feinde dem Armeniervolk gegenüber auf sich geladen haben, ist mit besonderem Nachdruck hingewiesen.

Von einer Aufzählung und Schilderung einzelner Greuel ist abgesehen worden, andrerseits ist aber auch nicht versucht worden, an dem traurigen Gesamtbilde etwas zu beschönigen.

Ein solcher Versuch wäre im übrigen auch aussichtslos und schädlich, da zu viele Deutsche - Offiziere, Soldaten, Ärzte, Kranken- und Missionsschwestern, sowie Beamte und Angestellte - selber Augenzeugen der Leiden des armenischen Volks in der Türkei geworden sind.

Die Aufzeichnung ist von dem Botschaftssekretär von Hoesch nach meinen Weisungen aktenmäßig angefertigt worden.


P. Metternich

Anlage

Aufzeichnung über die armenische Frage.

I

Die armenische Frage vor Ausbruch des Weltkrieges.


Nach der Begründung des osmanischen Reiches zogen im Gefolge der Eroberer große Massen von Armeniern nach Westen, besonders nach der Hauptstadt des neuen Reiches. Die Überlieferung sagt, daß sie schon im 15. Jahrhundert einen Bischof in Konstantinopel hatten, der vom Eroberer mit denselben Privilegien ausgestattet worden sein soll, wie der ökumenische Patriarch. Die Nachfolger dieses legendären Bischofs nahmen später den der griechischen Kirche entlehnten Titel eines Patriarchen an.

Infolge seines Sitzes am Orte der Regierung und der Ausdehnung seiner Jurisdiktion wurde der Patriarch von Konstantinopel zum administrativen Oberhaupt der Armenier unter türkischer Herrschaft, hatte aber den Katholikos von Etschmiadzin, dessen Sitz auf russischem Boden liegt, als geistliches Oberhaupt anzuerkennen.

Das Jahr 1863 brachte mit der von der türkischen Regierung gutgeheißenen Schaffung des “Grand Conseil de la Nation” (Arménienne) eine bedeutsame Änderung im Status der türkischen Armenier. Dieser armenische Volksrat bestand aus 140 Mitgliedern und zwar 20 Angehörigen des geistlichen Standes und 40 Laien. Erstere wurden vom Klerus der Hauptstadt gewählt; von den Laienmitgliedern waren 80 Abgeordnete der armenischen Bevölkerung der Hauptstadt, 40 wurden von den Provinzen entsandt, der Volksrat hatte weitgehende Befugnisse, er hatte u.a. auch die Patriarchen und die Mitglieder des Geistlichen- und des Laienrats zu wählen. Diese durchaus demokratische Verfassung stammte von 2 Armeniern, die in Paris studiert und sich die Ideen der französischen Revolution zu eigen gemacht hatten. Die Würdenträger der armenischen Gemeinde wurden nunmehr unter dem geistlichen Gewande Beamte der “Nation.” Der Patriarch hatte bei seinem Amtsantritt vor dem Großen Volksrat zu geloben, “dem Staate - d.h. der Türkischen Regierung - und der (armenischen) Nation treu zu dienen und die (armenische) Verfassung zu halten.” Als Volksfest der Gemeinde wurde am 5. Juni jedes Jahres mit großem Gepränge der Jahrestag der Konstitution begangen. Der französischen und armenischen Ausgabe der Grundgesetze geht eine Einleitung voraus, die sich bezeichnet als “Préambule consacré à sanctionner le principe fondamental de la Constitution, qui est la souveraineté nationale.”

Mit der Einführung dieser Verfassung wurde die armenische Bevölkerung aus einer religiösen zu einer politischen Einheit. Das Bewußtsein politischer Zusammengehörigkeit drang in das Volk und vertiefte die Kluft zwischen diesem und den osmanischen Bevölkerungsteilen. Die demokratische Grundtendenz der Gemeinde verschärfte den Gegensatz zu der bis zur jungtürkischen Revolution autokratischen Reichsregierung. Im Laufe von 50 Jahren entwickelte sich aus der Kultusgemeinde ein Staat im Staate, der der Reichsleitung ein Dorn im Auge sein mußte.

Schon bald nach seiner Begründung machten sich innerhalb des Nationalrates Bestrebungen geltend, die darauf abzielten, mit Hilfe der europäischen Großmächte Zugeständnisse für die Armenier von der Türkei herauszupressen. Es bildeten sich innerhalb des Rates Gruppen, die sich nicht nur durch die Verschiedenartigkeit ihrer revolutionären - und Unabhängigkeitsbestrebungen, sondern auch darin unterschieden, daß die einen es mit England, die anderen mit Rußland halten wollten.

In augenfälliger Weise trat die Sonderstellung, die die Armenier sich dem türkischen Staat gegenüber anmaßten, im Jahre 1878 zu Tage, als beim Erscheinen der russischen Truppen in San Stefano der damalige armenische Patriarch dem russischen Oberbefehlshaber Großfürst Nikolaus entgegenging und bei ihm die Einfügung folgender Klausel in den am 3. März 1878 in San Stefano unterzeichneten Präliminar-Friedensvertrag durchsetzte:

“Artikel 16.- Comme l’évacuation par les troupes russes des territoires qu’elles occupent en Arménie, et qui doivent être restitués à la Turquie, pourrait y donner lieu à des conflits et à des complications préjudiciables aux bonnes relations des deux pays, la Sublime Porte s’engage à réaliser, sans plus de retard, les améliorations et les réformes exigées par les besoins locaux, dans les provinces habitées par les Arméniens, et à garantir leur sécurité contre les Kurdes et les Circassiens.”

Ebenso entsandte der armenische Patriarch im selben Jahre eine Abordnung zum Berliner Kongress mit dem Auftrage, die Aufnahme der vorstehenden Bestimmung in das Vertragsinstrument zu betreiben. So entstand der bekannte Artikel 61 des Berliner Vertrages mit folgendem Wortlaut:

“La Sublime Porte s’engage à réaliser, sans plus de retard, les améliorations et les réformes qu’exigent les besoins locaux dans les provinces habitées par les Arméniens, et à garantir leur sécurité contre les Circassiens et les Kurdes. Elle donne connaissance périodiquement des mesures prises à cet effet aux Puissances, qui en surveilleront l’application.”

Hatten die Armenier durch dieses Vorgehen also gegen ihr Heimatland den Schutz des russischen Erbfeindes nachgesucht und gefunden, so gewannen sie gleichzeitig eine zweite vertraglich konzessionierte Schutzmacht in Gestalt von Grossbritannien durch den sogenannten Cypernvertrag vom 4. Juni 1878, der in seinem Artikel 1 folgendes bestimmt:

“If Batoum, Ardahan, Kars or any of them shall be retained by Russia, and if any attempt shall be made at any future time by Russia to take possession of any further territories of His Imperial Majesty the Sultan in Asia, as fixed by the Definitive Treaty of Peace, England engages to join His Imperial Majesty the Sultan in defending them by force of arms.

In return, His Imperial Majesty the Sultan promises to England to introduce necessary reforms, to be agreed upon later between the two Powers, into the governement, and for the protection of the Christian and other subjects of the Porte in these territories.”

In der Folgezeit nahmen sich zunächst die Engländer der armenischen Interessen in der Türkei an, während Russland, das mit seinem eigenen armenischen Bevölkerungselement damals noch wenig glimpflich verfuhr mehr zurücktrat. Englische Konsularvertreter erschienen bald in den kleinen armenischen Orten und griffen dort teils selber zu Gunsten der Armenier helfend ein, teils veranlassten sie durch ihre Berichterstattung diplomatische Schritte bei der Zentralregierung. Später trat Russland auf den Plan, nachdem es mit seinen armenischen Untertanen Frieden gemacht hatte, und nun begann neben der Unterstützung armenischer Wünsche eine gegen die Türkei gerichtete systematische Wühlarbeit unter den ottomanischen Armeniern.

Es kann nicht Wunder nehmen, dass die Türkei angesichts des Vorgefallenen schon damals in den Jahren nach Abschluss des Berliner Vertrages wenig für ihre armenischen Bevölkerungselemente übrig hatte und ihnen aufs schärfste misstraute. Die Armenier andrerseits begannen, kühn gemacht durch den in Europa gewonnenen Rückhalt, sich in erhöhtem Masse politisch zu betätigen. Es entstanden die 3 geheimen, Armenier jeglicher Staatsangehörigkeit umfassenden Revolutionsgesellschaften: “Taschnak”, “Hintschak” und “Droschak” - letztere besser bekannt unter dem Namen “Daschnakzutiun” (Föderation) -, als deren nächstes Ziel in der Türkei man den Sturz des Hamidischen Regiments, in welchem sie das Haupthindernis für ihre Entwickelung zur Selbstständigkeit sahen, bezeichnen konnte.

Zahlreiche aufgedeckte Verschwörungen und geglückte oder misslungene Attentate gegen den Souverän beziehungsweise die Vertreter der damaligen Staatsgewalt zeugen von der energischen Wirksamkeit der armenischen Revolutionäre. Besondere Hervorhebung verdient das am Tage des Selamlik und zwar am 8. Juni 1905 geplante Attentat gegen den Sultan. Die Höllenmaschine der Daschnakzutiun explodierte vorzeitig und tötete etwa 40 Personen.

Ein im Jahre 1910 in Genf gedruckter Bericht der Daschnakzutiun, der auf dem Internationalen Sozialisten-Kongress in Kopenhagen abgestattet worden ist, gibt einigen Aufschluss über die revolutionäre Tätigkeit der armenischen Geheimen Gesellschaften. Nachdem an einer Stelle dieses Berichts hervorgehoben worden ist, dass das armenische revolutionäre Komitee in vollem Einverständnis mit einem türkischen Revolutionskomitee arbeite, heisst es auf Seite 15:

„Es war sozusagen nur eine Organisation, die nicht allein durchs Wort gegen die Regierung Propaganda machte, sondern auch politisch Verordnungen (!) traf. Sie liess zahlreiche von der Regierung ausgesandte Spione und Unterdrücker hinrichten: sie verurteilte unter anderem den blutgierigen Generalgouverneur von Wan, Ali Bey, zum Tode, und als dieser, um dem Zorn der Fida’is (das sind “die Ergebenen” welche von vornherein ihr Leben zum Opfer gegeben haben) zu entgehen, sich nach dem Kaukasus flüchtete, vollzogen unsere Terroristen das Urteil des Komitees von Wan, und der grausame Ali Bey fiel unter den Kugeln zu Batoum im Jahre 1907.”

Die Folge derartiger Ausschreitungen waren dann scharfe Repressierungsmassregeln der türkischen Zentralregierung, die bisweilen in eine Massentötung von Armenier ausarteten und gewöhnlich zu einer Intervention der Grossmächte führten. Das Endergebnis war in der Regel eine Demütigung der Türkei und neue Einschränkung ihrer Handlungsfreiheit in den armenischen Provinzen. Da ein solches Ergebnis den Zielen insbesondere der russischen Politik entsprach, so liess diese es sich angelegen sein, die armenische Revolutionsbewegung im Geheimen zu schüren, die Unzufriedenen mit Waffen zu versehen und Gewalttaten unter der Hand zu fördern, um den erwünschten Vorwand zur Einmischung in innertürkische Verhältnisse zu bekommen.

In den letzten Jahren der Regierung Abdul Hamid’s hatten sich zwischen gewissen Elementen der armenischen Revolutionäre, insbesondere der Daschnakzutiun, und jungtürkischen Kreisen Beziehungen angebahnt, die auf gemeinsame Gegnerschaft gegen den Absolutismus beruhten und die mit dem Sturze des alten Regiments Aussicht auf Besserung der Verhältnisse zu eröffnen schienen.

Aber die Beseitigung des Absolutismus war begleitet von einem Erstarken des türkischen Nationalgefühls. Und wie die Jungtürken bei der eigentlichen Durchführung der Umwälzung das armenische Element hatten zurücktreten lassen, so waren sie auch nachher nicht gewillt, den in nationalen Fragen unsicheren Armeniern die von diesen angestrebte Stellung einzuräumen. Die Enttäuschung, welche die armenischen Revolutionäre über diese Entwickelung der Dinge empfanden, ergibt sich aus einer Stelle des oben schon erwähnten Berichts der Daschnakzutiun, wo auf Seite 18 das neue Regiment folgendermassen geschildert wird:

“Es ist das Vorherrschen des türkischen Elements: es ist fast die Diktatur eines Komitees! Die nicht türkischen Nationalitäten werden vom Gesetz aus als “religiöse Gemeinschaften” anerkannt.

Mit jener engen Auffassung eines aggressiven Nationalismus, welcher im Begriff ist, in dem Ottomanischen Reich ein zweites Österreich zu schaffen, zeigt die neue Regierung die anmassendste Intransigenz in den Fragen sozialer und ökonomischer Art.”

Trotz dieser Unstimmigkeiten arbeiteten während der Zeit, als noch die Gefahr einer Gegenrevolution drohte, das türkische Revolutionskomitee und die armenischen Körperschaften Hand in Hand, um der Wiederkehr des alten Regiments vorzubeugen. Die Armenier stellten dabei ihre umfangreiche Revolutionsorganisation in den Dienst der Sache des neuen Régime’s. Über die Art dieser Organisation erfahren wir aus dem mehrfach erwähnten Bericht (S. 26) folgendes:

“In den Provinzen Bitlis und Wan hatten wir bis 1908 die ganze waffenfähige Landbevölkerung, welche in politische Gruppen organisiert war, unter unserer Fahne. ...... Die Gruppen waren für die Verteidigung und für den Angriff eingeübt ...... Bis zum Jahre 1908 ging die Tätigkeit unserer Partei in verborgener und nächtlicher Weise vor sich .... Der Waffentransport, die Propaganda, die Bewaffnung der Bevölkerung, die Schiessübungen, alles geschah bei Nacht. Die Tätigkeit war also wesentlich eine politische und revolutionäre. Sie dauert heute fort, aber schon in offener Weise. In allen Zentren des türkischen Armeniens sowie in anderen Ortschaften des Reiches, welche von Armeniern bewohnt sind, hat unsere Partei ihre Scharen von Fida’is, deren einziger Zweck der ist, darüber zu wachen, dass die Reaktion nicht wieder den Kopf erhebe ....”

Einem derartig zum Kampf organisierten Bevölkerungselement musste, ebenso wie dies mit dem Hamidischen Absolutismus der Fall gewesen war, auch in dem neuen jungtürkischen Régime ein Gegner entstehen, sobald die Notwendigkeit des Zusammenstehens gegen die gemeinsame Gefahr entfallen war und insonderheit dann, wenn das armenische Bevölkerungselement wieder in Gegensatz zu der Regierung trat.

Dass letzteres nicht lange auf sich warten liess, dafür sorgten die Feinde der Türkei, vor allem die Russen.

Russland hatte, wie schon oben gestreift seine frühere Armenierpolitik von Grund aus geändert. Nach den letzten Verfolgungen der Jahre 1903 bis 1905 war mit der Übernahme der Statthalterschaft durch Fürst Woronzow Daschkow eine ausgesprochene Wendung zum bessern eingetreten. Es lag der russischen Politik, die nach dem Zusammenbruch ihrer Pläne im fernen Osten ihre Hauptbetätigung wieder nach dem Orient verlegen wollte, daran, in den russischen Armeniern eine Stütze für weiter ausschauende Pläne zu gewinnen, durch sie sich einen Einfluss auf die türkischen Armenier zu sichern und sich die nötigen Vorbedingungen zu schaffen, um nachdrücklich in der Rolle des Armenierbeschützers in der Türkei auftreten zu können.

Von Russland wurden die türkischen Armenier zur Stellung ihrer Forderungen aufgereizt und bei Russland in erster Linie fanden sie der türkischen Regierung gegenüber die nötige Unterstützung. Man wird verstehen, dass auch die neue Türkei den gleichen Hass gegen die Armenier in sich aufnahm, wie das alte Régime, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Armenier gerade die Zeit, wo das osmanische Reich während der unglücklichen Balkankriege und nachher hilflos dem Willen der Grossmächte unterworfen war, ausnützten um, im Bunde mit den der Türkei feindlichen Mächten auf die Gewährung von Zugeständnissen hinzuarbeiten, die in die Souveränitätsrechte des osmanischen Reiches sich einschnitten. Für das Zusammenarbeiten der armenischen Körperschaften mit den Grossmächten in jener Zeit sind der türkischen Regierung manche Beweise in die Hände gefallen. So zum Beispiel ein vertrauliches Zirkularschreiben des Taschnakistischen Zentralkomitees vom 5. März 1913, wodurch die verschiedenen Zweigstellen des Komitees benachrichtigt werden, dass die Regierungen Frankreichs, Englands und Russlands beschlossen hätten, die armenische Frage alsbald nach der endgültigen Wiederherstellung des Friedens in die Hand zu nehmen, und dass diese Regierungen grundsätzlich darüber einig seien, dass in den als armenisch angesehenen Provinzen eine besondere Regierungsform eingeführt werden müsse. Nachdem hervorgehoben worden ist, dass die Regierungen der drei Ententemächte dem Komitee geduldiges Abwarten anempfohlen hätten, heißt es, einer türkischen Veröffentlichung nach, in dem Zirkularschreiben weiter: “Le Comité anglo-arménien à Londres qui a pris dans son sein plusieurs membres influents du Comité balkanique (gemeint ist das durch seine scharfe Gegnerschaft gegen die Türkei bekannte “Balkan Committee”) déploie pas mal d’activité. En effet celui-ci vient de présenter aux chefs d’Etat des six Puissances ainsi qu’à leurs gouvernements respectifs un mémorandum pressant dont une copie a été également envoyé à Mr. Taft, Président des Etats-Unis. Il nous revient, de bonne source que les Ambassadeurs d’Angleterre, de France et de Russie ont reçu des instructions pour s’occuper de la question arménienne. Nous nous efforçons d’obtenir le concours des autres Gouvernements ou tout au moins l’assurance qu’ils ne soulèveront pas d’obstacles.”

Als es nachher zur Intervention der Mächte kam, und der Türkei die sicherlich wünschenswerten Reformen in Armenien auferlegt wurden, wandte sich der Zorn der in ihrem Nationalstolz tief gekränkten Regierung und des Volks naturgemäss vor allem gegen die Armenier, deren Umtrieben man in erster Linie die Schuld an dem verletzenden Eingreifen der Mächte zuschob.

Aber auch abgesehen von den politischen Gründen erfreuten sich die Armenier bei ihren osmanischen Landsleuten keiner Beliebtheit. Der Hauptgrund hierfür ist wohl ihre wirtschaftliche Ueberlegenheit über den schwerfälligen Türken, die in Verbindung mit Fleiss und Geschick es ihnen ermöglicht hat, auf zahlreichen Gebieten des Wirtschaftslebens den Türken nicht aufkommen zu lassen, auf anderen ihn zu unterdrücken. Die den Armeniern allgemein nachgesagten Eigenschaften des Eigennutzes, der Rücksichtslosigkeit, Verschlagenheit, Untreue und Undankbarkeit werden nicht dazu beigetragen haben, ihnen Sympathien zu gewinnen.


II.

Das Schicksal der Armenier während des Weltkrieges.


Während der Jahre der Spannung, die dem Ausbruch des Weltkrieges vorangingen, hatte Russland seine Wühlarbeit unter den Armeniern der türkischen Ostprovinzen erheblich gesteigert und an der Wirksamkeit der armenischen Revolutionsgesellschaften ein immer lebhafteres Interesse genommen, da man sich in Petersburg für den Fall eines Konfliktes von der Unterstützung der türkischen Armenier viel versprach. Sehr bezeichnend in dieser Hinsicht ist ein von der türkischen Regierung auszugsweise veröffentlichter Bericht des russischen Konsuls in Bitlis vom 24. Dezember 1912 N=63, worin es gemäss der türkischen Veröffentlichung folgendermassen heißt: “Le Comité Tachnakiste déploie une grande activité et use de toute son influence pour gagner l’opinion publique arménienne en faveur de la Russie. La Société dont il s’agit travaille avec ténacité pour provoquer des rencontres, entre les éléments arménien et musulman (!) et amener ainsi l’intervention russe et l’occupation du pays par les troupes russes. Dans ce but, les Tachnaks ont recours à différents moyens. C’est ainsi qu’ils tâchent de provoquer des échauffourées entre les Musulmans et troupes ottomanes d’une part et les Arméniens de l’autre, afin de semer la peur et la terreur dans le pays. Les Arméniens, tant citadins que villageois, y compris leurs chefs réligieux, manifestent sans cesse leur sympathie avec la Russie. L’attitude des membres Tachnakistes, ainsi que les sentiments qu’ils professent à l’égard de la Russie, sont une conséquence des instructions qui leur sont transmises par le Comité central de Constantinople.”

Mit dem Ausbruch des grossen Krieges vervielfachte Russland seine Agitation im türkischen Armenien offen und heimlich, durch Amtspersonen und geheime Agenten und Emissäre wurde der Anschluss an Russland und der Aufruhr gegen die Türkei gepredigt. Mit dem Eintritt der Türkei in den Krieg erreichte die Agitation ihren Höhepunkt. Waffen wurden unter der Hand geliefert, Spione in Massen angeworben, Bestechungsgelder im Ueberfluss verteilt.

Diese agitatorische Tätigkeit unter den türkischen Armeniern blieb aber nicht auf Russland beschränkt. Auch unsere anderen gemeinsamen Gegner sparten weder Mühe noch Geld noch Versprechungen, um eine armenische Aufstandsbewegung zu erzeugen. Das Ziel unserer Gegner war, die türkischen Streitkräfte durch Unruhen im Innern zu fesseln und so ihre Aktionsfähigkeit nach aussen zu beschränken, eine Absicht, der die Türkische Reichsleitung wohl alles Recht hatte, sich nachdrücklich zu widersetzen.

Zu einem einheitlichen Aufstand der türkischen Armenier ist es nicht gekommen, auch ist ein vollgültiger Beweis dafür, dass ein solcher einheitlicher Aufstand geplant oder organisiert war, nicht geliefert worden, wohl aber ist es zu einer Anzahl partieller Erhebungen unter den Armeniern mit zum Teil recht bedenklichen Folgen gekommen. Die Schuld an diesen Vorfällen muß in erster Linie der Wühlarbeit unserer Feinde zugeschrieben werden, die die armenische Illoyalität zu ihrem eigenen Zwecke auszubeuten versucht haben. Sie trifft denn auch vor allen anderen die schwere Verantwortung für das Unglück, das im weiteren Verlaufe des Krieges über das armenische Volk in der Türkei hereingebrochen ist.

In den ersten Monaten nach Eintritt der Türkei in den Krieg gestaltete sich das Verhältnis der Regierung zu ihren armenischen Untertanen leidlich zufriedenstellend. Von massgebender armenischer Seite ergingen Loyalitätserklärungen und Aufforderungen an die armenische Bevölkerung, dem bedrängten türkischen Heimatlande treu zu dienen. Von türkischer amtlicher Seite wurden die Leistungen armenischer Soldaten als zufriedenstellend ausdrücklich anerkannt. Freilich kam es auch in dieser Zeit zu einigen mehr oder minder gerechtfertigten Gewaltakten gegen Armenier, doch handelte es sich dabei im allgemeinen um lokale Vorkommnisse, oder um Uebergriffe der den Armeniern stets feindlichen kurdischen Bevölkerung. Jedenfalls konnte der armenische Patriarch gelegentlich eines Besuches auf der Kaiserlichen Botschaft (am 20. Februar 1915) dem Kaiserlichen Botschafter versichern, daß die Lage der Armenier in den vom Kriege heimgesuchten Grenzprovinzen “verhältnismässig befriedigend” sei.

Das stets wache Mißtrauen der Regierung gegen das armenische Element erhielt inzwischen neue Nahrung durch das Verhalten der im Ausland lebenden Armenier, die in den feindlichen und neutralen Ländern und deren Presse eine eifrige Propaganda gegen die Türkei betrieben, ihre Volksgenossen zum Aufstand anfeuerten und sie zum Eintritt in die Reihen der feindlichen Heere aufforderten, mit denen man die Unabhängigkeit Armeniens gemeinsam erkämpfen werde. Aus den zahlreichen Belegen für diese Auslandspropaganda, welche die türkische Regierung in ihrer im Jahre 1916 herausgegebenen Druckschrift “Vérité sur le mouvement révolutionnaire arménien et les mesures gouvernementales” zusammengestellt hat, sei folgender Auszug aus der im Ausland erscheinenden armenischen Zeitung “Hintschak” vom Monat Dezember 1914 hier angeführt:

“Le Comité social-démocrate hintchak, poussé par les évènements politiques actuels, descend des montagnes de Taurus et des confins de l’Arménie au champ de bataille en sonnant le cor de combat et de révolution pour noyer dans le sang la tyrannie ottomane. Dans cette lutte gigantesque qui met en question l’existence des nations, les Arméniens vont réunir toutes leurs forces matérielles et morales, et, en brandissant l’épée de la révolte, prendront part à la guerre générale. Comme alliés de la Triple-Entente, et en particulier de la Russie, ils coopéreront avec tous les moyens révolutionnaires et politiques dont ils disposent, à la victoire des alliés en Arménie, en Cilicie, au Caucase et à Azerbaidjan, se laissant guider par leur patriotisme et remplissant ainsi leur devoir envers eux-mêmes et envers la civilisation ...”

Auch der Kaiserlichen Botschaft sind in den Monaten Februar und März 1915 Berichte von Vertrauensleuten über das Treiben der Armenier im Ausland zugegangen, in denen gemeldet wurde, daß die beiden sonst sich bekämpfenden armenischen Geheimgesellschaften Hintschak und Droschak (=Daschnakzutiun) in Bukarest und Arbanbei auch in mehreren anderen bulgarischen Städten ihren gemeinsamen Sitz aufgeschlagen hätten und zusammen eine rege Tätigkeit entfalteten, um armenische Freiwillige nach Russland zu befördern. Der Katholikos von Etschmiadzin habe im Einverständnis mit der russischen Regierung den Vorsitz über beide Vereine übernommen. Unter den Hintschakisten befänden sich viele von auswärts, auch von Konstantinopel, zugewanderte Armenier.

Daß im übrigen die armenische Bevölkerung der Türkei, wenn sie sich auch in jenen ersten Kriegsmonaten im allgemeinen ruhig verhielt, in ihrer überwiegenden Mehrzahl von Anfang an, ebenso wie ihre Volksgenossen anderer Staatsangehörigkeit mit ihren Sympathien auf der Seite der Ententemächte stand, kann nach allem, was hierüber bekannt geworden ist, nicht bezweifelt werden.

Schon am 30. Dezember 1914 erklärte der Großvezier dem Kaiserlichen Botschafter gelegentlich eines Gesprächs über die armenische Frage, die Armenier nähmen offen gegen die türkische Sache Partei. Auch von deutscher amtlicher und nichtamtlicher Seite ist auf die Unzuverlässigkeit des armenischen Elements hingewiesen worden. So führt eine mit den Verhältnissen wohl vertraute deutsche Missionsschwester, deren Nennung aus leicht verständlichen Gründen besser unterbleibt, in einem Bericht an einen deutschen Konsul vom 4. Dezember 1914 an, sie habe in einer deutschen Zeitung gelesen, daß das armenische Volk treue Anhänglichkeit zur Türkei beweise und zu allen Opfern bereit sei, und fährt dann wörtlich fort: “Ich muß sagen, daß ich täglich das Gegenteil höre, jeder Armenier wartet ungeduldig darauf, daß der jetzige türkische Krieg die Türkei zerspalte und in christliche Hände bringe.”

In einer dem Kaiserlichen Auswärtigen Amt von einem Vertrauensmann überreichten Aufzeichnung über die armenische Bewegung heißt es folgendermassen:

“Die Haltung der armenischen Bevölkerung sowohl innerhalb der türkischen Grenzen, wie auch im Kaukasus selbst, ist mit ganz geringen Ausnahmen durchaus russenfreundlich. In Kaukasien selbst ist fast die gesamte armenische Bevölkerung von den Russen bewaffnet und bildet das freiwillige Corps der kaukasisch-russischen Armee. Man schätzt die Zahl der armenischen Freiwilligen auf ca. 30000 Mann und gehören zu diesen auch viele aus der Türkei und vor Kriegsausbruch geflüchtete Armenier. Auch in der aktiven russischen Armee stehen viele armenische Deserteure und finden sich solche selbst unter den in Siwas internierten russischen Gefangenen. Ich habe auf meiner Reise von der russischen Grenze bis Konstantinopel in den von Armeniern bewohnten Gebieten fast täglich Transporte von gefesselten Armenier getroffen, die von der türkischen Behörde eingefangen waren, weil sie sich dem Kriegsdienst zu entziehen suchten. Es ist auch erwiesen, daß die ottomanischen Armenier auf türkischem Boden Banden bilden, für die russische Armee Spionagedienste leisten und sich zu terroristischen Taten hinreißen lassen. So wurde die Post zwischen Ziwas und Erserum in letzter Zeit mehrmals von stärkeren armenischen Banden überfallen und grösserer Geldmittel beraubt. Auch kamen in mehreren Ortschaften Bombenattentate vor. Nach meiner Ansicht ist die gesamte armenische Bevölkerung auf ottomanischen Boden organisiert und wartet nur auf Erfolge, resp. Vorrückung der Russen, um sich dann gegen die türkische Herrschaft zu erheben. Die Leitung der armenischen Bewegung liegt in den Händen der bekannten armenischen Partei Daschnakzutun, welche anscheinend über reiche Geldmittel, Waffen, Munition und Bomben verfügt. Der Zar hat den Armeniern bei glücklichem Ausgang des Krieges eine absolute Autonomie versprochen, und halte ich jeden Versuch, die Armenier heute noch durch Versprechungen oder Geldmittel zu einem Gesinnungswechsel umzustimmen, für ausgeschlossen. Im Kaukasus steht wie von jeher die christliche und mohammedanisch-georgische Bevölkerung Armeniern feindlich gegenüber und dürfte auch hier eine Einigung der Parteien ausgeschlossen sein. Die Stimmung der mohammedanischen Bevölkerung in der Türkei gegen die Armenier ist eine äusserst erregte und kann es nur der strengen Anordnung der türkischen Regierung zu verdanken sein, wenn das von der Bevölkerung geplante Massacre noch nicht eingesetzt hat.”

Mit dem Monat März 1915 begann die Haltung der Armenier Grund zu Besorgnis zu geben. Die Klagen über Fahnenflucht bzw. Dienstentziehung armenischer Soldaten wurden immer häufiger. Die russische Presse wusste zu gleicher Zeit mit Genugtuung den Uebertritt zahlreicher türkischer Armenier auf russisches Gebiet zu melden. Gewisse Aeusserungen des Patriarchen schienen damals die Wahrheit solcher Uebertrittsmeldungen zu bestätigen.

Gleichzeitig begannen Meldungen über Aufstandsbewegungen aus verschiedenen Teilen des Reiches einzulaufen.

Am 3. März berichtete das Kaiserliche Konsulat in Erserum, daß aus dem Vilajet Bitlis die Nachricht von Aufstandsbewegungen und bewaffnetem Vorgehen der Armenier gegen Militär und Gendarmerie komme. In Kaissarié sollten bei Haussuchungen Bomben und Chiffrierbücher gefunden worden sein. Die Bewegung werde auf die Agitation feindlicher Mächte zurückgeführt.

Am 12. März meldete das Kaiserliche Konsulat in Aleppo den Ausbruch einer Armenierrevolte in Zeitun einer im Vilajet Aleppo gelegenen, ausschließlich von Armeniern bewohnten Gebirgsstadt. In einem vom Kaiserlichen Konsulat in Adana der Kaiserlichen Botschaft in Konstantinopel eingereichten Bericht eines Vertrauensmannes über die Gründe dieser Revolte heißt es etwa folgendermassen: “Die Regierungsmaßregeln zur Erhebung der Steuern und zur Rekrutierung der Militärpflichtigen finden in jener Gegend hartnäckigen Widerstand seitens der Einheimischen, die alles aufbieten, um ihren Pflichten zu entgehen. Desertion ist unter ihnen eine gewöhnliche Erscheinung, ebenso wie die Bildung von Räuberbanden. Der Mobilmachungsordre wurde keine Folge geleistet, weshalb man sich zu strengen Massregeln entschloß.” Die Revolte nahm bald einen ernsteren Charakter an, sodaß nach einer Meldung des Kaiserlichen Konsulats in Aleppo vom 26. März der Vali von Aleppo zwar hoffte, aber nicht mehr ganz zuversichtlich war, daß ein Uebergreifen der Unruhe auf die angrenzenden Vilajets vermieden werden könnte.

Nach Mitteilungen von türkischer amtlicher Seite über den Verlauf der Revolte machten die Deserteure einen Angriff auf das Gefängnis in Zeitun, wobei mehrere Gendarmen verwundet und getötet wurden. Gendarmen, die in Häusern nach Fahnenflüchtigen suchten, wurden mit scharfen Schüssen und Steinwürfen empfangen. Das Gros der Deserteure sammelte sich dann im Kloster bei Zeitun, wo es angegriffen wurde. Hierbei verloren die Gendarmen 7 - 8 Tote, darunter ihren Kommandanten, und 20 Verwundete. Die Armenier entkamen schließlich.

Wenn der Minister des Innern, Talaat Bey auch die Vermutung ausgesprochen hat, daß fremde Agitatoren ihre Hand bei diesen Vorgängen im Spiel gehabt hätten, so wird man die Revolte von Zeitun den Umständen nach aber doch eher als einen zu Kriegszeiten sicher sehr streng zu bestrafenden lokalen Aufruhr einer unbotmäßigen Bevölkerung als eine Volkserhebung mit politischem Charakter anzusehen haben.

Kurz nach Ausbruch der Unruhen in Zeitun sah sich die türkische Regierung veranlaßt, gegen den in der Issusebene am Golf von Alexandrette gelegenen Ort “Dört-Jol” energisch vorzugehen. In einem der Kaiserlichen Botschaft in Konstantinopel durch das Kaiserliche Konsulat in Adana gelieferten Bericht vom 13. März über die Vorgänge in Dört-Jol heißt es u.a. folgendermaßen:

“Fast alle Einwohner dieses fast ganz von Armeniern bewohnten Ortes haben “desertiert” (bezw. haben der Mobilmachungsorder keine Folge geleistet). Nach der Beschießung der türkischen Häfen seitens der englischen Kriegsschiffe sind öfters Engländer ungestört an Land gekommen, haben sich nach Dört-Jol zu den Armeniern begeben und haben dort Einkäufe gemacht. Vor einigen Wochen begab sich ein früherer Deserteur, namens Saldschian, der seit 2 Jahren sich in Cypern befand, und jetzt wahrscheinlich im englischen Dienst steht, nach Dört-Jol in Begleitung eines Armeniers aus Alexandrette und blieb 6 - 7 Tage. Man kann fast bestimmt sagen, daß er die Bewohner für den fremden Dienst zu gewinnen versucht hat. Saldschian hatte sich Ausweispapiere als Kaufmann verschafft. Nach der Rückkehr Saldschians auf das englische Kriegsschiff wurde die Polizei durch Zufall auf den falschen Kaufmann aufmerksam und hat nur noch den Begleiter festnehmen können.

Wenige Tage nachher begab sich wieder ein Armenier, namens Köschkenian aus der Ortschaft Odschakli vom Kriegsschiff auf das Land. Dieser soll einen Betrag von Ltq 40 mit sich geführt haben.

Wenn auch wohl keine Organisation zwecks Verschwörung oder Revolution vorhanden war, so ist es doch wohl sicher, daß das Erscheinen der Kriegsschiffe seitens der Mehrzahl der gesamten christlichen Bevölkerung und speziell von den Armeniern mit Freude begrüßt wurde und daß, wenn es einmal den Engländern oder Franzosen gelingt, auf das Land zu kommen, sie von allen Christen mit Jubel werden empfangen werden.

Die Regierung hat in einer Nacht alle männlichen Bewohner des Orts festgenommen und nach Aleppo geschickt, wo sie beim Straßenbau verwendet werden.

Das Vorgehen der Militärbehörde während der Festnahme hat ohne Exzesse stattgefunden. Die Lage der Zurückgebliebenen gibt z.Z. zu Besorgnissen keinen Anlaß.”

Es sei hier eingeschaltet, daß nach einer der Kaiserlichen Botschaft von zuständiger Seite als zuverlässig bezeichneten Quelle vor Beginn der Zeituner Revolte von Einwohnern von Dört-Jol Briefe nach Zeitun geschickt worden sein sollen, worin der Zeitpunkt als für eine Empörung günstig bezeichnet und bemerkt worden sei, die Verbindung mit den englischen Kriegsschiffen sei hergestellt. Entspricht diese Nachricht den Tatsachen, so würden die fraglichen Vorfälle in Zeitun ein wesentlich bedenklicheres Aussehen gewinnen können.

Der Aufruhr von Zeitun, das landesverräterische Verhalten der Einwohner von Dört-Jol sowie einige andere Vorkommnisse von geringerer Bedeutung hatten scharfe Maßregeln für das ganze in Frage kommende Gebiet zur Folge.

In Marasch, wo das Kriegsgericht gegen die Beschuldigten von Zeitun tagte, fanden Haussuchungen statt. Der Belagerungszustand wurde über die Stadt verhängt. Auch in Adana wurden Haussuchungen bei allen Christen, besonders bei den Armeniern, vorgenommen. Gelegentlich dürfte es aber auch zu Übergriffen der erbitterten Bevölkerung und Polizei gegen die Armenier gekommen sein. Daß die Regierung aber damals nicht gewillt war, derartige Übergriffe zuzulassen oder darüber hinwegzusehen, ergiebt sich aus einer Ende März vom türkischen Marineminister und Oberbefehlshaber der IV. Armee Djemal Pascha erlassenen Zirkularbekanntmachung, worin es hieß:

Die Revolte in Zeitun habe militärisches Eingreifen nötig gemacht. Die Regierung habe die ruhige Bevölkerung, gleichgültig ob Mohamedaner oder Armenier, zu schützen. Diese könne deshalb beruhigt sein und brauche nichts zu fürchten. Jeder Mohamedaner, der aus welchem Grund nur immer einen Armenier angreife, werde als Aufrührer angesehen und sofort dem Kriegsgericht überantwortet werden. Niemand dürfe sich also weder direkt noch indirekt in die Angelegenheiten der Regierungsgewalt hineinmischen. Der ruhigen und unschuldigen Bevölkerung werde schneller Gehorsam gegenüber den Weisungen der Militärbehörden anempfohlen.

Inzwischen hatte auch die Lage in den östlichen Provinzen eine entschiedene Wendung zum Schlimmeren gewonnen. Von türkischer Seite wurde immer häufiger und bestimmter gegen die Armenier der Vorwurf erhoben, daß sie mit den Reichsfeinden sympathisierten, mit ihnen hochverräterische Verbindungen unterhielten und an einzelnen Orten sich offen gegen die Landesbehörden aufgelehnt hätten. Weitere Nachrichten über das türkenfeindliche Verhalten der Armenier im Auslande und den Eintritt immer zahlreicherer Armenier in die feindlichen Heere vermehrten die Mißstimmung. Besonders belastend wirkten Bericht über das Verhalten armenischer Mannschaften in der türkischen Armee während des Feldzuges im Kaukasus. Armenische Soldaten sollten wiederholt ihre Waffen gegen die Türken gekehrt haben, eine Tatsache, die auch von deutschen Offizieren, die an diesen Kämpfen teilgenommen haben, bestätigt worden ist. Die an sich schon gespannten Beziehungen zwischen der mohamedanischen und der christlichen Bevölkerung der östlichen Provinzen hatten sich deshalb bis zur Mitte des Monats April bereits sehr erheblich verschärft, und es hatten wohl eine ganze Reihe von Ausschreitungen und Gewaltakten gegen die ostanatolischen Armenier stattgefunden. Gewisse Mitglieder der dem Komitee Union et Progrès affiliierten Provinz-Klubs und einige den Armeniern angeblich besonders feindlich gesinnte Zivilbeamte wurden neben der türkischen irregulären Miliz von armenischer Seite für die vorgekommenen Übergriffe in erster Linie verantwortlich gemacht.

Am 22. April 1915 meldete das Kaiserliche Konsulat in Erserum der Kaiserlichen Botschaft in Konstantinopel, daß in Wan und Umgebung, vermutlich infolge russischer Umtriebe, Armenier-Unruhen ausgebrochen seien. Die Nachricht wurde auf dem Ministerium des Innern mit der Bitte um vorläufige Geheimhaltung bestätigt.

Entgegen den in den nächsten Tagen nach der Hauptstadt gelangenden Nachrichten, wonach der Aufstand unter beiderseitigen erheblichen Verlusten niedergeschlagen sei, gelang es der türkischen Heeresleitung trotz Heranziehung immer stärkerer Truppenmengen nicht, der Aufständischen Herr zu werden. Die Lage erschien bald um so bedenklicher, als russische Truppen im Anmarsch auf die in der Hand der Rebellen befindliche Stadt waren, und mit Sicherheit zu erwarten stand, daß die Aufrührer die Feinde als Befreier empfangen und ihnen die Stadt in die Hand spielen würden. Dies geschah in der Tat, als am 19. Mai, also nach etwa einmonatlichem Kampfe um die Stadt, russische Armenierscharen, türkisch-armenische Überläufer und russische Vortruppen vor Wan erschienen.

Wenn von armenischer Seite geltend gemacht wird, daß der Aufstand von Wan durch die Bedrückung der armenischen Einwohner von seiten der türkischen Beamtenschaft und Soldateska hervorgerufen worden sei, so mag daran wohl etwas Wahres sein.

Auch das Kaiserliche Konsulat in Erserum hat in seiner Berichterstattung [auf] die fehlerhafte Behandlung des armenischen Elements durch die türkischen Regierungs- und Militärorgane hingewiesen und als den äußern Anlaß zu der Volkserhebung, Verhaftung und Ermordung einiger angesehener armenischer Notabeln bezeichnet. Darüber aber kann kein Zweifel bestehen, daß die Armenier von Wan, wenn sie in der Lage waren, sich gegen eine beträchtliche mit Artillerie versehene Truppenmacht einen Monat lang zu halten, in weitgehendstem Maße zum Kampfe vorbereitet und organisiert gewesen sein müssen.

Das Kaiserliche Konsulat in Erserum berichtete denn auch am 15. Mai 1915, daß sich schon früher nicht nur in den Grenzgebieten, sondern auch in den mehr im Innern gelegenen armenischen Orten eine starke Unzufriedenheit bemerkbar gemacht habe. An vielen Stellen seien seit langem Waffen angesammelt worden - anfänglich wohl nur zu Zwecken der Selbstverteidigung bei einem eventuellen Massacre, später wohl auch für einen bewaffneten Aufstand. Die von türkischer Seite in der Armenierbehandlung gemachten Fehler seien russischerseits schon lange vor dem Kriege zu einer planmäßigen Verhetzung ausgenutzt worden. Besonders Wan und das dortige russische Konsulat seien von jeher Zentren russischer Wühlarbeit gewesen.

Ergänzende Mitteilungen aus türkischer amtlicher Quelle an die Kaiserliche Botschaft besagten, daß die Anzeichen dafür, daß die armenische Aufstandsbewegung vom Ausland gefördert werde, sich mehrten. Unter den im Kampf um Wan gefallenen Rebellen seien vielfach Individuen in russischer Kleidung gefunden worden. Die Anwesenheit russischer Agitatoren armenischen Stammes in Wan - genannt wurde vor allem ein als gefährlicher Agitator bekannter, zuletzt in Rußland lebender ursprünglich türkischer Armenier, namens Pasdermadjan - sei nachgewiesen, armenischen Freischärlern sei es mehrfach gelungen, von Wan aus mit den Russen Verbindung aufzunehmen.

Angesichts dieser Tatsachen, die eine weitere Ergänzung durch die bekannte amtliche Kundgebung erfahren haben, mit der die Pforte am 4. Juni den Anschuldigungen einer Havas Meldung entgegentrat, mußte es im Interesse der Sicherheit des Reiches dringend wünschenswert erscheinen, das armenische Bevölkerungselement, dessen Unsicherheit nicht mehr in Zweifel gestellt werden konnte, aus dem Gebiet der kriegerischen Operationen und den dahinter liegenden Aufmarschdistrikten zu entfernen. Es sei hier nochmals darauf hingewiesen, eine wie große Verantwortung unsere Feinde dem armenischen Volke gegenüber dafür trifft, daß sie durch ihre aufhetzende Tätigkeit die Türkei vor eine solche Notwendigkeit gestellt und damit über die türkischen Armenier unermeßliches Unglück gebracht haben.

Bereits im Monat März 1915 hatte die türkische Heeresleitung, veranlaßt durch schon weiter oben erwähnte schlechte Erfahrungen mit armenischen Soldaten und die sonstigen Vorkommnisse damit begonnen, die in der Armee stehenden Armenier unterschiedslos zu entwaffnen und in Arbeiterbataillonen zu vereinigen, die bei Wegebauten und ähnlichen Arbeiten Verwendung fanden. Damit war der Weg zur Unschädlichmachung des armenischen Elements betreten. Weitere Maßnahmen sollten bald folgen.

Am 20. April meldete das Kaiserliche Konsulat in Aleppo, daß die armenische Bevölkerung von Marasch, Zeitun und von allen Dörfern bis herab nach Hassanbeili deportiert werde. Der Grund für diese Maßnahme war wohl zunächst der Aufstand von Zeitun, der in den Augen der Regierung größere Bedeutung gewonnen hatte, seit sich bei ihr die Überzeugung immer mehr festigte, daß auch diese Revolte im Einverständnis mit den Reichsfeinden in Szene gesetzt worden war.

In der Nacht vom 25. zum 26. und vom 26. zum 27. April fanden in der Hauptstadt zahlreiche Verhaftungen von Armeniern statt. Im ganzen sollen an 500 Personen aus allen Gesellschaftsklassen, namentlich Ärzte, Journalisten, Schriftsteller, Geistliche und auch einige Deputierte festgenommen worden sein. (Von türkischer Seite ist die Zahl später amtlich auf etwa die Hälfte angegeben worden). Das Lokal der Zeitung “Azadamart”, Organ der Partei Daschnakzutiun, der viele der Verhafteten angehörten, wurde behördlich gesperrt. Die meisten der Verhafteten wurden in den folgenden Tagen nach dem Innern von Kleinasien verschickt.



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